French wollte den Lukendeckel schließen, aber Stark hielt ihn zurück, und French trat verwirrt beiseite. »Warum sollte ich das tun?« fragte er. »Wenn Sie wirklich so unverwundbar und gefährlich sind, wie French behauptet? Wir wissen nicht, ob Sie unsere Freunde oder Feinde sind.«
»Das ist richtig«, sagte Charity. »Aber wenn wir wirklich so unverwundbar wären, wie French sagt, dann wären wir beide ebenso gefährlich für Sie, wie es vier wären.«
Ein Ausdruck, von dem sie nicht wußte, ob es Schrecken oder Zorn war, huschte über Starks Gesicht. Er antwortete nicht.
»Bitte, lassen Sie unsere Freunde herein«, sagte Charity noch einmal. »Sie wissen nicht, was mit uns geschieht und werden sich sorgen. Und ihr Luftvorrat reicht nicht ewig.«
Sie betete, daß Stone nichts Unüberlegtes sagte oder gar tat, aber er hatte entweder wie sie den Ernst der Situation begriffen, oder er verstand gar nicht, in welcher Gefahr sie in diesem Moment schwebten. Jedenfalls sagte er kein Wort, und nach einer endlosen Sekunde deutete Stark auf die Luke und sagte: »Laßt sie herein. Und Sie«, fügte er, an Charity gewandt, hinzu, »erzählen.«
8
Das Insektenheer hatte den Fluß erreicht und wie eine schwarze Woge aus lebendig gewordener Lava einfach verschlungen. Hartmann konnte nicht mehr sehen, was auf der anderen Seite geschah, denn der Rhein war die Grenze gewesen, hinter der die Jared seine Überwachungskameras ebenso schnell zerstört hatten, wie er sie hatte aufstellen lassen. Aber zwischen den brennenden Ruinen blitzte es immer wieder grell auf, und seit die Legionen Morons den Fluß überschritten hatten, hatte sich die Phalanx der Gleiter aufgelöst. Die Schiffe drangen nicht mehr in einer Linie vor, die eine Wand aus Feuer und schmelzendem Gestein wie einen tödlichen Schatten vor sich herschob, sondern rasten einzeln und im Tiefflug über die Ruinen hinweg und gaben dabei kurze, jetzt offensichtlich gezielte Feuerstöße ab.
»Das ist Wahnsinn«, sagte Hartmann. »Ihre Leute haben nicht die geringste Chance, Kyle. Ich ... könnte Ihnen helfen. Wir haben nicht mehr viel, aber es reicht, um diese Gleiter vom Himmel zu holen.«
Kyle drehte sich halb zu ihm herum und lächelte. »Ich weiß, wozu diese Anlage imstande ist«, sagte er. »Aber das ist nicht die Hilfe, die ich von Ihnen brauche.«
Plötzlich spürte Hartmann Zorn. Beinahe anklagend deutete er auf die Bildschirme. »Es sieht so aus, als würden Sie jedes bißchen hier gebrauchen, das Sie kriegen können, Kyle«, sagte er. »Wenn nämlich kein Wunder geschieht, dann werden Sie in spätestens einer halben Stunde niemanden mehr haben, um die Station am Nordpol anzugreifen.«
Kyle antwortete nicht einmal. Er lächelte nur, wandte sich um und konzentrierte sich wieder auf das Geschehen auf den Bildschirmen.
Hartmann hatte plötzlich Lust aufzuspringen und ihn zu packen, ihn zu schütteln und anzuschreien, irgend etwas zu tun, nur nicht länger dazusitzen und hilflos zuzusehen, wie das Millionenheer der Insektenkrieger die Stadt überrollte und sich unaufhaltsam dem Hort der Jared näherten.
Und erst als er diesen Gedanken gedacht hatte, begriff er, was es wirklich bedeutete. Er betrachtete diese zehntausend Männer dort drüben noch immer als Menschen. Er hatte geglaubt, sie zu hassen, aber das stimmte nur zum Teil. Etwas in ihnen war noch immer menschlich, und diese ungezählten Insektenkrieger dort drüben machten jetzt Jagd auf sie.
Auf seinem Schreibtisch begann eine Lampe zu flackern, und Hartmann streckte instinktiv die Hand aus und betätigte einen Schalter. Auf einem der Monitore erlosch das Abbild der brennenden Stadt und machte den dünnen, grünen Linien eines Radarbildes Platz. Die Bunkerstation selbst war als kleiner, heller Punkt in ihrem Zentrum abgebildet. Und von ihrem oberen Rand her näherten sich eine große Anzahl noch kleinerer, aufblinkender Punkte diesem Zentrum.
Hartmann stöhnte leise. »Es sieht so aus, als bekämen sie noch Verstärkung.«
Kyle sah ihn fragend an, blickte kurz auf den Schirm und lächelte wieder, und dieses Lächeln entfachte Hartmanns Wut erneut. Zornig beugte er sich vor. »Seien Sie vernünftig, Kyle!« sagte er beinahe beschwörend. »Das sind mindestens noch einmal hundert Schiffe! Und sie sind in einer Minute hier. Ich kann sie aufhalten.«
»Ich weiß«, sagte Kyle ruhig. »Aber es ist nicht nötig.«
Hartmann starrte ihn an und versuchte, seiner Gefühle Herr zu werden. Kyle mußte wahnsinnig sein. Für einen Moment war Hartmann ernsthaft versucht, seinen Befehl einfach zu ignorieren und zu tun, worum er ihn seit einer halben Stunde beinahe anflehte ...
Aber selbst, wenn er es wirklich gewollt hätte, wäre ihm wahrscheinlich gar keine Zeit mehr dazu geblieben. Die Radarechos auf dem Schirm rasten schneller, viel schneller heran, als er geglaubt hatte. Es verging noch nicht einmal eine Minute, bis sie mit dem grünen Leuchtpunkt im Zentrum des Bildschirmes verschmolzen.
Fast in der gleichen Sekunde tauchten sie am Himmel über der Stadt auf. Und dann geschah etwas, das Hartmann vollkommen aus der Fassung brachte.
Die Flotte bestand aus gut hundert Flugschiffen. Kaum fünfzig Meter über der Erde jagten sie heran - und eröffneten sofort das Feuer auf die Gleiter, die über der Stadt kreisten.
General Hartmann war nicht der einzige, der offensichtlich vollkommen überrascht wurde. Schon der erste Feuerschlag fegte ein Drittel der Moroniflotte vom Himmel. Die Schiffe explodierten, verwandelten sich in grell lodernde Feuerwolken oder torkelten hilflos und brennend zu Boden, wo sie in gewaltigen Explosionen vergingen. Überall in der zerstörten Stadt stiegen Flammenpilze in die Hohe, und die Druck- und Hitzewellen zerstörten alles, was den Lasersalven der Schiffe bisher noch entgangen war.
»Was ...?« stammelte Hartmann. Kyle machte eine rasche Handbewegung zu schweigen, und Hartmann blickte weiter verblüfft und fassungslos auf das unglaubliche Bild. Die neu aufgetauchte Gleiterflotte raste in einer perfekten Formation heran, überquerte den Fluß, wobei die Druckwelle, die sie hinter sich herzerrte, das Wasser wie unter einem gewaltigen Hammerschlag aufspritzen ließ. Immer mehr Gleiter explodierten oder stürzten brennend zur Erde, und an immer mehr Stellen in der Ruinenstadt brachen weißglühende Vulkane aus.
Der Kampf nahm für einen Moment noch an Heftigkeit zu, als die Angreifer ihre geschlossene Formation auflösten und sich jeweils zu zweit oder dritt auf einen der Gleiter warfen, die den ersten Angriff überstanden hatten. Aber er endete auch beinahe ebenso schnell, wie er begonnen hatte. Die Moroni setzten sich mit der Verbissenheit ihrer Spezies zur Wehr, aber sie hatten von Anfang an keine Chance. Die Überraschung und Entschlossenheit, mit der die Angreifer vorgingen, war so groß, daß von den weit über hundert Kampfmaschinen, welche die Stadt in Brand geschossen hatten, nur eine Handvoll entkam. Nicht einmal eine Minute, nachdem der plötzliche Überfall stattgefunden hatte, existierte keiner von ihnen mehr. Der Himmel über der Stadt hing noch immer voller riesiger, silberner Flugscheiben, aber der tödliche Feuerregen hatte aufgehört.
Trotzdem zog sich etwas in Hartmann schmerzhaft zusammen, als er das Bild auf den Monitoren betrachtete. Die Stadt brannte wie ein einziger, gewaltiger Scheiterhaufen. Die explodierenden Gleiter und brennenden Trümmerstücke hatten ganze Straßenzüge pulverisiert und gigantische Krater in den Boden gerissen, in dem rotglühendes Magma brodelte. Der Fluß kochte.
Erschüttert löste Hartmann seinen Blick von der Monitorwand und sah Kyle an. »Großer Gott«, flüsterte er. »Wer ist das? Das sind Moronischiffe! Es sind ihre eigenen Maschinen!«
Statt zu antworten, streckte Kyle plötzlich die Hand aus und berührte eine Taste unter einem der Monitore. Das Bild zoomte heran, und auch Hartmann beugte sich neugierig vor. Die Kamera zeigte einen Ausschnitt des östlichen Rheinufers. Das Wasser brodelte. Schmelzendes Gestein ergoß sich zischend in die Fluten und ließ Dampf aufsteigen, der das gegenüberliegende Ufer binnen Sekunden ihren Blicken entzog. Tausende von reglosen Insektenkörpern trieben im Wasser, und ebenso viele strebten in heller Panik vom Ufer fort. Die gewaltige Moroni-Armee, die noch vor weniger als fünf Minuten zum Sturm auf die wehrlose Stadt angetreten war, befand sich jetzt in kopfloser Flucht.