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Nur, das war gar nicht ich.«

Schwester Georgia schreckte abermals zurück. »Aber … aber Verna wurde doch zur Prälatin ernannt.«

»Ja, ich weiß. Ich habe den Befehl eigenhändig zu Papier gebracht, wenn du dich erinnerst.« Die Frau nickte. Ann fuhr fort: »Ich hatte meine Gründe, nichtsdestoweniger bin ich recht lebendig, wie du vermutlich sehen kannst.«

Endlich setzte Schwester Georgia den Eimer ab und fiel Ann um den Hals.

»Ach, Prälatin! Prälatin!«

Mehr brachte Schwester Georgia nicht heraus, dann fing sie an zu weinen wie ein kleines Kind. Ann gelang es, sie rasch mit einigen knappen Worten zu beruhigen. Sie waren nicht am richtigen Ort, um in einer derart vertraulichen Situation gesehen zu werden. Ihr beider Leben stand auf dem Spiel, und Ann durfte nicht zulassen, dass sie es wegen einer hemmungslos weinenden Frau verloren.

»Prälatin, was ist nur los mit Euch? Ihr stinkt nach Kot und seht fürchterlich aus!«

Ann lachte amüsiert. »Ich habe mich nicht getraut, meine Schönheit vor allen diesen Männern offen zur Schau zu stellen, sonst hätte ich wahrscheinlich mehr Heiratsangebote bekommen, als ich ablehnen könnte.«

Schwester Georgia lachte, doch das Lachen ging abermals in Tränen über. »Es sind wilde Bestien. Alle miteinander.«

Ann tröstete sie. »Ich weiß, Schwester Georgia, ich weiß.« Sie hob das Kinn der Frau. »Du bist eine Schwester des Lichts. Kopf hoch, und zwar auf der Stelle. Was diesem Körper angetan wird, ist nicht wirklich von Belang. Unsere ewigen Seelen sind es, um die wir uns kümmern müssen. Bestien aus diesem Leben können unserem Körper antun, was immer ihnen beliebt, aber unsere reine Seele ist für sie unerreichbar.

Und jetzt benimm dich wie das, was du bist: eine Schwester des Lichts.«

Schwester Georgia lächelte unter Tränen. »Danke, Prälatin. Ich habe Eure Schelte gebraucht, um mich an meine Berufung zu erinnern. Manchmal vergisst man viel zu leicht.«

Ann besann sich auf ihren Plan. »Wo sind die anderen?«

Schwester Georgia deutete rechts an Ann vorbei und ein Stück weit nach hinten. »Dort drüben.«

»Seid ihr alle zusammen?«

»Nein, Prälatin. Einige der Schwestern haben sich dem Unaussprechlichen verschworen.« Sie biss sich auf die Unterlippe und rang die Hände. »Es gibt Schwestern der Finsternis in unserem Orden.«

»Ja, ich weiß.«

»Das wisst Ihr? Nun, Jagang hat sie anderweitig untergebracht. Die Schwestern des Lichts sind zusammen, aber wo sich die Schwestern der Finsternis befinden, weiß ich nicht und will es auch nicht wissen.«

»Gelobt sei der Schöpfer«, seufzte Ann. »Genau das hatte ich gehofft: dass keine von ihnen bei euch wäre.«

Schwester Georgia sah rechts und links über ihre Schulter. »Ihr müsst fort von hier, Prälatin, sonst wird man Euch gefangen nehmen oder sogar töten.« Sie begann, Ann zu schieben, versuchte sie umzudrehen und zum Gehen zu bewegen.

Ann packte Schwester Georgia jedoch am Ärmel und versuchte sie auf diese Weise zu bewegen, zuzuhören.

»Ich bin gekommen, um die Schwestern zu retten. Es ist etwas geschehen, das uns eine ausgezeichnete Gelegenheit eröffnet, euch zur Flucht zu verhelfen.«

»Nichts könnte uns…«

»Still«, knurrte Ann leise. »Hör zu. Die Chimären sind auf freiem Fuß.«

Schwester Georgia erstarrte. »Das ist völlig ausgeschlossen.«

»Ach, wirklich? Und ich sage dir, es stimmt. Wenn du mir nicht glaubst, warum, meinst du, hat deine Kraft dann nachgelassen?«

Schwester Georgia stand da und schwieg, während Ann auf das rauhe Lachen der Soldaten horchte, die nicht weit entfernt dem Glücksspiel frönten. Aus lauter Angst, sie könnten aufgegriffen werden, wanderte der Blick der Schwester immer wieder suchend zu dem Gelände hinter den Karren hinüber.

»Nun?«, wollte Ann wissen. »Was meinst du, warum hat deine Kraft wohl nachgelassen?«

Schwester Georgias Zunge zuckte vor und benetzte ihre Lippen. »Wir dürfen uns unserem Han nicht öffnen. Jagang erlaubt uns das nur, wenn er etwas von uns will, ansonsten ist es uns nicht gestattet. Er befindet sich in unserem Verstand – es ist ein Traumwandler, Prälatin. Er merkt, wenn wir ohne Erlaubnis unser Han berühren. Das versucht niemand ein zweites Mal. Er hat die Kontrolle. Er hat die Macht, dafür zu sorgen, dass es einem sehr Leid tut, wenn man etwas tut, das er nicht will.« Die Frau war kurz davor, sich abermals in Tränen aufzulösen. »Ach, Prälatin…«

Ann zog den Kopf der Frau an ihre Schulter. »Ist ja gut. Still jetzt. Es ist alles in Ordnung, Schwester Georgia. Still jetzt. Ich bin hier, um dich aus diesem Irrsinn zu befreien.«

Schwester Georgia zuckte zurück. »Zu befreien? Das könnt Ihr nicht. Der Traumwandler sitzt in unserem Verstand. Womöglich beobachtet er uns genau jetzt, in diesem Augenblick. Das kann er nämlich, müsst Ihr wissen.«

Ann schüttelte den Kopf. »Nein, das kann er nicht. Die Chimären, erinnerst du dich? Deine Magie ist versiegt, also auch seine. Er sitzt nicht mehr in deinem Kopf. Du bist ihn los.«

Schwester Georgia wollte widersprechen; Ann fasste sie am Arm und zog sie mit.

»Führ mich zu den anderen Schwestern. Ich werde nicht zulassen, dass wir uns streiten, hörst du? Wir müssen von hier fort, solange wir Gelegenheit dazu haben.«

»Aber Prälatin, wir können nicht…«

Ann packte den Ring in Schwester Georgias Unterlippe. »Willst du etwa weiter Sklavin dieser Bestie sein? Willst du auch in Zukunft von ihm und seinen Soldaten missbraucht werden?« Sie zog einmal heftig an dem Ring. »Willst du das?«

Der Frau traten die Tränen in die Augen. »Nein, Prälatin.«

»Dann bring mich zu dem Zelt mit den anderen Schwestern des Lichts. Ich bin fest entschlossen, euch alle noch in dieser Nacht aus den Klauen Jagangs zu befreien.«

»Aber Prälatin…«

»Nun geh schon, bevor man uns hier aufgreift!«

Schwester Georgia schnappte sich den Eimer mit Hafergrütze und eilte davon. Ann folgte ihr dicht auf den Fersen, während Georgia sich alle paar Schritte umsah. Die Frau legte ein ordentliches Tempo vor, wobei sie jedes Lagerfeuer und jede Gruppe von Soldaten so weit wie möglich umging, ohne den Männern auf der jeweils anderen Seite zu nahe zu kommen.

Trotzdem bemerkten die Soldaten sie gelegentlich und versuchten, sie an ihrem Rock festzuhalten. Die meisten lachten, wenn sie daraufhin erschrak und die Flucht ergriff.

Als wieder einer der Männer die Schwester am Handgelenk festhielt, stellte sich Ann zwischen die beiden und lächelte den Mann an. Er war so überrascht, dass er Schwester Georgia losließ. Die beiden machten sich rasch aus dem Staub.

»Ihr werdet uns noch umbringen«, meinte Schwester Georgia leise, während sie sich zwischen Karren hindurchzwängte.

»Na ja, ich dachte nur, du wärst nicht in der Stimmung für das, was dieser Bursche im Sinn hatte.«

»Wenn ein Soldat darauf besteht, müssen wir es tun. Wenn wir nicht … Jagang erteilt uns eine Lektion, wenn wir nicht…«

Ann schob sie weiter. »Ich weiß. Aber ich werde euch hier fortschaffen. Beeil dich. Wir müssen die Schwestern holen und fliehen, solange wir Gelegenheit dazu haben. Morgen früh sind wir längst fort, und Jagang wird nicht wissen, wo er suchen soll.«

Die Frau öffnete den Mund und wollte widersprechen, aber Ann schob sie weiter.

»Der Schöpfer ist mein Zeuge, Schwester Georgia, ich habe dich in den letzten zehn Minuten häufiger zaudern sehen als während deiner ersten fünfhundert Jahre in dieser Welt. Jetzt bring mich endlich zu den anderen Schwestern, oder ich sorge dafür, dass du dich statt meiner noch nach Jagangs Umklammerung zurücksehnst.«

45

Als Schwester Georgia die Zeltöffnung zurückschlug, sah Ann sich flüchtig um. Zufrieden, dass niemand auf sie achtete, trat sie gebückt ins Innere.

Eine dicht gedrängte Gruppe von Frauen kauerte bunt durcheinander gewürfelt im schlecht beleuchteten Zelt, einige lagen, andere hockten, die Arme um die Knie geschlungen, auf der Erde, wieder andere lagen sich in den Armen wie verängstigte Kinder. Nur wenige machten sich die Mühe, überhaupt aufzusehen. Ann konnte sich nicht erinnern, jemals ein so eingeschüchtert dreinblickendes Häuflein gesehen zu haben.