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Statt wie erwartet schwimmen zu müssen, fand er eine Oberfläche vor, die fest genug war, ihn zu tragen, beinahe wie Eis, nur dass sie sich bewegte. Seine Schritte zogen Kreise, die ihn berührten und wieder zurückschwappten, als wäre dies nichts weiter als eine kleine Pfütze, durch die er watete. Jeder seiner Schritte stieß auf Unterstützung.

Es war die Unterstützung der Chimären, von Reechani, die ihn zu seinem Verhängnis trugen, zu ihrer Königin. Vasi, die Chimären der Luft, begleiteten ihn, ein Gewand aus Tod, das ihn vollständig einhüllte.

Zedd spürte den Hauch der Unterwelt in der Luft. Er spürte den feuchten Tod zu seinen Füßen. Er wusste, jeder Schritt konnte sein letzter sein.

Er musste an Juni denken, den Jäger der Schlammenschen, der ertrunken war. Zedd fragte sich, ob Juni den erhofften Frieden gefunden hatte, den Frieden, den man ihm vor seinem Tod versprochen hatte.

Da er die Absicht der Chimären kannte, vermutete Zedd stark, dass sie ihn erst mit quälender Gelassenheit locken, dann ihren Terror ausüben und ihm schließlich das Leben nehmen würden.

Er hatte den Wasserfall noch nicht ganz erreicht, als sich etwas Unsichtbares durch die Wassersäule bohrte. Körperlose Hände teilten den Wasserfall und ließen in der Mitte eine Öffnung zurück, durch die er in die dahinter liegende Höhle treten konnte. Er vermutete, dass er Sentrosi, dem Feuer, leidlich trocken lieber war.

Als er in die Felsenöffnung trat und bevor er hindurchging in die Höhle, vernahm er ein missbilligendes Schnauben von Spinne. Zedd drehte sich um.

Das Pferd stand am Ufer, die Beine gespreizt, die Muskeln angespannt. Die Ohren waren angelegt, die Augen funkelten. Ihr Schweif schlug, ihre Flanken peitschend, von einer Seite auf die andere.

»Alles in Ordnung, Spinne!«, rief Zedd dem aufgeregten Tier zu. »Ich schenke dir die Freiheit.« Zedd lächelte. »Wenn ich nicht zurückkomme … freu dich deines Lebens, meine Freundin. Genieße das Leben.«

Spinne stieß einen lang gezogenen, verärgerten schrillen Schrei aus. Zedd winkte ihr ein letztes Mal, und der Schrei ging in ein tiefes Brüllen über.

Zedd drehte sich um und trat hinter das herabstürzende Wasser – in die Dunkelheit. Der Vorhang des Wasserfalls schloss sich hinter ihm.

Er zögerte nicht, denn er war fest entschlossen, den Chimären zu geben, was sie verlangten: eine Seele. Wenn er es auf eine Weise tun konnte, die ihm das Leben erhielt, dann würde er es tun. Ohne seine Magie bestand allerdings nur wenig Hoffnung, dass er sein Vorhaben durchführen und dabei unversehrt bleiben konnte.

Als Oberster Zauberer besaß er einige Kenntnisse über das anstehende Problem. Die Chimären brauchten eine Seele, um in der Welt des Lebendigen verweilen zu können – auf diese Weise waren sie heraufbeschworen worden. Mehr noch, sie benötigten eine ganz besondere Seele: ebenjene, die man ihnen versprochen hatte.

Wesen aus der Unterwelt, vor allem seelenlose Wesen, hatten zweifellos nur ein begrenztes Verständnis dafür, was es hieß, eine Seele zu besitzen, oder was für eine Art von Seele man ihnen zugesichert hatte. Natürlich mussten gewisse spezifische Vorschriften zur Anwendung kommen, darüber hinaus jedoch befanden sich die Chimären in einer für sie fremden Welt. Auf dieser Unwissenheit beruhte seine einzige Hoffnung.

Wegen ihrer engen Verwandtschaft, und weil das Leben durch ihn an Richard weitergegeben worden war, waren ihre Seelen über zarte Bande und Verbindungen miteinander verknüpft; ihre Seelen waren wie ihre Körper miteinander verwandt. So wie sie andere Dinge gemeinsam hatten, die Form des Mundes zum Beispiel, wiesen auch ihre Seelen die gleichen Merkmale auf.

Dennoch war jeder von ihnen ein einzigartiges Individuum, und genau darin lag die Gefahr.

Er hoffte, die Chimären würden seine Seele mit jener verwechseln, die sie benötigten, und sie als die Seele akzeptieren, die sie haben wollten, und, da es letztendlich die falsche war, daran ersticken. Sozusagen.

Es war Zedds einzige Hoffnung. Er wusste keine andere Möglichkeit, den Chimären Einhalt zu gebieten. Mit jedem Tag, der verstrich, stieg die Gefahr für die Welt des Lebendigen. Jeden Tag starben Menschen. Mit jedem Tag wurde die Magie schwächer.

So gerne er weitergelebt hätte, er wusste einfach keinen anderen Ausweg, als sein Leben zu verwirken, um die Chimären zu stoppen, und zwar jetzt sofort, bevor es zu spät war.

Sobald sie sich der ihnen versprochenen Seele öffneten und sie dadurch verwundbar waren, würde seine Seele den Fluss jenes Bannes unterbinden, mit dessen Hilfe sie in diese Welt gelangt waren.

In Anbetracht dessen, dass er ein Zauberer war, war diese Hoffnung nicht ganz unbegründet; genau genommen war sein Vorgehen durchaus logisch. Von zweifelhaftem Ausgang, aber logisch.

Zedd wusste, dass sein Plan den Bann zumindest in gewissem Maße stören würde – in etwa vergleichbar mit einem in tödlicher Absicht auf ein Tier abgeschossenen Pfeil, der sein Ziel knapp verfehlte, das Tier aber wenigstens verwundete.

Doch wie sich das alles auf ihn selbst auswirken würde, wusste er nicht. Zedd gab sich diesbezüglich keinen Illusionen hin. Vernünftigerweise erwartete er, sein Vorhaben werde, wenn es ihn nicht bereits durch den Verlust seiner Seele umbrachte, die Chimären verärgern, woraufhin diese ihre Rache nehmen würden.

Zedd lächelte. Der Ausgleich dafür bestand darin, dass er endlich seine geliebte Erylin in der Welt der Seelen Wiedersehen würde, wo ihr unsterblicher Geist auf ihn wartete.

Die Hitze im Innern war erdrückend.

Die Wände bestanden aus langsam wogendem, sich hin und her werfendem, wirbelndem, flüssigem Feuer.

Er befand sich im Innern der Bestie.

In der Mitte der pulsierenden Höhle richtete Sentrosi, die Königin des Feuers, ihren todbringenden Blick auf ihn. Flammenzungen kosteten die Luft ringsum. Sie lächelte – ein gelber Flammenwirbel.

Ein letztes Mal unternahm Zedd den vergeblichen Versuch, seine Magie herbeizurufen.

Sentrosi schoss mit Furcht erregender Geschwindigkeit und in beängstigender Gier auf ihn zu.

Zedd spürte den sengenden Schmerz in jedem Nerv, während eine unvorstellbare Angst von seiner Seele Besitz ergriff.

Die Welt ging in Flammen auf. Sein Schrei explodierte in einem ohrenbetäubenden Glockenschlag.

Richard schrie auf. Der Schmerz des schneidenden, schallenden Glockenschlags schien ihm den Schädel zu zerreißen.

Er nahm seine Umgebung nur undeutlich wahr, als er über die Weichen seines Pferdes nach hinten stürzte. Der Schmerz des Aufpralls auf dem Boden war eine angenehme Abwechslung zu dem überlauten Klingen, das ihm die Beherrschung raubte und den Schrei entriss.

Er hielt sich den Kopf, als er sich unkontrolliert vor Schmerzen brüllend auf der Straße zu einem Ball zusammenrollte.

Die Welt war nichts als glühende Qual.

Ringsum sprangen Leute Befehle brüllend von den Pferden. Richard nahm sie nur als verschwommen umherirrende Schatten wahr. Er konnte nicht verstehen, was sie sagten. Er erkannte keinen.

Er begriff nichts, außer seinem Schmerz.

In seinem quälenden Kampf gegen den unerbittlich über ihn hereinbrechenden Schmerz konnte er nichts weiter tun, als die fadendünne Verbindung zu seinem Bewusstsein, zum Leben, aufrechtzuerhalten.

Das Einzige, was ihn noch am Leben hielt, war die Tatsache, dass er wie jeder zukünftige Zauberer den Schmerztest bestanden und überlebt hatte. Ohne die damals gelernten Lektionen wäre er längst tot.

Er befand sich allein in einer Hölle ganz für ihn allein.

Und er wusste nicht, wie lange er sich noch ans Leben würde klammern können.

Alles schien gleichzeitig aus den Fugen geraten zu sein. Beata rannte über den grasbewachsenen Untergrund, so schnell ihre Füße sie trugen. Ein entsetzliches Gefühl der Angst wütete in ihrem Innern.

Turner hatte aufgehört zu schreien. Es war grauenhaft gewesen, hatte aber nur wenige Sekunden gedauert.

»Halt!«, schrie Beata aus Leibeskräften. »Halt! Habt ihr den Verstand verloren? Halt!«

Die Luft hallte noch immer wider vom Geräusch der Dominie Dirtch. Das tiefe Glockengeläut ließ den Staub über dem Gras aufsteigen, sodass man den Eindruck hatte, als rauche rundherum der Erdboden. Die Vibrationen rollten den Staub zu kleinen Kügelchen. Sie brachten einen kleinen, einzeln stehenden Baum zu Fall, den der letzte Trupp gepflanzt hatte.