Dalton Campbell streckte die Hand aus. Snip hatte noch nie einem Anderier die Hand gegeben, aber es war ein gutes Gefühl. Er kam sich vor wie ein Mann. Dalton Campbell gab auch Morley die Hand.
»Viel Glück euch beiden. Ich würde euch raten, ein paar Pferde zu beschaffen. Ihr solltet sie kaufen und nicht stehlen, sonst bringt sie das auf eure Spur. Ich weiß, es wird nicht einfach werden, aber versucht ganz normal aufzutreten, um nicht den Argwohn der Leute zu erwecken.
Geht vorsichtig mit dem Geld um, werft es nicht für Prostituierte oder Rum zum Fenster hinaus, sonst ist es ausgegeben, bevor ihr euch verseht. Wenn es dazu kommt, wird man euch fassen, und ihr werdet nicht mehr lange genug leben, um an den Krankheiten zu sterben, die ihr euch bei den Prostituierten geholt habt.
Wenn ihr im Umgang mit dem Geld euren Verstand gebraucht und sparsam damit umgeht, wird es euch ein paar Jahre lang gute Dienste leisten, sodass ihr ein neues Leben anfangen könnt, wo immer es euch gefällt.«
Snip streckte den Arm vor und schüttelte ihm abermals die Hand. »Vielen Dank für all die guten Ratschläge, Meister Campbell. Wir werden Euren Rat befolgen. Wir werden uns Pferde kaufen und fliehen. Macht Euch um uns keine Sorgen. Morley und ich haben schon einmal auf der Straße gelebt. Wir wissen, wie wir vermeiden können, von Anderiern angegriffen zu werden, die uns etwas antun wollen.«
Dalton Campbell setzte ein Lächeln auf. »Da ist wohl etwas dran. Möge also der Schöpfer über euch wachen.«
Als Dalton auf das Fest zurückkehrte, fand er Teresa, auf seinem Platz sitzend, in eine angeregte Unterhaltung mit dem Minister vertieft vor. Ihr fröhlich helles Lachen übertönte das allgemeine Stimmengewirr, das Bertrands vergnügtes Lachen mit einem Bass unterlegte. Hildemara, Stein und die Kaufleute am anderen Tafelende waren in ihre eigene getuschelte Unterhaltung versunken.
Lächelnd ergriff Teresa Daltons Hand. »Da bist du ja, Liebling. Kannst du wenigstens jetzt bei uns bleiben? Bitte, ja? Bertrand, Ihr müsst Dalton sagen, dass er zu viel arbeitet. Gelegentlich muss er auch mal etwas essen.«
»Aber ja, Dalton, Ihr arbeitet härter als jeder Mann, dem ich bisher begegnet bin. Eure Gemahlin ist erschreckend einsam ohne Euch. Ich habe mir größte Mühe gegeben, sie zu unterhalten, leider interessiert sie sich nicht für meine Geschichten, das hat sie mir überaus höflich zu verstehen gegeben. Dabei möchte sie mir doch nur erklären, was für ein tüchtiger Mann Ihr seid, als wüsste ich das nicht längst.«
Während sie auf ihren Platz zurückkehrte, forderten Bertrand und Teresa ihn auf, wieder Platz zu nehmen. Dalton bat seine Frau mit erhobenem Finger inständig noch um einen Augenblick Geduld. Er ging um sie herum, legte einen Arm dem Minister, den anderen seiner Frau um die Schultern und beugte sich zwischen die beiden. Die beiden neigten die Köpfe nach innen.
»Soeben erhielt ich neue Informationen, die meinen Verdacht bestätigen. Wie sich herausstellte, waren die ersten Berichte über das Verbrechen übertrieben. Claudine Winthrop wurde in Wirklichkeit von nur zwei Männern ermordet.« Er reichte dem Minister ein zusammengefaltetes, mit einem Wachssiegel verschlossenes Stück Papier. »Hier sind ihre Namen.«
Bertrand nahm das Papier entgegen, während das Lächeln auf dem Gesicht seiner Gemahlin zusehends breiter wurde.
»Und jetzt hört mir bitte aufmerksam zu«, fügte Dalton hinzu. »Ich war ihnen bereits dicht auf den Fersen. Bevor es mir jedoch gelang, sie zu verhaften, stahlen sie einen erheblichen Betrag von den Küchengeldern und ergriffen die Flucht. Eine umfassende Fahndung ist bereits im Gang.«
Eine Braue fragend hochgezogen, blickte er von einem Gesicht zum anderen, um sich zu vergewissern, ob sie verstanden, dass er nicht grundlos eine Geschichte erfand. Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm, dass ihnen die verborgene Bedeutung hinter seinen Worten nicht entgangen war.
»Morgen, so es Euch beliebt, verkündet Ihr die Namen der Männer auf diesem Stück Papier. Sie arbeiten in der Küche. Sie haben Claudine Winthrop vergewaltigt und ermordet. Außerdem haben sie ein hakenisches Mädchen vergewaltigt, das für den Metzger Inger arbeitet. Und jetzt haben sie die Küchengelder gestohlen und sind geflohen.«
»Aber wird sich das hakenische Mädchen nicht dazu äußern müssen?«, fragte Bertrand, besorgt, sie könnte abstreiten, es seien diese beiden gewesen, und, wenn man sie zu einer Aussage zwang, statt dessen ihn beschuldigen.
»Unglücklicherweise war die Qual zu viel für sie, und sie ist fortgelaufen. Wohin, wissen wir nicht, wahrscheinlich zu entfernten Verwandten, jedenfalls wird sie nicht wiederkommen. Der Stadtwache ist ihr Name bekannt; sollte sie je versuchen, zurückzukommen, werde ich als Erster davon erfahren und mich persönlich um ihre Befragung kümmern.«
»Dann wird sie also nicht hier sein, um der Verurteilung der Mörder zu widersprechen.« Der finstere Ausdruck kehrte auf Hildemaras Gesicht zurück. »Warum sollten wir ihnen eine Nacht Vorsprung lassen, damit sie fliehen können? Das ist doch unsinnig. Die Leute werden eine Hinrichtung sehen wollen. Eine öffentliche Hinrichtung. Wir könnten ihnen ein ziemliches Spektakel bieten. Es gibt nichts Besseres als eine öffentliche Hinrichtung, um das Volk zufrieden zu stellen.«
Dalton atmete nachsichtig durch. »Die Leute werden wissen wollen, wer es getan hat. Bertrand wird ihnen die Namen geben. Damit wäre in aller Augen bewiesen, dass das Büro des Ministers die Mörder gefunden hat. Ihre Flucht vor der öffentlichen Verkündigung ihrer Namen ist nur ein weiterer Beweis für ihre Schuld.«
Jetzt war es an Dalton, die Stirn zu runzeln. »Alles, was darüber hinausgeht, könnte uns Ärger seitens der Mutter Konfessor einhandeln. Das wäre Ärger, der unsere Kontrollmöglichkeiten überstiege.
Eine Hinrichtung würde keinem erkennbaren Zweck dienen und birgt womöglich große Risiken. Die Menschen werden zufrieden sein, wenn sie wissen, wir haben das Verbrechen gelöst, und die Verbrecher weilen nicht mehr unter ihnen. Weiteres würde jetzt, da wir auf der Schwelle zu den Herrschergemächern stehen, alles aufs Spiel setzen.«
Hildemara wollte Einwände erheben.
»Der Mann hat Recht«, entschied Bertrand mit Nachdruck.
Sie ließ sich erweichen. »Schon möglich.«
»Ich werde morgen eine Bekanntmachung verlesen, mit Edwin Winthrop an meiner Seite, vorausgesetzt, sein Gesundheitszustand lässt es zu«, meinte Bertrand. »Sehr gut, Dalton. Sehr gut, fürwahr. Dafür habt Ihr Euch eine Belohnung verdient.«
Endlich lächelte auch Dalton. »Oh, auch das habe ich bereits ganz genau durchdacht, Minister.«
Bertrands durchtriebenes, nach innen gekehrtes Lachen kehrte zurück. »Zweifellos, Dalton. Zweifellos.« Das Kichern ging in ein aus dem Bauch kommendes Lachen über, das sogar seine Frau ansteckte.
Snip musste sich die Tränen aus den Augen wischen, als er und Morley durch die Flure des Anwesens eilten. Sie gingen, so schnell sie konnten, ohne zu rennen, immer an Daltons Worte denkend, sie sollten versuchen, sich normal zu verhalten. Sahen sie eine Wache, änderten sie rasch ihre Route, um nicht von nahem gesehen zu werden. Von weitem war Snip nichts weiter als irgendein Bote, und Morley ein auf dem Anwesen beschäftigter Arbeiter.
Aber wenn sie einer Wache begegneten und diese sie anzuhalten versuchte, würden sie davonrennen müssen. Glücklicherweise übertönte der Lärm des Festes das Geräusch ihrer Füße auf dem Holzfußboden.
Snip hatte einen Einfall, der ihnen bei ihrer Flucht hilfreich sein könnte. Ohne Erklärung zupfte er Morley am Ärmel und drängte ihn, ihm zu folgen. Snip führte sie ins Treppenhaus. Zwei Stufen auf einmal nehmend, rannten sie bis in das darunterliegende Stockwerk.
Snip bog zweimal um die Ecke und hatte wenig später den gewünschten Raum gefunden. Es war niemand dort. Die beiden schlüpften, eine Lampe in der Hand haltend, hinein und schlossen die Tür.
»Bist du verrückt, Snip, uns hier einzuschließen? Wir könnten längst auf halbem Weg nach Fairfield sein.«
Snip benetzte sich die Lippen. »Nach wem suchen sie, Morley?«