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»Nach uns!«

»Nein, ich meine, nach wem glauben sie ihrer Meinung nach zu suchen? Nach einem Boten und einem Küchenjungen, richtig?«

Morley, der immer wieder zur Tür blickte, kratzte sich am Kopf. »Kann schon sein.«

»Nun, das hier ist die Rüstkammer des Anwesens – wo ein Teil der Botentrachten untergebracht ist. Bevor eine Näherin mir meine Uniform angepasst hat, bekam ich eine von hier unten, die ich tragen sollte, bis sie mit meiner fertig war.«

»Na ja, wenn du deine Uniform hast, was sollen wir dann…«

»Zieh dich aus.«

»Warum denn das?«

Snip entfuhr ein verzweifeltes Knurren. »Sie suchen einen Boten und einen Küchenjungen, Morley Wenn du dir eine Botentracht anziehst, sind wir zwei Boten.«

Morleys Brauen schossen in die Höhe. »Oh! Keine schlechte Idee.«

In Windeseile hatte Morley seine verdreckten Küchenjungenlumpen abgelegt. Snip hielt die Lampe vor sich und suchte in den Regalen nach den Uniformen für die Boten des Adjutanten des Ministers. Er warf Morley ein Paar dunkelbraune Hosen zu.

»Passen die?«

Morley schlüpfte in die Beine und zog sie hoch. »Geht so.«

Snip zog ein weißes Hemd mit Rüschenkragen heraus. »Und wie steht es hiermit?«

Snip sah zu, wie Morley es zuzuknöpfen versuchte. Es war zu klein und passte nicht über Morleys breite Schultern.

»Leg es wieder zusammen«, meinte Snip und machte sich auf die Suche nach einem anderen.

Morley warf das Hemd beiseite. »Warum so viele Umstände?«

»Heb es auf und falte es wieder zusammen. Willst du, dass man uns schnappt? Es soll nicht so aussehen, als wären wir hier unten gewesen. Wenn niemand weiß, dass Kleidung gestohlen wurde, können wir leichter fliehen.«

»Ach so«, sagte Morley. Er hob das Hemd vom Fußboden auf und ging daran, es mit seinen groben Händen zusammenzulegen.

Snip reichte ihm ein anderes, das nur ein kleines bisschen zu groß war. Kurz darauf entdeckte Snip ein Ärmelwams, auf das ein ineinander verschlungenes Füllhornmuster genäht war. Die Säume waren mit dem unverwechselbaren schwarzbraunen, zopfartigen Weizenährenband von Daltons Boten abgesetzt.

Morley schob seine Arme in die Ärmel; es saß wie angegossen.

»Wie sehe ich aus?«

Snip hielt die Lampe in die Höhe. Er stieß ein leises Pfeifen aus. Sein Freund war erheblich kräftiger gebaut als er. In der Botenuniform hatte Morley beinahe etwas Edles. Snip hatte seinen Freund nie für gut aussehend gehalten, doch jetzt sah er wirklich prächtig aus.

»Morley, du siehst besser aus als Rowley«

Morley grinste. »Tatsächlich?« Das Grinsen erlosch. »Machen wir, dass wir hier rauskommen.«

Snip deutete auf seine Füße. »Stiefel. Du brauchst Stiefel, sonst siehst du albern aus. Hier, zieh die Strümpfe über, sonst läufst du dir Blasen.«

Morley zog die Strümpfe über, dann setzte er sich auf den Fußboden und hielt sich die Sohlen der Stiefel unter die Füße, bis er ein passendes Paar gefunden hatte. Snip hieß ihn all seine alten Kleidungsstücke einsammeln, damit niemand merkte, dass sie dort gewesen waren und einen Botenanzug gestohlen hatten, selbst wenn dessen Fehlen bemerkt werden sollte – in der Kammer lagerten eine Menge Botentrachten, und sie war zu unaufgeräumt, als dass man auf Anhieb hätte feststellen können, ob ein Anzug fehlte.

Als sie Stiefelschritte auf dem Flur hörten, blies Snip die Lampe aus. Er und Morley standen wie erstarrt im Dunkeln. Sie waren zu verängstigt, um zu atmen. Die Stiefelschritte kamen näher. Snip hätte am liebsten die Flucht ergriffen, doch dafür hätten sie zur Tür hinauslaufen müssen, und genau dort befanden sich die Männer.

Männer. Er stellte fest, dass es die Stiefelschritte zweier Männer waren. Wachen. Wachen, die ihre Runde machten.

Abermals überkam Snip ein Gefühl von Panik, als er sich vorstellte, wie er vor einer jubelnden Menge hingerichtet wurde. Schweiß rann ihm den Rücken hinunter.

Die Tür ging auf.

Snip konnte den Mann sehen, der, sich vor dem schwachen Licht im Flur abhebend, mit dem Türknauf in der Hand dastand. Er konnte das Schwert an der Hüfte des Mannes sehen.

Snip und Morley standen ein Stück weiter hinten in der Kammer, in einem Gang zwischen den Regalen. Das lange Lichtrechteck von der Tür fiel quer über den Boden bis kurz vor Snips Stiefel. Er hielt den Atem an und wagte nicht, auch nur einen Muskel zu rühren.

Vielleicht, überlegte er, konnte der Gardist, dessen Augen noch an die Helligkeit gewöhnt waren, die beiden nicht sehen, wie sie hier im Dunkeln standen.

Der Gardist schloss die Tür und ging mit seinem Kameraden weiter, der weitere Türen auf dem Gang öffnete. Der Klang der Schritte verhallte in der Ferne.

»Snip«, flüsterte Morley mit zittriger Stimme, »ich muss fürchterlich dringend mal wohin. Können wir jetzt von hier verschwinden? Bitte.«

Snip musste sich zusammenreißen, um seine Stimme wieder zu finden. »Klar.«

In völliger Dunkelheit steuerte er auf die Stelle zu, wo er meinte, die Tür gesehen zu haben. Das Licht im menschenleeren Flur war ein willkommener Anblick. Die beiden liefen zum nächsten Ausgang, dem Dienstbotenzugang unweit der Kammer des Brauers. Unterwegs warfen sie Morleys alte Kleider in den Lumpenbehälter in der Nähe der Anlieferrampe.

Sie hörten den alten Brauer betrunken ein Lied grölen. Morley wollte Halt machen und etwas zu trinken stehlen. Snip fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als er sich Morleys Vorschlag durch den Kopf gehen ließ. Auch er fand die Idee nicht schlecht. Einen ordentlichen Schluck hätte er in diesem Augenblick wirklich gut gebrauchen können.

»Nein«, meinte er schließlich leise. »Ich hab keine Lust, wegen eines Schlucks Schnaps hingerichtet zu werden. Wir haben reichlich Geld und können uns später etwas zu trinken kaufen. Ich will hier keine Sekunde länger bleiben als unbedingt nötig.«

Morley willigte widerstrebend ein. Sie stürzten durch den Lieferanteneingang hinaus auf die Rampe. Snip vorneweg, rannten sie die Stufen hinunter – jene Stufen, die Claudine heraufgekommen war, als er und Morley zum ersten Mal mit ihr gesprochen hatten. Hätte sie doch nur auf sie gehört und getan, was Snip ihr geraten hatte.

»Nehmen wir unsere Sachen etwa nicht mit?«, fragte Morley Snip blieb stehen und betrachtete seinen Freund, der im Schein der Fenster des Anwesens stand.

»Besitzt du irgendwas, für das es sich zu sterben lohnt?«

Morley kratzte sich hinterm Ohr. »Na ja, vermutlich nicht. Nur ein hübsch geschnitztes Steckspiel, das mir mein Vater geschenkt hat. Sonst besitze ich außer meinen anderen Kleidern praktisch nichts, und das sind eigentlich bloß Lumpen. Dieser Anzug ist besser als sie alle zusammen – meine Kleider für die Bußversammlung eingeschlossen.«

Die Bußversammlung. Snip überkam ein Gefühl der Freude, als ihm klar wurde, dass sie nie wieder eine Bußversammlung würden besuchen müssen.

»Also ich hab auch nichts, was sich mitzunehmen lohnte. In meiner Truhe liegen noch ein paar Kupfermünzen, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was wir jetzt in den Taschen haben. Ich würde sagen, wir gehen nach Fairfield und kaufen uns Pferde.«

Morley zog ein Gesicht. »Kannst du etwa reiten?«

Snip vergewisserte sich, dass keine Wachen in der Nähe waren. Er versetzte Morley einen leichten Stoß, damit es weiterging.

»Nein, aber ich schätze, das werden wir schnell genug lernen.«

»Schätz ich auch«, meinte Morley. »Aber lass uns zahme Pferde kaufen.«

Als sie die Straße erreichten, warfen sie beide einen letzten Blick auf das Anwesen.

»Ein Glück, dass wir von hier verschwinden«, meinte Morley. »Besonders nach dem, was heute hier passiert ist. Was bin ich froh, dass ich nicht mehr in diese Küche muss.«

Snip blickte seinen Freund stirnrunzelnd an. »Was redest du da?«

»Hast du nichts davon gehört?«

»Gehört? Was denn? Ich war in Fairfield und hab Nachrichten überbracht.«

Morley packte Snip am Arm, so dass sie gezwungen waren, keuchend stehen zu bleiben. »Von dem Feuer? Du hast nichts von dem Feuer gehört?«