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»Warten Sie«, sagte sie. Sie signalisierte die gleiche Aufforderung mit Gesten, als French sie erschrocken ansah, trat rasch an den Schrank heran, aus dem sie die Anzüge geholt hatte, und nahm eine der Sicherheitsleinen heraus. Sie befestigte die Ösen an ihrem und Frenchs Anzug und bedeutete Skudder, das gleiche mit Gurk und Stone zu tun. Außer ihr selbst - und möglicherweise Gurk - hatte keiner von ihnen jemals einen Raumanzug getragen oder sich im leeren Raum aufgehalten.

Ihre Vorsicht erwies sich als keineswegs übertrieben. Kaum war sie hinter French ins Freie geklettert, da spürte sie, wie eine unsichtbare Last von ihr genommen wurde. French schwebte vor ihr im Nichts wie ein bizarrer Riesenfisch an der im Vakuum silbern schimmernden Nylonschnur, und die Außenwand der Orbit-Stadt sackte lautlos unter ihr weg. Sie bewegte sich auf die Art, die sie gelernt hatte, glitt wieder in die entgegengesetzte Richtung und berührte sanft wie ein fallendes Blatt die gekrümmte Außenfläche der Raumstation. Mit einem leisen Klicken schalteten sich die Elektromagnete in den Sohlen ihres Anzuges ein. Sie überzeugte sich davon, sicheren Stand zu haben, dann griff sie nach der Leine und zog French zu sich zurück, was ihr nun vollends das Gefühl gab, einen zu groß geratenen Fisch an der Angel zu haben.

Offensichtlich hatte er auch keine große Erfahrung im Umgang mit Magnetschuhen, denn er versuchte ganz instinktiv, die Füße wieder vom Boden loszureißen, bis Charity ihm zeigte, wie er leichter und mit nur einer sanften Drehung ging, ihm aber gleichzeitig andeutete, es im Moment noch nicht zu tun. Besorgt betrachtete sie sein Gesicht. Der Ausdruck, den sie darauf sah, ließ sich nur noch mit Todesangst bezeichnen. Charity schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß sein Respekt vor ihr und den anderen größer sein möge als seine Angst, dann stellte sie den Helmkontakt wieder her.

Frenchs Atem ging schnell und stoßweise. Er zitterte. »Wir ... wir werden zur Erde gehen«, stammelte er. »Wir werden alle ...«

»Wir werden nichts dergleichen tun«, unterbrach ihn Charity scharf. »Vielleicht nehmen wir Sie eines Tages mit dorthin, French, aber nicht auf diesem Weg. Das würde zu lange dauern und wäre auch nicht besonders bequem. Bitte reißen Sie sich zusammen. Ihnen wird nichts passieren.«

Das Wunder wiederholte sich. French beruhigte sich auch jetzt wieder. Doch wenn auch nur noch die kleinste Kleinigkeit geschah, dachte Charity alarmiert, dann würde er einfach zusammenbrechen und wer weiß was tun. Sie mußte sehr gut auf ihn achtgeben.

»Bitte, French«, fuhr sie eindringlich fort. »Wir haben nicht sehr viel Zeit. Der Sauerstoff reicht nur für zwei Stunden, und sie werden uns wahrscheinlich verfolgen. Zeigen Sie uns den Weg zu Ihrem Hort.«

»Ich ... ich weiß es nicht«, stammelte French. Sein Blick irrte unstet hin und her, drohte, sich in der Schwärze des Weltraums zu verlieren, und tastete über die Orbit-Stadt. Sie hatten einen unglücklichen Ort gewählt, um ins Freie zu gelangen: Die Orbit-Stadt hatte die Form eines riesigen Rades, in dessen Nabe sich der Generator und die wichtigsten Versorgungseinheiten befanden, während die Speichen und das Rad selbst die Wohn- und Arbeitsquartiere der Besatzung aufnahmen. Tatsächlich ähnelte sie verblüffend der klassischen Form einer Weltraumstation, wie sie sich Generationen von Science-Fiction-Autoren und Trickfilm-Spezialisten ausgedacht hatten. Aber sie waren an der Außenseite dieses Rades herausgekommen, so daß sich die künstliche Welt unter ihnen schon nach wenigen Dutzend Schritten zu krümmen begann und hinter dem Horizont verschwand.

Sie deutete hinter sich. »Kommen Sie. Von dort aus haben wir einen besseren Überblick.«

French folgte ihr gehorsam, während Charity mit den ungeschickt tapsenden Schritten eines Menschen, dessen Stiefel ihr möglichstes tun, um ihn am Boden festzunageln, die Krümmung der Stationswand hinaufging. Sie befanden sich auf der Erde und Mond abgewandten Seite der Orbit-Stadt, so daß über ihr nichts als leerer Raum und das Sternendiadem der Milchstraße waren, aber Charity fiel trotzdem auf, daß sich diese Sterne nicht bewegten. Früher hatte sich die Orbit-Stadt um ihre Mittelachse gedreht, um auf diese Weise eine dem Menschen angenehme Schwerkraft an Bord zu schaffen. Die Moroni schienen eine andere Lösung für dieses Problem gefunden zu haben. Künstliche Gravitation, dachte Charity fassungslos. Das war unvorstellbar. Die Wissenschaftler des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts hatten nicht einmal genau gewußt, was Gravitation war.

So primitiv ihr die Technik der Moroni manchmal vorkam, schienen sie auf manchen Gebieten ebenso unvorstellbar weit fortgeschritten zu sein. Vermutlich gaben die unsichtbaren Herrscher im Hintergrund ihren Insektensöldnern stets nur das, was sie unbedingt brauchten.

Und trotzdem, dachte Charity verbittert, war es ihnen nicht gelungen, mit diesem Söldnerheer fertig zu werden. Welchen Sinn hatte ihr Widerstand überhaupt noch? Selbst wenn es ihnen gelang, die Moroni zu vertreiben - wie sollten sie sich gegen einen Angreifer verteidigen, der Materietransmitter baute und Bomben, die eine ganze Sonne zur Nova werden lassen konnten?

Dann waren sie so weit über die Krümmung des Rades hinaus, daß sie seine Oberseite sehen konnten, und Charity vergaß schlagartig alles andere und starrte fassungslos auf das unglaubliche Bild, das sich vor ihnen ausbreitete.

Offensichtlich waren sie nicht nur auf der der Erde abgewandten Seite der Station ausgebrochen, sondern zugleich auch so ziemlich an der einzigen Stelle, die die Moroni nicht um- oder ausgebaut hatten.

Die Orbit-Stadt war schon früher groß gewesen. Jetzt war sie gigantisch. Wohin sie auch blickte, wuchsen rechteckige, runde, zylinder- und kegelförmige Kuppeln aus den Wänden. Auf der anderen Seite des riesigen Rades schwebten drei gewaltige metallene Quader, von denen mindestens einer größer als die Orbit-Stadt selbst sein mußte. Ein irrsinniges Durcheinander von Stahlträgern und Stützen und silberfarbenen, flexiblen Schläuchen verband die einzelnen Teile dieses unglaublichen Gebildes miteinander, und weit entfernt auf der anderen Seite der Basis, halb unter dem künstlichen Horizont verborgen, sah sie ein silbriges Blitzen und Schimmern; wie von einer Münze, die das Sonnenlicht widerspiegelte.

Charity sah noch einmal genau hin und entdeckte mehr und mehr der funkelnden Lichtsplitter, ehe sie ihren Irrtum begriff. Die vermeintliche Münze dort drüben war in Wirklichkeit eine gut dreißig Meter durchmessende, silberfarbene Flugscheibe, die zusammen mit Dutzenden, wenn nicht Hunderten oder gar Tausenden gleichartiger Fahrzeuge an der Orbit-Stadt angedockt hatte. Was vor ihnen lag, das war das Flottenhauptquartier der Moroni.

Aber trotz dieser erstaunlichen Erkenntnis verweilte Charitys Blick nur wenig länger als eine Sekunde auf der gewaltigen Gleiterflotte. Erstaunlicher, erschreckender als alles andere war eine Veränderung, die die Ameisen mit dem Zentrum der Orbit-Stadt vorgenommen hatten. Die gewaltige Weltraumbasis war kein Rad mehr, sondern ein Ring. Jemand hatte die Speichen und die Mittelnabe entfernt und durch etwas ersetzt, das Charity im ersten Moment nicht einmal richtig erkennen konnte, denn es war zwar riesig, aber von nachtschwarzer Farbe und in schneller, routierender Bewegung, so daß sie eigentlich nur ein gelegentliches Aufblitzen von Licht sah. Das Gebilde ähnelte einer ins Absurde vergrößerten Hanteclass="underline" Es bestand aus zwei sicherlich fünfundzwanzig oder dreißig Meter durchmessenden Kugeln, die an den Enden einer vielleicht hundert Meter langen Röhre befestigt waren. Es drehte sich so schnell, daß seine Umrisse zu verschwimmen schienen.