Выбрать главу

Aber dann hörte er wieder Singhs Schritte, und die Sorge um seinen Freund war größer als seine Furcht. Mike nahm all seinen Mut zusammen und stürmte hinter Gundha Singh die Treppe hinab.

Vor ihm war nichts -keine körperlosen Ungeheuer, die sich auf ihn stürzten, kein Abgrund, der sich jäh unter seinen Füßen auftat, sondern tatsächlich nichts als Dunkelheit. Und doch.. In dieser Dunkelheitwaretwas. Mike konnte es mit fast körperlicher Intensität spüren; so als berührten unsichtbare Spinnweben sein Gesicht und seine Hände. Was er gerade noch als Ausgeburt seiner eigenen überreizten Phantasie abgetan hatte, das wurde jetzt fast zur Gewißheit. Erhatteeine unsichtbare Grenze überschritten. Es war, als wäre er plötzlich gar nicht mehr in seiner Welt, sondern in... Ja, wo eigentlich?

Das Gefühl war so erschreckend, daß er gar nicht bemerkte, daß er das Ende der Treppe erreicht hatte, sondern mit voller Wucht gegen Singh prallte und ihn um ein Haar von den Füßen gerissen hätte. Singh taumelte zur Seite, Mike stolperte einen Schritt zurück und hatte alle Mühe, sein Gleichgewicht zu halten.

»Ist Euch etwas passiert, Herr?« fragte Singh erschrocken.

Mike schüttelte den Kopf und sah sich mit Erstaunen und Unglauben um. Singh und er befanden sich in einem kleinen, vielleicht fünf oder auch acht Schritte messenden Kellerraum, der weder einen zweiten Ausgang noch ein Fenster hatte. Die Wände bestanden aus uraltem, aber trotzdem höchst massivem Mauerwerk. Direkt neben der Tür brannte eine Fackel, die die Kammer in düsterrote, flackernde Helligkeit tauchte. »Wo... wo ist er?« frage Mike verwirrt. Singh hob hilflos die Schultern. Er sagte nichts, aber Mike konnte auf seinem Gesicht dieselbe Verblüffung lesen, die auch er selbst verspürte. Der Mann war fort. »Aber das ist doch unmöglich!« murmelte Mike. Diesmal antwortete Singh. »Ich war nur zwei oder drei Schritte hinter ihm. Ich konnte ihnhören.Aber er ist verschwunden. «

»Unmöglich«, sagte Mike noch einmal -als würde es ausreichen, dieses Wort nur oft genug auszusprechen, um den verschwundenen Fahrer wie aus dem Nichts wieder erscheinen zu lassen, aber es blieb dabei: Der Fremde war spurlos verschwunden. Innerhalb einer einzigen Sekunde und aus einem Kellerraum, der keinen zweiten Ausgang hatte. Jedenfalls keinen, den mansehenkonnte... »Das ist es!« sagte Mike aufgeregt. »Ein Geheimgang. Es muß hier irgendwo eine Geheimtür geben! Komm, hilf mir suchen!«

Singh sah ihn zweifelnd an, und Mike spürte, wie wenig überzeugend seine Worte klangen. Selbst wenn es hier unten eine Geheimtür gab -die Zeit hätte für den Mann nicht ausgereicht, sie zu öffnen, hindurchzuschlüpfen und spurlos wieder hinter sich zu schließen, und das alles in der einen Sekunde, die sein Vorsprung betragen hatte.

Trotzdem protestierte Singh nicht, sondern begann gehorsam die steinerne Wand auf der rechten Seite abzutasten, während Mike auf der linken Seite dasselbe tat. Mit dem Ergebnis, das er sich eigentlich hätte denken können -nämlich keinem. Die Wand war das, wonach sie aussah: alt, modrig und sehr massiv. Plötzlich aber stieß Singh einen leisen, überraschten Ruf aus. Mike fuhr herum und trat mit zwei schnellen Schritten neben ihn. »Was ist?« fragte er. »Hast du die Tür gefunden?«

»Nein, Herr«, antwortete Singh. »Aber seht -das ist -seltsam.

«

Mike runzelte fragend die Stirn und beugte sich weiter vor, um in dem flackernden Licht genauer zu erkennen, was Singh entdeckt hatte.

Es war eine Art Bild, das offenbar schon vor sehr langer Zeit tief in den Stein der Wände hineingemeißelt worden war. Mike mußte wieder einen Schritt zurücktreten, um es in seiner ganzen Größe überblicken zu können. Es schien eine Art Symbol darzustellen. Ein mehr als mannsgroßer Kreis, von dessen Rand gezackte Linien nach außen liefen; so als hätte ein Kind mit krakeliger Hand versucht, eine Sonne zu malen. Auch im Inneren des Kreiseswaretwas, aber Mike konnte beim besten Willen nicht sagen, was. So absurd der Gedanke war, aber die Umrisse schienen sich zubewegen,als versuchten sie, sich seinen Blicken zu entziehen. »Was mag das sein?« fragte Mike erstaunt. Singh zuckte abermals mit den Schultern. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, gestand er. Nach einer Sekunde des Zögerns fügte er hinzu: »Aber es ist irgendwie... gespenstisch. « Mike spürte plötzlich ein eisiges Frösteln. Es war nicht nur so, daß dieses Eingeständnis für den normalerweise so wortkargen Inder schon etwas Besonderes darstellte, es zeigte Mike, daß auch er den Hauch des Fremden, Unheimlichen spürte, von dem Mike sich bis jetzt immer noch eingeredet hatte, daß er ihn sich nur einbildete...

»He, da unten! Was ist los? Lebt ihr noch?« Mike fuhr erschrocken zusammen, aber zugleich war er auch erleichtert, Bens Stimme zu hören, denn ihr Klang riß ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Rasch wandte er sich um und rief: »Alles in Ordnung! Uns ist nichts passiert!« »Na, dann ist es ja gut«, antwortete Ben. »Aber vielleicht bewegt ihr euch mal hier herauf. Hier wird's nämlich brenzlig!«

Mike und Singh tauschten einen raschen, erschrockenen Blick, dann rannten sie gemeinsam los. Der Rückweg nach oben kam Mike viel länger vor als der hinab - es mußten mindestens fünfundzwanzig oder dreißig Stufen sein, und er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, so weit nach unten gelaufen zu sein.

Aber mit diesem sonderbaren Gebäude stimmte ja ohnehin so manches nicht.

Ben erwartete sie mit sichtbarer Ungeduld. »Wo bleibt ihr denn?« fragte er. »Ich habe schon gedacht, ihr hättet dort unten ein kleines Kaffeekränzchen abgehalten. « »Aber wir waren doch nur -« begann Mike, kam jedoch nicht dazu, weiterzusprechen. Ben hatte sie nicht allein erwartet. Hinter ihm hatten sich Chris, Juan und Serena versammelt, und jetzt tauchte auch Trautmann auf. Er war sehr bleich und hatte eine häßliche Platzwunde auf der Stirn, schien aber ansonsten unverletzt zu sein, wie Mike erleichtert feststellte.

»Wo wart ihr so lange?« fragte er in ungewöhnlich ruppigem Ton.

»Er ist uns entkommen«, gestand Mike kleinlaut. »Wir waren direkt hinter ihm, aber er ist einfach verschwunden. Und noch etwas ist sehr eigenartig dort unt-«

»Das spielt jetzt keine Rolle. « Trautmann schnitt ihm mit einer entsprechenden Handbewegung das Wort ab. »Wir müssen hier raus! Gibt es unten einen anderen Ausgang?«

»Nein«, antwortete Mike. »Das ist es ja. Ich -« Er brach abermals mitten im Satz ab, denn was er hinter Trautman und den anderen erblickte, das ließ ihn schlagartig verstehen, was Ben gerade mitbrenzlig werdengemeint hatte.

Das Gebäude, dessen Tür sie durchbrochen hatten, schien eine Art Lagerhaus zu sein. Der Lkw hatte einen ganzen Berg von Kisten und Fässern niedergewalzt, ehe er umgestürzt war, so daß auf dem Boden Holzteile, Metallstücke und die Trümmer der zerborstenen Tür verstreut lagen. Aber die so entstandeneÖffnung war keineswegs leer. Mike schätzte, daß es mindestens zwei Dutzend Männer sein mußten, die sich auf der Straße und am Eingang des Gebäudes versammelt hatten. Und obwohl er gegen das helle Sonnenlicht draußen ihre Gesichter nicht erkennen konnte, spürte er die gespannte Stimmung doch sehr deutlich. Von der Menge ging ein unwilliges Murren und Raunen aus, und Mike sah eine allgemeine, erregte Bewegung. Und es kamen mit jedem Moment mehr Männer hinzu.