Sie wussten es vermutlich nicht, doch Dalton hatte ja bereits mit Snip darüber geredet, den Stein ins Rollen zu bringen. Allerdings war ihm klar, dass er ihm selber eine andere Richtung würde geben müssen.
Stein, drüben zur anderen Seite Hildemaras sitzend, schmiss sein Brot angewidert auf den Tisch.
»Das Brot ist angebrannt!«
Dalton seufzte. Der Mann schien Gefallen an seinen lächerlichen Wutausbrüchen zu finden. Nicht auf ihn zu achten wäre tückisch, da er wie ein kleines Kind jederzeit etwas anstellen konnte, um beachtet zu werden. Sie hatten ihn in ihrer Unterhaltung übergangen.
»Wir hatten ein paar Probleme mit den Öfen unten in der Küche«, erklärte Dalton. »Wenn Ihr dunkles Brot nicht mögt, schneidet doch die verbrannte Kruste ab.«
»Ihr habt Probleme mit Hexen!«, brüllte er. »Und dann unterhaltet Ihr Euch über das Abschneiden von Brotkrusten? Das ist Eure Lösung?«
»Wir haben Probleme mit den Öfen«, entgegnete Dalton mit äußerster Selbstbeherrschung, während er einen aufmerksamen Blick in den Raum warf, um festzustellen, ob irgend jemand den Mann beachtete. Ein paar Frauen, zu weit entfernt, um etwas mitzubekommen, zwinkerten ihm zu. »Wahrscheinlich ein verstopfter Aschegang. Wir werden das morgen reparieren lassen.«
»Hexen«!, wiederholte Stein aufgebracht. »Hexen haben Banne ausgesprochen, damit das Brot hier verbrennt. Jedes Kind weiß doch, wenn eine Hexe in der Nähe ist, kann sie nicht widerstehen, Banne auszusprechen, damit das Brot anbrennt.«
»Dalton«, raunte Teresa, »er kennt sich mit Magie aus. Vielleicht weiß er etwas, von dem wir nichts ahnen.«
»Er ist ein abergläubischer Mensch, weiter nichts.« Dalton lächelte ihr zu. »Wie ich Stein kenne, erlaubt er sich einen Scherz mit uns.«
»Ich könnte Euch helfen, sie aufzuspüren.« Stein kippte seinen Sessel nach hinten und ging daran, mit einem Messer unter seinen Fingernägeln herumzustochern. »Ich kenne mich mit Hexen aus. Wahrscheinlich haben Hexen diese Frau getötet und die andere vergewaltigt. Da Ihr offenkundig nicht dazu imstande seid, werde ich sie für Euch finden. Ich könnte einen weiteren Skalp für meinen Umhang gebrauchen.«
Dalton warf seine Serviette auf den Tisch und entschuldigte sich bei Teresa. Er erhob sich, ging mit großen Schritten um den Minister und seine Gemahlin herum und beugte sich dicht an Steins Ohr. Der Mann stank.
»Ich habe meine Gründe, die Dinge so zu tun, wie ich es für richtig halte«, zischte Dalton leise. »Wenn wir es auf meine Weise machen, kriegen wir dieses Pferd dazu, das Feld für uns zu pflügen, unseren Karren zu ziehen und unser Wasser zu schleppen. Wollte ich einfach nur sein Fleisch, könnte ich auf Euch verzichten; ich würde es eigenhändig schlachten.
Ich habe Euch schon einmal gewarnt, auf Eure Worte zu achten, aber da Ihr es offenkundig nicht begriffen habt, werde ich es Euch ein weiteres Mal erklären, und zwar auf eine Weise, dir sogar Ihr begreift.«
Stein grinste, dass man seine gelben Zähne sah. Dalton beugte sich noch näher.
»Das Problem, um das es hier geht, ist zum Teil auf Euch selbst und Eure Unfähigkeit zurückzuführen, etwas freundlich anzunehmen, das man Euch aus freien Stücken zur Verfügung stellt. Stattdessen hieltet Ihr es für angebracht, ein Mädchen mit Gewalt zu nehmen, das weder bereit noch willig war. Was passiert ist, kann ich nicht mehr ändern, aber solltet Ihr Euch noch einen einzigen Patzer dieser Art erlauben, um Aufsehen zu erregen, werde ich Euch eigenhändig die Kehle aufschlitzen und Euch in einem Korb zum Kaiser zurücksenden. Ich werde ihn bitten, uns jemanden zu schicken, der etwas mehr Verstand als ein brünstiges Schwein besitzt.«
Dalton presste Stein sein in der Handfläche verborgenes Stiefelmesser, von dem nur die äußerste Spitze zu sehen war, gegen die Unterseite seines Kinns.
»Ihr befindet Euch in Gegenwart Eurer Vorgesetzten. Und jetzt erklärt den guten Leuten hier an der Tafel, dass Ihr Euch nur einen derben Spaß geleistet habt. Und noch etwas, Stein – macht, dass es überzeugend klingt, sonst werdet Ihr die Nacht nicht überleben, das schwöre ich.«
Stein erklärte sich lachend einverstanden. »Ich mag Euch, Campbell. Wir beide sind uns ziemlich ähnlich. Ich bin sicher, wir werden miteinander ins Geschäft kommen; Euch und dem Minister wird die Imperiale Ordnung gefallen. Wir sind, trotz Eurer geckenhaften Tanzerei beim Abendessen, aus ein und demselben Holz.«
Dalton kehrte zu Hildemara und Bertrand zurück. »Stein möchte etwas loswerden. Sowie er damit fertig ist, muss ich fort und einige brandneue Informationen einsehen. Ich glaube, möglicherweise habe ich die Namen der Mörder.«
42
Snip eilte durch den schlecht beleuchteten Korridor. Rowley hatte ihm erklärt, es sei wichtig. Morleys nackte Füße patschten über den Holzfußboden, für Snip mittlerweile ein eigenartiges Geräusch. Es hatte eine Weile gedauert, bis Snip, der nie Stiefel getragen hatte, sich an ihren Klang gewöhnt hatte. Jetzt fand er das Geräusch nackter Füße sonderbar. Sogar mehr als sonderbar. Das Geräusch erinnerte ihn an sein Dasein als barfüßiger Küchenbursche, und an diesen Teil seines Lebens wurde er nur ungern erinnert.
Bote zu sein war, als sei ein Traum in Erfüllung gegangen.
Durch die offenen Fenster wehten die Klänge der Musik auf dem Fest herein. Die Frau mit der Harfe spielte und sang. Snip mochte den reinen Klang ihrer Stimme sehr, wenn sie zu ihrer Harfe sang.
»Hast du überhaupt eine Ahnung, um was es geht?«
»Nein«, meinte Snip. »Aber ich glaube nicht, dass wir zu dieser späten Stunde noch eine Nachricht überbringen sollen. Erst recht nicht, wenn gerade ein Fest gefeiert wird.«
»Hoffentlich dauert es nicht lange.«
Snip wusste, was Morley meinte. Sie hatten eben erst angefangen, sich zu betrinken. Morley hatte eine fast volle Flasche Rum aufgetrieben, und jetzt freuten sie sich darauf, sich besinnungslos betrinken zu können. Nicht nur das, Morley hatte überdies ein Mädchen aus der Wäscherei dabei, das er kannte, und das gemeint hatte, es wolle sich mit ihnen zusammen betrinken. Snip bekam Herzklopfen, wenn er daran dachte, was das bedeutete.
Davon und von der simplen Tatsache abgesehen, dass er sich gerne voll laufen ließ, wollte er auch seine Unterredung mit Beata vergessen.
Im Vorzimmer war niemand, der Raum strahlte eine vollkommene Ruhe aus. Rowley hatte sie nicht zurückbegleitet, daher waren sie nur zu zweit. Dalton Campbell, der langsam mit auf dem Rücken verschränkten Händen auf und ab ging, erblickte sie und winkte sie herein.
»Da seid ihr beiden ja. Gut.«
»Was können wir für Euch tun, Meister Campbell?«, fragte Snip.
Das eigentliche Büro wurde von Lampen erhellt, die ihm eine gewisse Wärme verliehen. Das Fenster stand offen, und die leichten Vorhänge wehten in einer sanften Brise hin und her. Die Schlachtstandarten raschelten leicht im Durchzug.
Dalton Campbell seufzte. »Wir stecken in Schwierigkeiten. Schwierigkeiten wegen Claudine Winthrop.«
»Was für Schwierigkeiten denn?«, fragte Snip. »Können wir irgend etwas tun, um sie aus der Welt zu schaffen?«
Der Adjutant des Ministers wischte sich mit der Hand übers Kinn.
»Ihr seid gesehen worden.«
Snip spürte, wie ihm eine eiskalte Welle der Angst kribbelnd den Rücken hinaufkroch. »Gesehen? Wie meint Ihr das?«
»Nun, du erinnerst dich bestimmt, wie du mir erzählt hast, du hättest eine Kutsche halten hören, woraufhin ihr alle zu diesem Teich geflohen seid, um euch ins Wasser zu werfen.«
Snip musste schlucken. »Ja, und weiter, Sir?«
Dalton Campbell seufzte abermals. Er trommelte mit einem Finger gegen den Schreibtisch, während er zu überlegen schien, wie er es in Worte kleiden sollte.