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Selbst am nächsten Morgen begriff Mike noch nicht wirklich,warumSingh und er noch am Leben waren. Sie waren sofort auf die NAUTILUS zurückgekehrt, ohne die wenigen noch verbliebenen Behälter zu bergen, und Mike hatte sich fast unmittelbar darauf in seine Kabine zurückgezogen. Aber obwohl er hundemüde und zu Tode erschöpft war, hatte er noch lange auf seinem Bett gelegen und die Decke über sich angestarrt. Je länger er darüber nachgedacht hatte, desto unwahrscheinlicher war es ihm vorgekommen, daß Yasal ihm wirklich geglaubt hatte. Er hatte nicht gelogen -sein Versprechen war ehrlich gemeint gewesen, und zweifellos hatte Yasal dies in seinen Gedanken erkannt, aber das konnte nicht der einzige Grund sein. Er war ein Mensch, und Menschen ändern manchmal ihre Meinung, ganz davon abgesehen, daß in der Lebenszeit, die noch vor ihm lag, vielleicht der Tag kommen mochte, an dem ergezwungenwar, zu erzählen, was Singh und er auf dem Meeresgrund erlebt hatten. Singh hatte mit seinem Mißtrauen durchaus recht -die Wesen von den Sternen hatten den Tod von über tausend Menschen in Kauf genommen, um ihre Brüder zu holen, und sie hatten auch das Leben der NAUTILUS-Besatzung riskiert, um sie zu bergen und ihr Geheimnis zu wahren. All dies jetzt aufs Spiel zu setzen, nur weil Mike einVersprechengegeben hatte, das paßte einfach nicht.

»Wir sind soweit. « Trautmans Stimme drang in Mikes Gedanken. Er schrak hoch, blickte einen Moment lang völlig verständnislos in das bärtige Gesicht Trautmans und rettete sich dann in ein verlegenes Lächeln. »Schon?«

Trautman runzelte die Stirn. Sein Blick wurde wieder ein bißchen besorgt -Mike hatte gute zwölf Stunden ununterbrochen geschlafen, aber er war noch immer hundemüde, und wahrscheinlich sah er auch so aus. »Alles in Ordnung mit dir?« fragte er. Mike nickte hastig. »Ja. Entschuldigen Sie. « Er wollte aufstehen und zu seinem Platz am Steuerpult gehen, aber Trautman schüttelte den Kopf. »Ben wird das übernehmen«, sagte er. »Ruh dich aus. Du wirst deine Kräfte noch brauchen. « »Wieso?« fragte Mike.

»Weil wir ohne Pause durchfahren werden und uns am Ruder ablösen müssen«, antwortete Trautman. »Wir können es bis zum sechzehnten schaffen, aber es wird knapp. « Er zögerte einen Moment, dann setzte er hinzu: »Ist wirklich alles in Ordnung mit dir? Du bist irgendwie anders seit gestern. So nebenbei: Singh ebenfalls. « »Wir sind nur erschöpft«, antwortete Mike hastig. »Es war alles sehr anstrengend. Ich bin froh, daß es vorbei ist. Wann fahren wir los? Sofort?« »Noch nicht«, erwiderte Trautman. »Wir warten noch auf Yasal. «

»Ist er denn nicht an Bord?« fragte Mike verwundert. Er hatte von Trautman erfahren, daß Yasal und sein Bruder gestern noch einmal allein hinausgegangen waren, vermutlich, um die zurückgebliebenen Behälter zu holen. Aber es waren nur noch wenige gewesen, allerhöchstens ein Dutzend; eine Aufgabe, die in einer Stunde zu erledigen gewesen wäre.

»Er ist vor einer halben Stunde noch einmal hinausgegangen«, antwortete Ben an Trautmans Stelle. »Frag mich bloß nicht, warum. « Er lachte. »Vielleicht hat er seine Frühstücksdose drüben auf der TITANIC vergessen. « Mike fand das nicht sehr komisch. Er schenkte Ben einen giftigen Blick, stand auf und schlenderte zum Fenster. Der Anblick draußen hatte sich nicht verändert. Die TITANIC ragte noch immer wie ein stählerner Berg über ihnen empor, aber sie kam ihm jetzt unheimlicher und bedrohlicher denn je vor. Ganz automatisch wanderte sein Blick nach links, in die Dunkelheit vor dem Wrack hinein, und ein sonderbares Gefühl überkam ihn. Er konnte sie nicht sehen, aber für einen Moment erschien der Anblick der riesigen silbernen Scheibe ganz deutlich vor seinen Augen, und wieder spürte er dieselben einander widersprechenden Gefühle wie gestern. Zorn, Verwirrung, Mitleid und Ohnmacht. Singh hatte gewiß Recht, aber zugleich täuschte er sich auch. Die Katastrophe damals war viel gewaltiger -und viel tragischer gewesen, als die Menschen oben unter der Sonne glaubten. Und er konnte auch zugleich Yasal und seine Brüder verstehen. Sie hatten nichts anderes als nach Hause gewollt, und sie hatten ganz bestimmt nicht beabsichtigt, dabei irgend jemanden zu verletzen.

Aber trotzdem waren so viele Unschuldige ums Leben gekommen, daß sich Zorn in Mikes Mitleid mischte. Es war ein Unfall gewesen -letztendlich genau das, was auch ihm widerfahren war, als er den Behälter nicht richtig befestigt hatte -, und er durfte es Yasal und den anderen nicht vorwerfen. Aber er war auch nicht sicher, ob er es ihnen jemals wirklich verzeihen konnte... »Wo bleibt er nur?« fragte Trautman. Er war neben Mike getreten und sah wie er aus dem Fenster. »Jede Minute ist kostbar. Es macht mich rasend, hier herumzustehen und nicht zu wissen, warum. « Etwas leiser und in so beiläufigem Ton, daß Mike um ein Haar ganz automatisch geantwortet hätte, fügte er hinzu:»Duweißt es, nicht wahr?«

Mike fuhr zusammen, starrte Trautman betroffen an und biß sich auf die Unterlippe. Er schwieg.

»Was habt ihr dort draußen gefunden?« fragte Trautman nun.

»Nichts«, antwortete Mike. Er wich Trautmans Blick aus.

Trautman lachte. »Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, daß du ein miserabler Lügner bist?« Mike schwieg eine Weile, ehe er leise und ohne Trautman anzusehen antwortete: »Sie haben recht. Wirhabenetwas gefunden. Aber bitte fragen Sie mich nicht, was. Ich darf es Ihnen nicht sagen. « »Dudarfstnicht? «

»Ich habe es versprochen«, antwortete Mike. Trautmans Blick wurde eindringlich, und obwohl Mike ihn nicht direkt erwiderte, war er nicht sicher, wie lange er ihm wohl noch standhalten würde. Aber dann nickte Trautman. »Gut, ich respektiere das. Sie haben ihr Wort gehalten und uns bisher nichts getan, und so ist es nur richtig, daß auch du dein Wort hältst. Keine Angst ich werde den anderen nichts sagen. « Mike lächelte dankbar, und Trautman drehte sich ohne ein weiteres Wort herum und wollte zum Steuerpult zurückgehen, machte aber dann noch einmal kehrt. »Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen«, sagte er. »Ich habe die halbe Nacht lang Bücher gewälzt, aber mir ist nichts untergekommen, was genau zweihundertfünfzig Jahre her sein könnte. Mit einer Ausnahme -aber sie ergibt keinen Sinn. « »Welche Ausnahme?« fragte Mike. »Eine ganz bestimmte Sternenkonstellation«, sagte Trautman. »Alle zweihundertfünfzig Jahre steht der Sirius in einem ganz bestimmten Winkel über der Erde. Zu Anfangdachte ich, das wäre die Lösung. Die alten Ägypter waren großartige Astronomen. Die Pyramiden sind nach den Sternen ausgerichtet, wußtest du das? Aber dann habe ich noch einmal genauer nachgesehen während dieser Konstellation ist der Sirius von den Pyramiden aus gar nicht sichtbar. « »Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten«, sagte Mike.

Trautman sah ihn scharf an, dann wandte er sich ab, und Mike drehte sich wieder dem Fenster zu. Er wußte nicht, wie lange er so dastand und in die Dunkelheit hinausstarrte. Irgendwann begannen die stählernen Planken unter seinen Füßen zu zittern, und der Rumpf der NAUTILUS vibrierte wieder im vertrauten Dröhnen und Hämmern der Maschinen. Während Singh und er die Ladung aus der TITANIC herübergebracht hatten, hatten Trautman und die anderen die Maschinen überholt und wohl das eine oder andere wieder in Ordnung gebracht.

»Jemand sollte hinausgehen und Yasal holen«, maulte Ben. »Er könnte wirklich allmählich kommen. « »Ich werde gehen und Hasim suchen«, sagte Juan. Doch bevor er seinen Vorsatz in die Tat umsetzen konnte, öffnete sich die Tür, und Hasim trat ein. Er war völlig durchnäßt und hinterließ eine feuchte Spur auf dem Boden. Offenbar war auch er gerade erst von draußen zurückgekehrt.