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»Glaubst du nicht, daß du uns allmählich ein paar Erklärungen schuldig bist, Gurk?« fragte sie.

Im ersten Moment schien Gurk gar nicht auf ihre Worte reagieren zu wollen. Er starrte weiter mit leerem Blick an ihr vorbei, aber dann sah er doch auf, straffte die Schultern und versuchte vergeblich, eine seiner Grimassen zu ziehen. »Ich wüßte nicht, warum.«

»Was war mit diesem Transmitter los?« fragte Charity. »Was um alles in der Welt hat Leßter getan?«

»Ich werde ihn fragen, wenn ich ihn treffe«, knurrte Gurk. In ärgerlichem Tonfall fügte er hinzu: »Woher zum Teufel soll ich das wissen?«

»Du warst nicht besonders überrascht«, sagte Charity.

Gurk zog wieder eine Grimasse zur Antwort. Auch in seinen Augen hatte sich eine tiefsitzende Furcht eingenistet, aber wieder hatte Charity das Gefühl, daß seine Angst einen anderen Grund hatte, als sie auch nur ahnte.

»Bitte, Gurk«, sagte sie müde. »Hör auf. Ich bin es einfach leid, Verstecken mit dir zu spielen. Du weißt mehr über die Transmitter, als du zugibst.«

Natürlich hatte sie damit gerechnet, daß Gurk das rundheraus abstreiten würde. Erstaunlicherweise aber blickte er sie nun an und lächelte plötzlich bitter. »Da hast du sogar recht«, sagte er. »Aber glaub es oder glaub es nicht - was vorhin passiert ist, das hat mich genauso überrascht wie euch. Ich habe eine Theorie, das ist alles.«

»Und die wäre?«

»Sie ist so gut oder so schlecht wie jede andere Erklärung, die du dir aus den Fingern saugen kannst«, antwortete Gurk. »Aber bitte - du weißt, wie diese Transportmaschinen funktionieren?«

»Sicher«, antwortete Charity und schüttelte den Kopf.

Gurk lächelte müde. »Ich weiß es auch nicht«, sagte er. »Ich meine - ich kenne das Funktionsprinzip, aber die Technik, die es möglich macht, ist mir genauso rätselhaft wie dir.«

»Ich habe keine Konstruktionszeichnung von dir verlangt«, erinnerte ihn Charity mit sanftem Spott.

»Im Grunde funktionieren die Dinge wie Radio- oder Fernsehsender«, erklärte Gurk. »Nur ein bißchen komplizierter.«

Charity blickte zweifelnd. »Ein Radiosender überträgt Töne«, sagte sie.

»Falsch«, antwortete Gurk. »Informationen, Kleines. Und mehr tun die Transmitter auch nicht. Eure Sender zerlegen das, was man hineingibt, in übertragbare Informationen und wandeln es im Empfänger wieder um. Genauso funktioniert ein Transmitter. Sie tasten jedes einzelne Atom eines Körpers ab, verschlüsseln die Informationen und schicken sie zum Empfänger. Dort wird er neu geschaffen - nach dem Muster, das empfangen wurde.«

Charity war nicht sicher, ob sie begriff, was er sagte. »Du meinst, er ... überträgt nicht wirklich Materie?«

Gurk schüttelte heftig den Kopf. »Das ist nicht möglich«, sagte er. »Die Dinge sind nicht wirklich Materiesender. Sie vernichten und schaffen neu.« Er kicherte, als er Charitys verblüfften Gesichtsausdruck bemerkte. »Ja, ja, es ist schon so - im Grunde stirbst du, wenn du einen Transmitter betrittst. Die meisten glauben, daß er das, was man hineinschickt, in seine Bestandteile zerlegt und irgendwie wieder zusammensetzt. Aber das ist Unsinn. Er vernichtet und schafft neu. Und jetzt frage mich bitte nicht, wie das funktioniert. Ich weiß es nämlich nicht.«

Charity sah ihn weiter verwirrt an - und dann begriff sie den Fehler in dieser Theorie. »Das kann nicht sein«, sagte sie.

»Ach?« entgegnete Gurk höhnisch. »Und wieso nicht?«

»Vielleicht klappt das bei einem Stein - oder einem Buch oder meinetwegen sogar bei einer Pflanze. Aber du und ich, Gurk, wir bestehen nicht nur aus Materie.« Sie tippte sich mit den Fingerspitzen an die Schläfe. »Da ist noch etwas.«

»Auch deine Erinnerungen sind nur Materie«, antwortete Gurk. »Chemie. Ziemlich kompliziert, zugegeben, aber trotzdem nur Chemie.«

»Und der Rest?« fragte Charity. »Das Bewußtsein? Die ... Seele?«

Gurk schwieg einen Moment. »Siehst du«, sagte er dann, »damit triffst du den Nagel genau auf den Kopf. Über diesen Punkt zermartere ich mir das Gehirn, seit ich weiß, wie diese Dinger funktionieren. Wahrscheinlich wird sie irgendwie mit übertragen.«

»Sicherlich«, antwortete Charity spöttisch.

Gurk blieb ernst. »Irgendwie muß es funktionieren«, sagte er. »Sonst wären wir nicht hier. Oder gleich zwei- oder dreimal.«

Charity dachte an das unheimliche Auftauchen ihrer Doppelgängerin, das sie mit eigenen Augen beobachtet hatte. Sie wußte sehr gut, daß Gurk und sie im Grunde nichts anderes taten, als wild herumzuraten. Und doch waren sie auf dem richtigen Weg. Was Gurk über die Funktionsweise des Transmitters behauptet hatte, war die einzige Erklärung, die einen Sinn ergab. Was immer Leßter getan hatte, er hatte den Transmitter irgendwie dazu gebracht, die empfangenen Informationen nicht zu löschen, sondern sie immer wieder und wieder zu verarbeiten - und damit immer neue, identische Kopien der Körper erschaffen, die auf der anderen Seite in den Empfänger getreten waren.

Aber es waren nur Körper gewesen, nicht mehr. Sie hatte sich selbst aus dem Transmitter taumeln sehen, eine leblose Hülle, der jeder Funke des Lebens fehlte, und sie hatte gesehen, wie dasselbe mit Gurk und Skudder und Stone geschah, solange die zuerst erschaffene Kopie noch am Leben war. Offensichtlich ließ sich das, was den Unterschied zwischen belebter und unbelebter Materie ausmachte, nicht kopieren. Der Gedanke hatte etwas Beruhigendes.

Hinter ihr erklangen Schritte, und als sie sich herumdrehte, erblickte sie French, der in seinem Ameisenkostüm aus Gummi gebückt durch die Tür geschlurft kam. Der Anblick hatte nichts von seiner unheimlichen Wirkung verloren, obwohl Frenchs Aufzug im Grunde lächerlich war. Er trug eine schwarze einteilige Kombination, die verdächtige Ähnlichkeit mit einem umfunktionierten Taucheranzug hatte. An beiden Hüften waren Schläuche aus dem gleichen Material befestigt, die lose an seinem Körper herabpendelten und in leeren Handschuhen endeten, und statt eines Taucherhelmes hatte er etwas auf dem Kopf, das wie der völlig mißlungene Versuch aussah, den Schädel einer Moroni-Ameise nachzubauen. Ganz offensichtlich hatte er versucht, mit diesem Anzug das Aussehen eines Moroni-Soldaten nachzuahmen. Er sah nicht einmal aus wie eine schlechte Imitation.

Was allerdings nichts daran änderte, daß die Ameisen darauf hereinfielen.

Mehr als einmal in den vergangenen beiden Stunden war es French gewesen, dessen bloße Anwesenheit ihnen das Leben rettete. Warum auch immer - ganz offensichtlich hielten die Moroni ihn für einen der ihren, und ein paarmal hatte dieser Irrtum Charity und den anderen die winzige Zeitspanne verschafft, die sie brauchten, um als erste das Feuer zu eröffnen oder die Flucht zu ergreifen. Sie verstand den wahren Grund einfach nicht. Frenchs Anzug war dunkel, hatte sechs statt vier Gliedmaßen und einen rabenschwarzen Schädel mit zwei halb blinden Plexiglaskuppeln anstelle der Facettenaugen.

French blieb zwischen ihr und Gurk stehen, ließ sich in die Hocke gleiten und nahm den bizarren Helm ab. Das Gesicht, das darunter zum Vorschein kam, war allerdings kaum weniger bizarr. French war ganz eindeutig ein Mensch, aber vor fünfzig oder sechzig Jahren, dachte Charity, hätte er die besten Aussichten gehabt, auf Anhieb eine Hauptrolle in einem Horrorfilm zu bekommen, ohne sich großartig dafür schminken zu müssen.

Sein Gesicht hatte die Farbe einer acht Tage alten Wasserleiche; seine Züge wirkten sonderbar verschoben; als bestünde das Gesicht in Wahrheit aus Wachs, das einen Moment zu lange in der Sonne gelegen hatte - nicht lange genug, um wirklich zu schmelzen, aber doch lange genug, um Schaden zu nehmen. Und trotzdem war diese äußerliche Veränderung nicht einmal das schlimmste. Was weitaus erschreckender war, was Charity noch immer mit einem eiskalten Schauer erfüllte und sie zweifeln ließ, ob French wirklich noch ein Mensch war, waren die Veränderungen, die nicht auf der Hand lagen. French sah aus wie ein Mensch, er bewegte sich in etwa wie ein Mensch, aber Charity war nicht sicher, ob er wirklich noch wie ein Mensch dachte und handeln würde.