Выбрать главу

Sie verscheuchte den Gedanken und rang sich ein mühsames Lächeln ab, als ihr klar wurde, daß sie French seit einer geraumen Zeit anstarrte. Sie hätte French auch eine Stunde anstarren können, und er wäre die ganze Zeit ebenso reglos und stumm und mit gesenktem Blick vor ihr stehengeblieben. Als eines der größten Hindernisse ihrer Verständigung hatte sich das Problem erwiesen, French daran zu hindern, sie und die anderen ständig wie Götter zu behandeln und ihnen wenn möglich die Füße zu küssen.

»Ja?« fragte sie.

»Ich ... habe den Gang erkundet, Herr ... Charity«, verbesserte sich French hastig und noch immer mit gesenktem Blick. »Er ist sicher. Wir können weitergehen.«

»Danke, French«, sagte Charity. Der Klang ihrer Stimme und ihr Gesichtsausdruck sprachen eine andere Sprache. Sie konnten nicht hierbleiben. Aber es gab auch keinen Ort, wohin sie gehen konnten. »Wohin führt der Gang?«

»Ich ... bin nicht sicher«, antwortete French zögernd. Er begann, unbehaglich von einem Fuß auf den anderen zu treten. »Ich bin noch niemals so weit in das Nest vorgedrungen«, gestand er. Leiser fügte er hinzu: »Niemand ist das bisher.«

Charity seufzte tief. »Na wunderbar«, sagte sie.

»Ich würde ihm nicht trauen«, sagte Stone. »Wahrscheinlich überlegt er schon, wie er uns am besten an die Morons verkaufen kann.«

Charity schenkte ihm einen bösen Blick. Stone hatte wie sie alle kaum ein Wort gesprochen, seit sie den Transmittersaal verlassen hatten. Aber es war typisch für ihn, daß das erste, was er dann sagte, als er endlich wieder den Mund auftat, eine an den Haaren herbeigezogene Beschuldigung war. Charity fand es nicht einmal der Mühe wert, darauf zu antworten.

Gurk aber wurde wütend. »Blödsinn!« sagte er heftig. »Die einzige Gefahr ist wohl, daß ihm ein Moroni einen Heiratsantrag macht.« Er lachte kurz und gequält auf, und Charity seufzte erneut und stand umständlich auf, ehe Stone antworten und Gurk die Gelegenheit ergreifen konnte, einen Streit vom Zaun zu brechen. Der Zwerg machte keinen Hehl daraus, daß er Stone die Schuld an ihrer Situation gab. Wahrscheinlich hatte er recht damit. Nur nutzte es keinem von ihnen, wenn sie das bißchen Energie, das sie noch aufbringen konnten, damit vergeudeten, sich zu streiten.

Angeführt von French, der seine Insektenmaske wieder übergestülpt hatte, verließen sie die kleine Kammer. Charity spürte ein eisiges Frösteln, als sie hinter French auf den Gang hinaustrat. Alles hier war so ... vertraut. Und zugleich auf schreckliche Weise völlig anders, als sie es in Erinnerung hatte. Vielleicht machte gerade diese Tatsache es so schlimm: diese Mischung aus Altem und Wohlbekanntem und zugleich vollkommener Fremdartigkeit. Sie hatte bisher auf alle entsprechenden Fragen Skudders und der anderen beharrlich geschwiegen, aber sie wußte sehr wohl, wo sie sich befanden. Sie hatte es beinahe im allerersten Moment begriffen, schon bevor sie die Transmitterhalle verlassen und French in das Gewirr von Gängen und von mit Spinnweben erfüllten Hallen gefolgt waren. Es gab keinen Zweifel. Eine Weile hatte sie beinahe hysterisch versucht, sich selbst davon zu überzeugen, daß sie sich irrte, daß es ein Zufall war, eine unglaubliche Duplizität von Ereignissen; zwei Dinge, die dem gleichen Zweck dienten und daher auch gleich aussahen.

Natürlich stimmte das nicht, und das wußte sie sehr gut.

Vielleicht hätte sie sich ja noch einreden können, daß eine Raumstation eben eine Raumstation war, gleichgültig, ob sie von irdischen oder außerirdischen Astronauten erbaut wurde. Aber warum hätten die Moroni wohl die Beschriftungen an den Abzweigungen und Korridoren in englisch anbringen sollen?

Nein - die Wahrheit war, daß sie sich in der Orbit-Stadt befanden. Sie alle hatten angenommen, daß die gewaltige Raumstation genauso wie alle anderen militärischen Einrichtungen der Menschen beim ersten Angriff der Moroni zerstört worden war, aber das war ein Trugschluß gewesen. Die Orbit-Stadt existierte, und es gab sogar Überlebende, wie Frenchs plötzliches Erscheinen eindeutig erwiesen hatte.

Allerdings ...

Als wäre da etwas in ihr, das sie zwang, immer wieder über diesen sonderbaren, kleinwüchsigen Mann nachzudenken, blickte sie wieder zu French hinüber. Er bewegte sich fünf oder sechs Schritte vor ihnen den Korridor entlang, geduckt, mit abgehackten, starren Schritten - im Grunde ging er nicht, sondern stakste, eine unbeholfene Imitation des eckigen Insektengangs der Moroni, schon beinahe rührend in seiner Hilflosigkeit.

Doch die Ameisenkrieger fielen darauf herein. Vor einer Stunde hatte French vor Charitys Augen einen Moroni getötet, und die Ameise hatte nicht einmal versucht, sich zur Wehr zu setzen. Offenbar hatte sie nicht einmal begriffen, daß sie getäuscht worden war, als French seine Harpunenwaffe hob und ihr einen Stahlpfeil durch den Chitinpanzer jagte. Sie hatte French mehrmals angeboten, eine der erbeuteten Moroniwaffen zu nehmen, aber French hatte die Strahlengewehre nur mit einem fast angewiderten Blick bedacht, den Kopf geschüttelt und seine selbstgebaute Harpunenwaffe behalten.

Sie gelangten an eine Kreuzung des Ganges, und French blieb stehen. Einen Moment lang sah er sich unschlüssig um, dann wollte er sich nach rechts wenden, aber Charity hielt ihn mit einer Geste zurück und deutete in die entgegengesetzte Richtung. »Dort entlang.«

French machte eine Bewegung mit beiden Händen, die sie im ersten Moment nicht verstand; dann begriff sie, daß es für die Moroni einem Kopfnicken gleichkam. Mit dem Überstreifen seines Anzuges hatte French auch die Gestik der Außerirdischen übernommen.

Auch dieser Gang endete nach wenigen Dutzend Schritten an einer weiteren Kreuzung. Charity wurde zusehends ratloser. Es war eine Zeitlang her, daß sie hier im Schlaftank gelegen hatte. Aus der simplen Abzweigung, die sie kannte, war ein Kreuzungspunkt mit einem halben Dutzend in alle Richtungen führender Tunnel geworden, außerdem führte ein Schacht in die Tiefe. Charity beugte sich vor und erkannte die asymmetrisch geformten Metallösen, die die Moroni als Leiter benutzten. Offensichtlich hatten sie die Station nicht nur besetzt, sondern auch begonnen, sie nach ihren Bedürfnissen umzubauen.

»Wollen wir hier Wurzeln schlagen, oder gehen wir weiter?« fragte Gurk.

Charity blieb einen weiteren Moment unschlüssig stehen, dann deutete sie mit einer Kopfbewegung auf den nach unten führenden Schacht. Sie hatte keine Ahnung, wohin er führte, aber sie wußte, daß sie sich ziemlich nahe am Zentrum der Weltraumstadt aufhielten. Mit einer hastigen Bewegung hängte sie das Gewehr über die Schulter und wollte nach der obersten Stufe der Leiter greifen, aber French schüttelte rasch den Kopf und schob sich mit einer überraschend geschmeidigen Bewegung an ihr vorbei.

Charity wußte aus eigener Erfahrung, wie schwierig und unbequem es für einen Menschen war, die für einen Sechsbeiner erdachte Leiterkonstruktion zu benutzen. Aber French schien damit keine Schwierigkeiten zu haben. Rasch kletterte er vor Charity die Wand hinunter und hielt nach der Hälfte der Strecke inne.

Er legte den Kopf in den Nacken und sah auffordernd zu ihnen auf. Plötzlich bemerkte Charity ein Detail, das sie in Schrecken versetzte. Als sie das letzte Mal hier gewesen war, da hatte sie Schuhe mit Magnetsohlen tragen müssen, denn in der Orbit-Stadt herrschte eine Gravitation, die kaum einem Zehntel der Erdanziehungskraft entsprach. Jetzt war die Schwerkraft vielleicht sogar ein wenig höher, als sie es gewohnt war. Vielleicht stammten die Moroni also von einer Welt mit einer höheren Gravitation als der Erde.

Sie beeilte sich, French zu folgen. Hinter ihr kamen Stone, dann Skudder und als letzter Gurk, der erstaunlicherweise die geringsten Schwierigkeiten mit der Moroni-Leiter hatte, obwohl er kaum größer als ein zwölfjähriges Kind war.