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Kyle machte sich nicht einmal die Mühe, etwas darauf zu erwidern. Plötzlich glomm ein trübes, gelbes Licht unter der Wagendecke auf. Charity blinzelte überrascht, als sie sah, daß Kyle eine der alten Lampen zum Brennen gebracht hatte. Im trüben Schein der fünfzig Jahre alten Leuchtstoffröhre war das ganze Ausmaß der Zerstörung zu erkennen. Der Stollen war fast völlig zusammengebrochen, und noch immer rutschten Steine und Erdreich nach. Sie steckten gehörig in der Klemme.

Vielleicht blieben ihnen nicht einmal mehr Minuten, um sich zu befreien.

Kyle stand auf und machte sich an einer zweiten Lampe zu schaffen, um auch sie wieder zum Leben zu erwecken, Skudder hockte mit angezogenen Knien auf einer der zerschlissenen Kunststoffbänke und sah ihm mit finsterem Gesichtsausdruck dabei zu, während sich Net um Barlers Tochter bemühte, die mit steinernem Gesichtsausdruck an der Wand lehnte und ihren verletzten rechten Fuß massierte.

Der sonderbar leere Ausdruck in den Augen des Mädchens gefiel Charity nicht. Sie stand auf, ging gebückt zu Net und Helen hinüber und beugte sich besorgt über das dunkelhaarige Mädchen. »Alles in Ordnung?«

Helen reagierte nicht, aber Net sah auf und deutete ein Kopfschütteln an. Nein - mit Helen war ganz und gar nicht alles in Ordnung. Nicht zum ersten Mal, seit sie aus Paris geflohen waren, gestand sich Charity ein, daß es ein Fehler gewesen war, das Mädchen mitzunehmen.

Aber im Moment konnten sie nichts für Helen tun. Sie stand wieder auf, ging zum hinteren Ende des Wagens und versuchte, durch den Staub irgend etwas von ihrer Umgebung zu erkennen. Dann glomm eine zweite Leuchtstoffröhre auf, erfüllte den Wagen für Augenblicke mit fast unangenehm hellem Licht und erlosch mit einem kleinen blauen Blitz sofort wieder. Kyle wandte sich um, zuckte enttäuscht mit den Achseln und versuchte nicht, auch noch eine dritte Lampe zum Brennen zu bringen.

Ein Beben erklang plötzlich, und ein wenig später wehte von weit, weit her ein dumpfes Grollen zu ihnen heran. Charity sah erschrocken auf, aber noch hielt der Tunnel.

»Sie werfen immer noch Bomben«, sagte Skudder.

»Ja«, erwiderte Kyle, »aber sie werden bald aufhören.«

»Und dann?«

Kyle machte eine Handbewegung zur Decke.

»Dann werden sie kommen und nach uns suchen«, sagte er. »Sie werden nicht aufgeben, bis sie mich gefangen oder sich mit eigenen Augen von meinem Tod überzeugt haben. Ich würde mich ihnen stellen, wenn es etwas nutzte. Aber sie würden weiter nach euch suchen.«

»Wie edel Ihr seid«, bemerkte Gurk spöttisch.

Charity warf dem Zwerg einen ärgerlichen Blick zu. »Halt den Mund!« rief sie. »Ohne ihn wäre keiner von uns noch am Leben.«

»Ohne ihn«, erwiderte Gurk, wobei er versuchte, den Klang ihrer Stimme höhnisch nachzuäffen, »wären wir gar nicht hier.«

Kyle musterte den Zwerg mit einem sonderbaren, nicht einmal unfreundlichen Blick, lächelte flüchtig und ging zu Net und Helen hinüber. Die junge Wasteländerin tauschte einen fragenden Blick mit Charity und rutschte ein Stück zur Seite, als sie wortlos nickte.

Kyle blickte Helen eine Sekunde lang stumm an, dann streckte er den Arm aus und berührte sie fast zärtlich an der Wange. Die Leere in Helens Blick blieb, aber sie zuckte unter der Berührung sichtbar zusammen. Wieder zögerte Kyle, dann begannen seine Finger, sanft, aber mit sehr geschickten, kundigen Bewegungen über ihren Körper zu tasten. Charity konnte nicht erkennen, was er tat, aber nach wenigen Augenblicken wandte er den Kopf und sah sie an.

»Ihr Fuß ist verrenkt«, sagte er. »Ich kann das in Ordnung bringen, aber jemand sollte Sie festhalten. Es wird sehr schmerzhaft sein.«

Skudder wollte aufstehen, aber Helen hatte Kyles Worte offensichtlich doch gehört, denn sie schüttelte plötzlich den Kopf und murmelte: »Es ist nicht nötig.«

Kyle zögerte noch einen winzigen Moment, dann griff er mit beiden Händen nach Helens Fußgelenk - und machte eine blitzartige Bewegung. Helen sog hörbar die Luft ein, gab aber sonst nicht den mindesten Laut von sich, obwohl ihr Gesicht auch noch den letzten Rest Farbe verlor.

»Das war's schon«, sagte Kyle lächelnd. »Ich kann sonst keine Verletzungen feststellen - aber trotzdem, sei ein bißchen vorsichtig mit dem Fuß.«

Helen nickte. »Du ... du bist es wirklich«, murmelte sie. »Aber wie ist das möglich? Du ... du hast dich ... fast gar nicht verändert!«

Kyle schien einen Moment lang nicht genau zu wissen, was er mit diesen Worten anfangen sollte. Dann fuhr auch er überrascht zusammen und blickte Helen mit einem neuen, verwirrten Ausdruck ins Gesicht. »Du bist das Mädchen aus dem Dschungel«, murmelte er.

»Und du der Jäger, der ... meine Eltern getötet hat«, murmelte Helen. »Ich ... erinnere mich genau! Du hast sie getötet! Erst meinen Vater und dann ... dann meine Mutter.«

Kyle schwieg, aber aus dem Ausdruck von Betroffenheit in seinem Blick wurde Schmerz.

»Und dann ... bist du zu mir gekommen«, murmelte Helen. »Ich dachte, du ... würdest mich auch töten. Aber statt dessen hast du mich angelächelt und ... und dann die Ameise umgebracht, die meinen Tod verlangte.«

Kyle schwieg weiter, aber Charity sah, wie nicht nur Net überrascht den Blick hob und ihn ansah.

»Ich habe nie verstanden, warum du das getan hast«, murmelte Helen.

»Ich konnte es nicht«, antwortete Kyle. »Ich wollte es, aber ... aber dann opferte deine Mutter ihr Leben, um dich zu schützen.« Er lachte bitter. »Ich habe einfach nicht begriffen, warum sie das tat. Sie war schon in Sicherheit. Sie hatte eine gute Chance zu entkommen, aber dann machte sie plötzlich kehrt und griff mich an, obwohl sie genau wußte, daß das ihren sicheren Tod bedeutete. Ich habe es einfach nicht begriffen. Aber danach ... konnte ich dir nichts mehr tun. Es hätte ihren Tod sinnlos gemacht, verstehst du?«

»Hatte er denn so einen Sinn?« fragte Helen tonlos.

»Nein«, gestand Kyle. »Es tut mir so leid. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Aber ich verlange es nicht.«

Sekundenlang blickte Helen ihn wortlos an, dann hob sie die Hand, berührte mit den Fingerspitzen fast zärtlich seine Wange und sagte: »Seltsam ... ich ... müßte dich hassen. Aber ich kann es nicht. Es ist so lange her.«

Ein Ausdruck tiefen Schmerzes machte sich auf Kyles Gesicht breit. Aber er sagte nichts mehr, sondern stand mit einem Ruck auf und deutete zum Fenster.

»Ich werde nachsehen, wie weit der Tunnel verschüttet ist«, sagte er. »Wartet hier!«

Skudder wollte widersprechen, aber Charity hielt ihn mit einer raschen Handbewegung davon ab und nickte Kyle auffordernd zu. Der junge Megamann schwang sich mit einer eleganten Bewegung aus dem Fenster und verschwand fast lautlos in der Dunkelheit.

»Hältst du das für eine gute Idee, ihn allein gehen zu lassen?« fragte Skudder.

»Und warum nicht?«

»Wer sagt uns, daß er zurückkommt?«

»Und wer will ihn daran hindern, es nicht zu tun, falls er es wirklich will?« gab Charity zurück. »Du vielleicht?« Skudders Antwort bestand nur aus Schweigen und einem zornigen Blick, und Charity begriff fast sofort, daß sie ihre Worte nicht besonders geschickt gewählt hatte. Zum ersten Mal, seit sie Kyle kennengelernt hatten, fragte sie sich, ob Skudders Feindseligkeit vielleicht nicht nur auf dem Umstand beruhte, daß Kyle eigentlich ihr Feind war. »Ich begreife das nicht«, flüsterte sie. »Was zum Teufel ist so wichtig an Kyle oder uns, daß sie sich solche Mühe geben, uns zu kriegen?«

»Vielleicht haben sie es nicht so gern, wenn man ihnen ihre Schiffe stiehlt?« fragte Gurk.

Charity schüttelte entschieden den Kopf. »Das kann nicht der einzige Grund sein«, sagte sie. »Ich verstehe, daß sie uns verfolgt und abgeschossen haben.« Sie deutete mit einer Handbewegung zur Decke. »Aber sie werfen Atombomben, Gurk. Niemand pulverisiert eine halbe Stadt, um ein paar Autodiebe zu bestrafen.«