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Die Frau lächelte. »Sehr gut. Wie lautet denn dein Name?«

»Beata, Ma’am.«

»Sehr gut, Beata. Wir versuchen hier, Minister Chanboors Beispiel zu folgen und Gutes zu tun.«

»Deswegen bin ich ja hergekommen, Ma’am, um Gutes zu tun.«

»Ich bin Lieutenant Yarrow Du kannst mich mit Lieutenant ansprechen.«

»Yes, Ma … Lieutenant. Dann darf ich also der Armee … beitreten?«

Lieutenant Yarrow deutete mit ihrer Feder auf einen Sack. »Heb den Sack dort drüben hoch.«

Beata wuchtete den leinenen Sack hoch; er schien lose mit Brennholz gefüllt zu sein. Sie schob eine Hand darunter und hielt ihn mit einem Arm auf ihrer Hüfte fest.

»Ja, Lieutenant? Was soll ich damit machen?«

»Heb ihn auf die Schulter.«

Beata hievte ihn hoch, legte ihren Arm, leicht nach vorne geschoben, um den Sack, damit sich die Muskeln wölbten und das Holz nicht auf ihren Schulterknochen zu liegen kam. Sie wartete.

»Na gut«, meinte Lieutenant Yarrow. »Du kannst ihn wieder absetzen.«

Beata stellte ihn an seinen alten Platz zurück.

»Du hast bestanden«, meinte der Lieutenant. »Meinen Glückwunsch. Soeben hat sich dein Traum erfüllt. Du bist aufgenommen in die anderische Armee. Hakenier können nie vollständig von ihrem Wesen geläutert werden, hier jedoch wird man dich achten, und du wirst Gutes tun können.«

Plötzlich empfand Beata ein Aufwallen von Stolz; sie war machtlos dagegen.

»Vielen Dank, Lieutenant.«

Lieutenant Yarrow deutete mit ihrer Feder fuchtelnd über ihre Schulter. »Nach hinten raus, ganz am Ende des schmalen Ganges, wirst du unmittelbar unterhalb des Festungswalls einen Misthaufen finden. Bring deinen Beutel dorthin und wirf ihn zu dem übrigen Abfall.«

Beata war schockiert und sprachlos. Die Schuhe ihrer Mutter befanden sich darin, sie waren teuer gewesen, ihre Eltern hatten jahrelang auf diese Schuhe gespart. In ihrem Beutel befanden sich Erinnerungsstücke, die Freundinnen ihr geschenkt hatten. Beata kämpfte mit den Tränen.

»Muss ich die Lebensmittel, die mir Inger mitgegeben hat, auch wegwerfen, Lieutenant?«

»Die Lebensmittel auch.«

Beata wusste, wenn eine Anderierin den Befehl zu etwas gab, dann war es richtig, und sie musste es tun.

»Ja, Lieutenant. Würdet Ihr mich dann entschuldigen, damit ich mich darum kümmern kann?«

Die Frau taxierte sie einen Augenblick lang. Ihr Ton wurde ein wenig milder. »Es ist nur zu deinem Besten, Beata. Diese Dinge stammen aus deinem alten Leben. Es wäre nicht gut für dich, an dein altes Leben erinnert zu werden. Je eher du es aus deiner Erinnerung löschst, mitsamt der Lebensmittel, desto besser.«

»Ja, Lieutenant.« Beata nahm all ihren Mut zusammen. »Der Brief, Ma’am. Kann ich den Brief behalten, den Inger mir mitgegeben hat?«

»Da es sich um ein Empfehlungsschreiben und nicht um eine Erinnerung an dein altes Leben handelt, kannst du ihn von mir aus behalten. Du hast ihn dir durch deine vielen Dienstjahre bei diesem Mann verdient.«

Beata berührte die Anstecknadel, die ihren Ausschnitt am Hals zusammenhielt – jene mit dem spiralförmigen Ende, die Snip ihr zurückgegeben hatte. Es war ein Geschenk ihres Vaters, bevor dieser einem Fieber erlegen war.

»Und die Anstecknadel, Lieutenant Yarrow? Soll ich die auch fortwerfen?«

Als sie ihrem Vater bei der Fertigung der schlichten Nadel zugesehen hatte, hatte er ihr erklärt, sie symbolisiere, wie alles miteinander verbunden sei, selbst wenn man das von der Stelle, an der man gerade steht, nicht erkennen könne, und wie alles – folgte man der steten Kreisbewegung – eines Tages auf einen bestimmten Punkt hinauslaufe. Er hatte sie beschworen, sich stets ihre Träume zu bewahren. Und wenn sie Gutes tue, würden diese Träume eines Tages in Erfüllung gehen, selbst wenn dies erst im Leben nach dem Tode geschehe und es die Gütigen Seelen persönlich wären, die ihre Wünsche erfüllten. Es war eine alberne Geschichte für kleine Kinder, sie gefiel ihr trotzdem.

Der weibliche Lieutenant betrachtete die Nadel mit zusammengekniffenen Augen. »Ja. Von jetzt an wird dir das Volk der Anderier alles bereitstellen, was du benötigst.«

»Ja, Lieutenant. Ich freue mich darauf, ihm gute Dienste zu leisten und es für die einmalige Chance zu entschädigen, die mir niemand sonst hätte bieten können.«

Ein Lächeln milderte die Züge der Frau. »Du bist klüger als die meisten Frauen, die hierher kommen, Beata. Klüger als die meisten Männer und Frauen. Du begreifst schnell und du akzeptierst, was man von dir verlangt. Das ist eine wertvolle Eigenschaft.«

Der weibliche Lieutenant erhob sich hinter dem Schreibtisch. »Ich glaube, bei entsprechender Ausbildung könntest du eine gute Anführerin werden – vielleicht als Sergeant. Die Ausbildung ist härter als die eines einfachen Soldaten, aber wenn du die Anforderungen erfüllst, wirst du in ein, zwei Wochen deine eigene Unterabteilung befehligen.«

»Meine eigene Unterabteilung befehligen? In ein, zwei Wochen?«

Der weibliche Lieutenant zuckte die Achseln. »In der Armee zu sein ist nicht schwer. Ganz sicher einfacher als Metzger zu lernen.«

»Müssen wir nicht auch kämpfen lernen?«

»Gewiss, das Kämpfen ist als Grundlage ohne Zweifel wichtig, eigentlich aber eine überholte Funktion der Armee. Früher war die Armee ein Sammellager für alle Extremisten. Der blinde Eifer der Krieger erstickt die Gesellschaft, mit deren Schutz sie beauftragt sind.«

Sie lächelte abermals. »Die wichtigste Eignung ist Köpfchen, und in dieser Hinsicht sind Frauen mehr als ebenbürtig. Dank der Dominie Dirtch ist Muskelkraft eher nebensächlich. Die Waffe ersetzt die Muskelkraft, und in dieser Funktion ist sie unbesiegbar.

Frauen verfügen über das natürliche Einfühlungsvermögen, das man als Offizier braucht – denke zum Beispiel daran, wie ich dir erklärte, du müsstest deine alten Sachen fortwerfen. Männer machen sich nicht die Mühe, ihren Soldaten die Notwendigkeit irgendeiner Handlung zu erklären. Führerschaft bedeutet, diejenigen, die dem eigenen Befehl unterstellt sind, zu erziehen. Frauen bringen in das, was früher nicht viel mehr war als eine wilde Gemeinschaft mit dem Ziel der Zerstörung, Natürlichkeit ein.

Den Frauen, die Anderith verteidigen, wird die Anerkennung zuteil, die ihnen zusteht und die sie verdient haben. Wir helfen der Armee, einen Beitrag zu unserer Kultur zu leisten, statt diese, wie zuvor, einfach nur zu bedrohen.«

Beatas Blick fiel auf das Schwert an Lieutenant Yarrows Hüfte. »Werde ich auch ein Schwert und alles andere tragen dürfen?«

»Und alles andere, Beata. Schwerter dienen dazu, einen Gegner zu verwunden, um ihn abzuschrecken, und man wird dir beibringen, wie man das macht. Du wirst ein wertvolles Mitglied des dreiundzwanzigsten Regiments werden. Wir alle sind stolz darauf, unter Bertrand Chanboor zu dienen, dem Minister für Kultur.«

Das dreiundzwanzigste Regiment. Das war es also, wo Inger ihr geraten hatte, einzutreten.

Das dreiundzwanzigste Regiment bediente und bewachte die Dominie Dirtch. Inger hatte gesagt, Soldaten, die die Dominie Dirtch bedienten, hätten den besten Posten in der Armee und wären am besten angesehen. Er hatte sie als ›Elite‹ bezeichnet.

Beata musste an Inger zurückdenken. Fast kam es ihr vor, als sei das ein anderes Leben gewesen.

Sie hatte seine Metzgerei gerade verlassen wollen, als Inger sie sachte am Arm gefasst und sie noch einmal zu sich umgedreht hatte. Er hatte gesagt, er glaube, ein Mann auf dem Anwesen habe ihr sehr wehgetan, und sie gebeten, ihm zu erzählen, ob das stimme. Sie hatte genickt. Er hatte sie gebeten, ihm zu verraten, wer es gewesen sei.

Beata hatte ihm die Wahrheit gebeichtet.

Daraufhin hatte er sich geräuspert und erklärt, endlich verstehe er, warum sie fortgehen müsse. Inger war vermutlich der einzige Anderier, der ihr geglaubt hatte. Und dem es etwas ausmachte.

Inger hatte ihr ein gutes Leben gewünscht.