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»Hasim!« sagte Trautman. »Endlich. Wo ist Yasal? Wir können aufbrechen. «

Hasim blieb stehen und deutete auf das Fenster. »Noch draußen?« fragte Trautman. »Aber warum? Unsere Zeit ist knapp!«

Hasim machte eine Geste, deren Bedeutung Mike erst nach einer Sekunde begriff. Trautman offensichtlich sehr viel schneller, denn er blickte Hasim ungläubig an.

»Verstehe ich dich richtig? Wir sollen losfahren?« Hasim nickte. »Aber Yasal ist noch dort draußen!«

Hasim nickte wieder, dann deutete er mit einer Hand auf das Steuerpult, mit der anderen nach oben. »Das ist deutlich genug«, sagte Ben. »Warum tun wir ihm nicht den Gefallen und tauchen endlich auf?« »Weil ich nicht daran denke, jemanden hier zurückzulassen«, antwortete Trautman ärgerlich. »Was ist passiert? Hattet ihr einen Unfall, oder -« Hasims Geduld war offensichtlich zu Ende. Er ging rasch auf das Steuerpult zu, schob Trautman einfach beiseite und begann an den Instrumenten der NAUTILUS zu hantieren. Das Motorengeräusch veränderte sich, und nur einen Augenblick später begann das Wrack der TITANIC unter ihnen wegzugleiten. Mike konnte spüren, wie die NAUTILUS von der Strömung ergriffen wurde und gleichzeitig an Tempo zulegte. »He, was soll das?« fragte Trautman aufgebracht. »Wir können ihn doch nicht einfach hierlassen! Sagt uns doch, was geschehen ist! Wir holen deinen Bruder, wenn er verletzt ist!«

Hasim sagte nichts. Statt dessen schob er einen Hebel vor, und die NAUTILUS machte so einen Satz, daß es Mike fast von den Füßen gerissen hätte. Hastig streckte er die Hand aus, um sich an einem Stuhl festzuklammern, und drehte sich wieder zum Fenster herum. In der nächsten Sekunde schloß er geblendet die Augen, denn ein kleines Stück vor dem Bug der TITANIC flammte ein grellweißer Blitz auf. Nur einen Augenblick später erbebte die NAUTILUS wie unter einem Hammerschlag und legte sich spürbar auf die Seite. Diesmal verlor er endgültig das Gleichgewicht. Mike landete unsanft auf dem Boden und sah, wie auch Ben, Juan und Singh gerade noch irgendwo Halt fanden, während Chris vom Stuhl geschleudert wurde. Einzig Hasim stand wie ein Fels hinter dem Steuerpult. Einen Moment später blitzte es draußen ein zweites Mal auf, und eine weitere, noch heftigere Druckwelle traf das Schiff. Die NAUTILUS begann zu schaukeln. »Was war das?« keuchte Ben. Der Blick seiner weit aufgerissenen Augen war auf das Fenster gerichtet. »Da ist etwas explodiert!«

Das tobende Wasser beruhigte sich nur langsam. Die NAUTILUS beschleunigte noch immer, während sie zugleich der Meeresoberfläche entgegenstieg, aber sie schaukelte auch weiterhin so heftig, daß Mike Mühe hatte, wieder auf die Füße zu kommen. Alle redeten durcheinander und überboten sich gegenseitig in Mutmaßungen und Theorien, was dort unten geschehen sein mochte.

Die einzigen, die nichts sagten, waren Mike selbst und Singh.

Sie allein wußten, was dort draußen explodiert war. Mike sah Hasim an, und als er dem Blick seiner Augen begegnete, überkam ihn wieder jenes sonderbare Mitleid, das er sich selbst nicht so richtig erklären konnte. Er wußte, daß sie Yasal niemals wiedersehen würden. Hasims Bruder war zurückgeblieben, um zu tun, weshalb er wahrscheinlich von Anfang an gekommen war: dafür zu sorgen, daß - sollten irgendwann einmal wieder Taucher zum Wrack der TITANIC hinabsteigen -niemand mehr herausfinden würde, was damalswirklichgeschehen war. Das Schiff von den Sternen existierte nicht mehr.

Und ganz plötzlich hatte er wieder Angst. Vielleicht war seine Erleichterung etwas vorschnell gewesen, und vielleicht hatte Singh mit seiner Meinung über die Schwarze Bruderschaft recht und nicht er. Sie hatten sie zwar bisher am Leben gelassen, aber mit einem Mal war er nicht mehr so sicher, daß das auch so bleiben würde. Vielleicht waren sie nicht nur hierhergekommen, um Yasals Brüder aus dem Wrack zu bergen, sondern auch, um die Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen.

Und sie taten es sehr gründlich.

Die nächsten Tage wurden zu einem Wettrennen mit der Zeit. Sie gewannen es, aber buchstäblich um Haaresbreite. Die NAUTILUS fuhr fast die gesamte Zeit unter Wasser, so daß am Ende selbst ihr Sauerstoffvorrat knapp zu werden begann, und Trautmans Gesicht schien sich jedesmal, wenn Mike ihn anblickte, mehr zu verfinstern. Der Steuermann fürchtete um das Schiff. Er hatte die Maschinen, so gut er konnte, überholt, aber Hasim belastete sie bis weit über ihre Grenzen hinaus, und er gefährdete damit nicht nur die NAUTILUS, sondern auch das Leben ihrer Besatzung. Zwei Stunden vor Mitternacht des sechzehnten Februar neunzehnhundertsechzehn erreichten sie die Nilmündung und fuhren hinein, ohne aufzutauchen oder auch nur merklich zu verlangsamen. Hasim hatte wieder das Steuerpult übernommen, wogegen Trautman diesmal nichts einzuwenden hatte. Es war schon gefährlich genug gewesen, das Schiff in diesem Tempo durch das Mittelmeer mit all seinen Untiefen und Inseln zu steuern. Hier, in dem Fluß, der zwar breit, aber nicht besonders tief war, grenzte es an Selbstmord. Sie waren alle wieder im Salon zusammengekommen und blickten abwechselnd zu Hasim, der konzentriert hinter dem Steuer stand, und dem großen Aussichtsfenster. Das Wasser schoß nur so daran vorüber, aber ein paarmal glaubte Mike auch einen dunklen Schatten entlanghuschen zu sehen, und einmal konnten sie alle spüren, wie die NAUTILUS etwas streifte und daran entlangschrammte.

»Wir sind bald auf der Höhe der Pyramiden«, sagte Trautman plötzlich. »Wenn es diesen geheimnisvollen Kanal wirklich gibt, müßten wir ihn allmählich erreichen. «

Niemand antwortete -aber Mike war nicht der einzige, dem sich bei Trautmans Worten die Haare zu Berge stellten. Die Vorstellung, mit der riesigen NAUTILUS durch einen unterirdischen Kanal zu fahren, war schon schlimm genug; es in diesem mörderischen Tempo zu tun, das war etwas, was sich Mike gar nicht vorstellen wollte.

»Ich frage mich, was passiert, wenn wir zu spät kommen«, murmelte Juan.

Mike tauschte einen stummen Blick mit Singh und sah in dessen Augen die gleiche Furcht, die auch an ihm nagte. Offensichtlich dachte Singh an dasselbe wie er: Mike fragte sich nämlich nicht, was geschah, wenn sie es nicht schafften, sondern vielmehr, was passieren würde,wennsie es schafften, die Pyramiden rechtzeitig zu erreichen. Er hatte während der gesamten Fahrt an nichts anderes gedacht, aber keine Antwort auf diese Frage gefunden. Singh und er waren die einzigen Menschen, die das Geheimnis der Schwarzen Bruderschaft kannten.

»Wir werden langsamer«, sagte Trautman plötzlich. Alle wandten sich wieder dem Fenster zu. Das Wasser sprudelte noch immer daran vorüber wie ein Wildbach, doch sie verloren tatsächlich an Geschwindigkeit. Trotzdem schoß die NAUTILUS dreimal so schnell unter Wasser dahin, als es jedem anderen Schiff möglich gewesen wäre.

Und dann, ganz plötzlich, wurde es finster. Das bißchen Licht, das bisher durch das Wasser gedrungen war, erlosch schlagartig.

»Der Kanal«, flüsterte Trautman. »Wir sind drin. « Mike fuhr sich nervös mit dem Handrücken über die Lippen. Seine Hände und Knie zitterten ein wenig, und sein Magen zog sich zu einem schmerzenden Klumpen zusammen. Er konnte die Wände des unterirdischen Kanals nicht sehen, aber seine Phantasie gaukelte ihm ein wahres Labyrinth aus steinernen Speeren und Klingen vor, das nur darauf wartete, die NAUTILUS aufzuspießen. Dabei wußte er nicht einmal, wie groß dieser Kanal war.

»Wir sollten nach oben gehen«, sagte Trautman. »In den Turm. «

»Und wozu?« fragte Ben mit einem schiefen Grinsen. »Um eine bessere Aussicht zu haben?« »Nein«,antwortete Trautman. »Aber vielleicht eine winzige Überlebenschance, falls doch etwas passiert. « Er warf Hasim einen nervösen Blick zu. »Hast du etwas dagegen?«