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Aber alles in ihm schreckte davor zurück, sich einzugestehen, daß es außer der Welt, die er kannte, und dem Universum der Invasoren, noch eine dritte, unsichtbare Ebene des Seins gab. Tatsache aber blieb, daß seine Männer verschwanden, unaufhörlich einer nach dem anderen. Vielleicht würde es auch nicht aufhören. Vielleicht würden noch einmal zwei Wochen oder zwei Monate oder auch zwei Jahre vergehen, bis auch der letzte Mann zu einem Teil jenes gigantischen Kollektivbewußtseins geworden war, das sich Jared nannte und über Tausende von Körpern verfügte. Vielleicht würde eines Tages sogar er gehen. Der Gedanke ließ ihn frösteln. Er dachte an das kurze Gespräch mit Kyle zurück, und er glaubte das, was der Megamann ihm gesagt hatte: daß es nichts war, wovor er sich fürchten mußte. Es war nicht der Tod, nicht die Veränderung in etwas Fremdes, nicht einmal der Verlust seiner Menschlichkeit, sondern die Verschmelzung zu etwas Neuem, Gewaltigen, das nicht nahm, sondern nur gab. Ja, er glaubte Kyle. Aber er hatte die Jared gesehen. Er hatte den leeren Ausdruck in ihren Gesichtern erblickt, und die Gleichmütigkeit, mit der sie ihr Schicksal hinnahmen; und was er gesehen hatte, das hatte ihn einen geheimen Entschluß fassen lassen: In der Pistole an seiner rechten Hüfte befanden sich neun Kugeln. Eine davon war für ihn.

Hartmann verscheuchte auch diesen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm. Zumindest eines glaubte er zu erkennen: Wenn nicht alles, was er jemals als Soldat gelernt hatte, falsch war, dann beobachteten sie die Vorbereitung einer Invasion.

Andererseits war das vollkommen unmöglich. Die Zahl der Moroni, die in den letzten Tagen in der näheren Umgebung von Köln eingetroffen waren, mußte in die Zehntausende gehen. Und sie hatten genug Waffen aufgehäuft, um einen kleinen Planeten einzuäschern. Die Vorstellung, daß dieses ganze Aufgebot nur hier war, um es mit einer Handvoll abtrünniger Ameisen und ihren menschlichen Verbündeten aufzunehmen, die nicht einmal Waffen hatten, war lächerlich.

»Wieviel Zeit bleibt ihnen noch?« fragte Net.

Hartmann blickte auf die roten Leuchtziffern der Digitaluhr, die zwischen den Bildschirmen an der Wand hing. »Nicht ganz sechsunddreißig Stunden«, sagte er.

Sechsunddreißig Stunden. Für einige Sekunden hing Nets Blick wie gebannt an den roten Leuchtziffern. Dann fragte sie. »Werden Sie es tun?«

Hätte er doch eine Antwort auf diese Frage gewußt. »Ich schätze«, sagte er schließlich ausweichend, »es spielt keine Rolle, ob ich es will oder nicht.«

»Danach habe ich nicht gefragt«, sagte Net.

»Ich weiß«, knurrte Hartmann. Er fragte sich, ob es ihr Vergnügen bereitete, ihn immer wieder in Verlegenheit zu bringen. Er begriff aber im gleichen Augenblick, wie ungerecht diese Frage war, und entschuldigte sich in Gedanken bei ihr. Die Frage war nicht, ob er es tun würde. Die Frage, die Net bewegte, war, ob sie es tun würde. Wenn er ja sagte, dann nahm er ihr damit einen Teil der Verantwortung ab. Und es spielte überhaupt keine Rolle, daß nicht Net es war, deren Finger auf dem Auslöser lag.

Er räusperte sich, wartete, bis sie darauf reagierte und ihn ansah, und sagte mit fester Stimme: »Ja. Ich werde es tun. Und ich werde Ihnen auch sagen, warum. Es spielt keine Rolle, ob ich Captain Laird und die anderen damit umbringe oder nicht. Wenn sie es geschafft hat, dann ist sie in Sicherheit, wenn die Rakete einschlägt. Wenn nicht, dann sterben wir sowieso alle - ein paar Tage früher oder später.«

Net sagte nichts, aber sie wußten beide, daß es nicht wahr war. Es spielte eine Rolle. Es war gleich, ob es sich um wenige Tage, um Jahre oder auch nur um Stunden handelte - was zählte war, daß er es war, der sie töten würde, nicht die Nova-Bombe der Moroni.

Nets Frage war ohnehin falsch gestellt gewesen. Er brauchte gar nichts mehr zu tun. Er mußte einfach die Dinge ihren vorbestimmten Lauf nehmen lassen. Noch sechsunddreißig Stunden und der Computer würde ein Funksignal an einen zweiten Rechner in einen nur von Maschinen und Elektronik gesteuerten Teil der Anlage Hunderte von Kilometern entfernt senden und kurz hintereinander die vier ICBMs starten, die dort seit achtzig Jahren auf ihren Einsatz warteten. Hartmann zweifelte keine Sekunde daran, daß sie noch funktionierten. Vier Raketen waren erbärmlich wenig, doch mehr als genug, um mit ihren vier Mehrfachsprengköpfen die Schwarze Festung der Moroni in eine radioaktive Wolke zu verwandeln.

Bei der Vorstellung überkam ihn eine sonderbare Empfindung, nicht nur pure Angst, sondern das Gefühl, einen Frevel zu begehen. Die Welt der Atombomben war vor einem halben Jahrhundert untergegangen, und er hatte nicht das Recht, vielleicht als einzigen Teil jener verlorenen Vergangenheit ausgerechnet deren größten Wahnsinn wiederzubeleben. Er fragte sich, ob sie alle auch nur irgend etwas aus dem gelernt hatten, was ihrer Welt zugestoßen war.

Er begegnete wieder Nets Blick und las die gleiche Frage in ihren Augen. Barsch und beinahe erschrocken wandte er sich ab. Dann sah er die Anzeige der Digitaluhr. Sie hatten noch ...

3

»... fünfunddreißig Stunden und nicht ganz fünfzig Minuten«, sagte Charity und schob den Ärmel über ihre Uhr zurück.

»Wie bitte?« fragte Stone.

»Ich sagte: Noch knapp sechsunddreißig Stunden«, antwortete Charity, »bis Hartmann seine Raketen startet.« Nach einer genau bemessenen Pause fügte sie hinzu: »Sollte es also noch irgend etwas geben, was Sie uns bisher zu erzählen vergessen haben, Stone, sollten Sie sich beeilen.«

Stone starrte sie mit einer Entrüstung an, die nicht gespielt war. »Ich dachte, wenigstens Sie hätten begriffen, daß ich auf Ihrer Seite stehe, Captain Laird.«

Charity antwortete nicht darauf, und Stone fuhr in vorwurfsvollem Ton fort. »Das Ganze hier war meine Idee, schon vergessen?«

»Nun ja ...« sagte Skudder zweifelnd.

»Laß ihm doch die Ehre«, bemerkte Gurk spöttisch. Er sah sich demonstrativ um. »Nach allem, was bisher passiert ist, würde ich sagen, es war eine Scheißidee. Wir hätten dabei draufgehen können.«

»Falsch«, sagte Skudder ruhig. »Wir sind draufgegangen, Kleiner.«

»Hört auf«, sagte Charity scharf. Nicht einmal so sehr, um den ohnehin nicht ernstgemeinten Streit zwischen den beiden zu beenden, sondern weil ihr das Thema unangenehm war. Wer redete schon gern über seinen eigenen Tod?

Gurk setzte zu einer Entgegnung an, schwieg dann aber vorsichtshalber, und Charity ging mit zwei, drei schnellen Schritten an ihm und Skudder vorbei, um wieder an French auf zuschließen.

French humpelte noch immer leicht; offensichtlich hatte er sich bei dem Sturz doch schwerer verletzt, als sie bisher angenommen hatte. Der Anblick versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Es war einer jener dummen, überflüssigen Unfälle gewesen, die einfach nicht passieren durften. Sie wagte gar nicht daran zu denken, was geschehen wäre, hätte French sich wirklich ernsthaft verletzt.

»Ist es noch weit bis zu deinen Leuten?« fragte sie.

Das aus Gummi und Haar nachgeahmte Insektengesicht starrte sie an. Die Antwort kam erst nach einem Zögern, das eine Spur zu lang war, um Frenchs Furcht ganz zu verbergen. »Weit nicht«, sagte French. »Aber ich weiß nicht, ob wir es schaffen.«

»Wieso?« fragte Charity alarmiert. Ganz automatisch hob sie den Blick und sah nach vorn, wo sich der Korridor nach einigen Dutzend Schritten wieder verzweigte.

French schien ihre Gedanken zu erraten, denn er machte die verneinende Geste der Moroni und sagte: »Hier unten sind selten Spinnen. Aber wir müssen durch die Tote Zone.«

Charity fragte ihn nicht, was er mit dem Begriff Tote Zone meinte. Die Kommunikation zwischen French und ihnen hatte sich als schwierig genug erwiesen. French sprach ein so sonderbares Englisch, daß sie manchmal Mühe hatten, ihm zu folgen. Sein Wortschatz war der eines Menschen, der in einer völlig anderen Umgebung aufgewachsen war; er benutzte zwar die gleichen Worte wie alle anderen, aber sie bedeuteten oft genug etwas anderes.