Выбрать главу

Die gesamte Welt erzitterte unter ihrem schauderhaften Brummen.

Tränenverschmiert rannte Beata über das Feld und schrie, sie sollten aufhören, die Glocke anzuschlagen.

Turner hatte sich ein Stück vor ihnen auf einem normalen Patrouillengang befunden, um sicherzustellen, dass sich niemand in dem Gelände vor der Dominie Dirtch aufhielt.

Sein Gebrüll war nur Sekunden nach dem Anschlagen der Dominie Dirtch abgerissen, doch noch immer hallten ihr seine Qual und sein Entsetzen durch den Kopf. Sie würde diesen Schrei ihr Leben lang nicht vergessen.

»Halt!«, gellte ihre Stimme, und sie packte das Geländer, um sich daran auf die Treppe zu ziehen. »Halt!«, rief sie noch einmal, die Stufen hinaufhastend.

Mit erhobenen Fäusten stürzte Beata auf die Plattform, bereit, auf den Wahnsinnigen einzuprügeln, der die Dominie Dirtch angeschlagen hatte.

Beata blieb keuchend stehen und sah sich um. Emmeline stand starr vor Schreck da, die Augen aufgerissen. Auch Bryce schien halb wahnsinnig vor Angst. Er schaute sie in Panik erstarrt an.

Der lange Schlegel, mit dem die Dominie Dirtch angeschlagen wurde, stand noch in seiner Halterung. Keiner der beiden auf der Plattform befand sich auch nur in seiner Nähe. Von ihnen hatte niemand den hölzernen Schlegel dazu benutzt, die tödliche Waffe auszulösen.

»Was habt ihr nur getan!«, schrie sie die beiden an. »Womit habt ihr sie ausgelöst? Habt ihr den Verstand verloren?« Sie blickte über ihre Schulter auf den von Knochen durchsetzten Haufen jener blutigen Masse, die wenige Augenblicke zuvor noch Turner gewesen war.

Beatas Arm schnellte vor und zeigte darauf. »Ihr habt ihn umgebracht! Warum habt ihr das getan? Was ist nur los mit euch?«

Emmeline schüttelte langsam und verständnislos den Kopf. »Ich habe mich keinen Schritt von der Stelle gerührt.«

Bryce fing an zu zittern. »Ich auch nicht. Wir haben das verdammte Ding nicht angeschlagen, Sergeant. Ich schwöre es. Wir standen nicht mal in seiner Nähe. Wir waren das nicht.«

Als sie die beiden in der Stille anstarrte, wurde Beata plötzlich bewusst, das sie von weitem Schreie hörte. Sie blickte hinaus in die Ebene, hinüber zur nächsten Dominie Dirtch. Dort drüben konnte sie gerade eben Menschen ausmachen, die umherliefen, als wäre die Welt aus den Fugen geraten.

Sie wirbelte herum und spähte in die entgegengesetzte Richtung. Dort bot sich das gleiche Bild: Menschen schrien, liefen durcheinander. Beata schirmte ihre Augen gegen die Sonne ab und blinzelte aus zusammengekniffenen Augen in die Ferne. Die Überreste zweier Soldaten lagen draußen vor ihrem Posten.

Estelle Ruffin und Corporal Marie Fauvel trafen bei Turners Überresten ein. Estelle fing, sich mit beiden Händen die Haare raufend, an zu schreien. Marie wandte sich ab und übergab sich.

Schuld daran war ihre Ausbildung. Schuld war die Art, wie bestimmte Dinge getan werden mussten. Angeblich wurde es seit Jahrtausenden schon so gemacht.

Jeder Trupp, von jeder Dominie Dirtch, sandte zur selben Zeit eine Patrouille aus, um das Gelände zu erkunden. Auf diese Weise konnte, was oder wer immer dort draußen gerade sein Unwesen trieb, nicht einfach dem einen Soldaten ausweichen und sich andernorts verstecken.

Nicht nur ihre, sondern sämtliche Dominie Dirtch entlang der Grenze waren von selbst erklungen.

Kahlan packte Richards Hemd; er war immer noch bewusstlos vor Schmerzen. Es gelang ihr nicht, ihn aus der zusammengekrümmten Haltung zu lösen, zu der er sich eingerollt hatte. Sie wusste nicht genau, was geschehen war, aber sie hatte eine Befürchtung.

Offensichtlich schwebte er in tödlicher Gefahr.

Sie hatte seinen Aufschrei gehört. Sie hatte gesehen, wie er vom Pferd gestürzt und auf dem Boden aufgeschlagen war. Nur wusste sie einfach nicht, warum.

Ihr erster Gedanke war: ein Pfeil. Die Vorstellung, der Pfeil eines gedungenen Mörders könnte ihn getötet haben, hatte ihr einen entsetzlichen Schrecken eingejagt, doch konnte sie kein Blut erkennen. Sie hatte ihre Gefühle ausgeschaltet, hatte nach Blut gesucht, aber bei einer ersten flüchtigen Untersuchung keines gefunden.

Kahlan sah auf, als eintausend d’Haranische Soldaten rings um sie ausschwärmten. Nach Richards Schrei und seinem Sturz vom Pferd waren sie augenblicklich und ohne ihren Befehl in Bewegung geraten. Im Nu wurden Schwerter aus ihren Scheiden gezogen, Äxte lösten sich aus den Gürtelhalterungen und landeten in angriffsbereiten Fäusten, Lanzen wurden gesenkt.

Im gesamten Umkreis hatten Männer ein Bein über den Hals ihres Pferdes geschwungen und waren, die Waffen kampfbereit in den Händen, zu Boden gesprungen. Andere Soldaten schlossen, den nächsten Schutzring bildend, die Reihen und wendeten ihre Pferde, bereit zum Sturmangriff nach außen. Wieder andere, der äußerste Rand der Einsatztruppe, waren davongestürmt, um die Angreifer ausfindig zu machen und das Gelände von allen Feinden zu säubern.

Kahlan hatte sich Zeit ihres Lebens im Umfeld von Armeen aufgehalten und kannte sich aus mit kämpfenden Truppen. An ihrer Reaktion erkannte sie, dass diese Männer so gut waren, wie man es sich nur wünschen konnte. Befehle waren nicht erforderlich gewesen; jedes Verteidigungsmanöver wurde erwartungsgemäß ausgeführt, und das schneller, als hätte sie die entsprechenden Befehle erteilt.

Über ihr und Richard bildeten die Baka Tau Mana, die Schwerter gezückt und kampfbereit, einen undurchdringlichen Schutzring. Worin der Angriff auch bestand, ob es ein Pfeil war, ein Wurfspeer oder etwas anderes, Kahlan konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Beschützer den Angreifern ein weiteres Mal Gelegenheit geben würden, ihren Lord Rahl zu attackieren. Selbst wenn alles andere versagte, hatten sich inzwischen zu viele Männer in Ringen um sie geschart, als dass ein Pfeil noch hätte hindurchgelangen können.

Kahlan, ein wenig überwältigt von dem plötzlichen Durcheinander, erkannte mit einem Anflug von Besorgnis, dass Cara vielleicht verärgert sein könnte, weil sie zugelassen hatte, dass Richard etwas zugestoßen war. Schließlich hatte Kahlan versprochen, alles Unheil von ihm fern zu halten – als hätte sie das Cara extra versprechen müssen.

Du Chaillu bahnte sich einen Weg durch ihre Meister der Klinge und ging auf Richards anderer Seite in die Hocke. Sie hatte einen Wasserschlauch und ein Stück Stoff zum Verbinden der Wunde bei sich.

»Habt Ihr die Verletzung gefunden?«

»Nein«, antwortete Kahlan, an ihm herumsuchend.

Sie legte ihm eine Hand seitlich gegen das Gesicht und fühlte sich dabei an die Zeit erinnert, als er die Pest hatte und wegen des Fiebers nicht bei klarem Verstand war, nicht wusste, wo er sich befand. Eine Krankheit konnte er nicht haben, nicht so, wie er geschrien hatte und vom Pferd gestürzt war, trotzdem schien er vor Fieber zu glühen.

Du Chaillu tupfte Richard das Gesicht mit einem feuchten Lappen ab. Kahlan fiel auf, dass auch Du Chaillus Gesicht von Sorgenfalten gezeichnet war.

Kahlan setzte ihre Untersuchung bei Richard fort und versuchte herauszufinden, ob er von irgendeiner Art Speer oder Bolzen getroffen worden war. Er zitterte heftig, fast krampfartig. Hektisch suchend wälzte sie ihn auf die Seite und untersuchte seinen Rücken, um endlich herauszufinden, woher seine Schmerzen rührten. Sie konzentrierte sich auf das, was sie tat, und versuchte nicht an ihre Besorgtheit zu denken, um nicht vom Schock überwältigt zu werden.

Du Chaillu, die offenbar kein Bedürfnis verspürte, nach einer Wunde zu suchen, streichelte Richard das Gesicht, als Kahlan ihn sachte wieder auf den Rücken wälzte.

»Ich kann nichts finden«, meinte Kahlan schließlich erbittert.

»Das werdet Ihr auch nicht«, meinte Du Chaillu kühl.

»Warum nicht?«

Die Seelenfrau der Baka Tau Mana flüsterte Richard zärtliche Worte zu. Obwohl Kahlan ihre genaue Bedeutung nicht verstand, begriff sie doch die Gefühle, die dahinter steckten.