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Obwohl es weiter kaum ins Auge fiel, lag das grasbewachsene Gelände, das sich vor Beatas Dominie Dirtch bis zum Horizont erstreckte, ein wenig höher als das Gelände zu beiden Seiten der gewaltigen Waffe aus Stein und bot somit ein festeres Geläuf, vor allem für Pferde. Die flache Niederung zur Rechten war nach den Regenfällen in letzter Zeit schlammig; nach links hinüber war es nicht besser. Wegen der einzigartigen geographischen Lage, insbesondere nach Regenfällen, hielten Reisende häufiger auf Beatas Posten, auf ihre Dominie Dirtch zu.

Viele waren es nicht, doch wer in diesem Gebiet aus dem Grasland der Wildnis nach Anderith unterwegs war, neigte dazu, als Erstes ihren Posten aufzusuchen. Beata genoss es, zur Abwechslung einmal verantwortlich zu sein, die Menschen zu beurteilen und entscheiden zu können, ob sie passieren durften. Wer ihrer Ansicht nach aussah, als ließe man ihn besser nicht ins Land, den verwies sie an einen anderen Grenzstützpunkt, wo er bei den dort stationierten Posten um Einlass ersuchen konnte.

Es war ein gutes Gefühl, wichtige Dinge entscheiden zu können, statt machtlos zu sein. Jetzt war sie es, die die Entscheidungen traf.

Aufregend war es auch, wenn Reisende durchkamen – es war eine Abwechslung, eine Gelegenheit, sich mit Menschen von weither zu unterhalten oder ihre fremdartige Kleidung zu bestaunen. Selten reisten mehr als zwei oder drei Personen zusammen, doch zu ihr sahen sie stets auf; sie trug die Verantwortung.

An diesem strahlend sonnigen Morgen allerdings schlug Beata das Herz gegen die Rippen. Diesmal näherten sich ungewöhnliche Besucher der Grenze. Diesmal waren es beträchtlich mehr als nur ein paar. Diesmal deutete alles darauf hin, dass es sich um eine echte Bedrohung handelte.

»Carine«, befahl Beata, »geh am Schlegel in Bereitschaft.«

Die Hakenierin blinzelte sie erstaunt an. »Seid Ihr sicher, Sergeant?« Carine hatte entsetzlich schlechte Augen, selten erkannte sie etwas, das mehr als dreißig Schritte entfernt war, und besagte Personen befanden sich noch weit draußen am Horizont.

Das hatte Beata noch nie zuvor getan: Befehl gegeben, den Schlegel aus seiner Halterung zu nehmen. Wenigstens nicht, wenn Leute nahten. Das Herausnehmen wurde selbstverständlich geübt, aber den Befehl dazu hatte sie noch nie gegeben. In ihrer Abwesenheit hatten die Diensthabenden die Anweisung, ihn herauszunehmen, sobald ihrer Einschätzung nach eine Bedrohung nahte; war Beata jedoch zugegen, oblag es ihr, den Befehl zu geben, ihn einsatzbereit zu machen. Sie trug die Verantwortung, auf sie verließen sie sich.

Nach dem schrecklichen Unfall war vor der Halterung, in der der Schlegel stand, ein zusätzlicher Riegel angebracht worden, obwohl sie wussten, dass nicht der Schlegel die Waffe zum Klingen gebracht hatte. Niemand hatte ihnen gesagt, sie sollten dies tun, Beata war mit einer zusätzlichen Sicherung vor dem Schlegel einfach wohler zumute. Es gab ihnen das Gefühl, auf den Zwischenfall zu reagieren, auch wenn es im Grunde gar nicht stimmte.

Niemand wusste, weshalb die Dominie Dirtch erklungen war.

Beata wischte sich die verschwitzten Handflächen an den Hüften ab. »Bin ich. Macht es einfach.«

Wenn sonst Menschen nahten, ließ sich recht einfach feststellen, ob sie harmlos waren. Händler mit einem Karren, ein paar Angehörige der Nomadenvölker aus der Wildnis, die mit den an der Grenze postierten Soldaten Handel treiben wollten – Beata ließ sie niemals durch –, Kaufleute, die aus dem einen oder anderen Grund eine ungewöhnliche Wegstrecke eingeschlagen hatten, manchmal sogar ein paar Gardisten der anderischen Sondereinheit, die von einem Patrouillengang zurückkehrten.

Diese anderischen Gardisten waren keine gewöhnlichen Armeesoldaten, sondern etwas Besonderes: ausschließlich Männer, die auf Beata den Eindruck machten, als seien sie es gewohnt, sich mit Ärger der einen oder anderen Art zu befassen. Regulären anderischen Soldaten wie Beata schenkten sie überhaupt keine Beachtung.

Einmal hatte sie ihnen befohlen, stehen zu bleiben, als sie herangeritten kamen. Beata wusste, wer sie waren, denn Captain Tolbert hatte sie und ihren Trupp über die besonderen Gardetruppen der Anderier aufgeklärt und sie angewiesen, diese Männer nach Belieben passieren zu lassen, sollten sie des Weges kommen. Sie hatte sie lediglich fragen wollen, ob sie etwas benötigten, schließlich waren es Kameraden.

Sie waren auf ihren Befehl hin nicht stehen geblieben. Ihr Anführer hatte lediglich feixend zu ihr herübergesehen, während er mit seiner Kolonne großer, kräftiger Männer vorüberritt.

Bei den Personen, die jetzt nahten, handelte es sich allerdings nicht um Gardisten. Beata wusste nicht, was sie von ihnen halten sollte, außer, dass sie allem Anschein nach eine ernstliche Bedrohung darstellten. Sie konnte Hunderte berittener Soldaten in dunklen Uniformen ausmachen, als sie beim Haltmachen ihre geschlossene Formation auflösten.

Selbst aus der Ferne war es ein gewaltiger Anblick.

Beata warf einen Blick zur Seite und sah, wie Carine den Schlegel nach hinten schwenkte. Annette hielt den Schaft gepackt, um ihr beim Anschlagen der Dominie Dirtch zu helfen.

Beata war mit einem Satz bei ihnen und bekam den Schaft des Schlegels zu fassen, bevor sie damit ausholen konnten.

»Ich habe nichts dergleichen befohlen! Was ist in Euch gefahren? Zurücktreten!«

»Aber Sergeant«, beschwerte sich Annette, »es sind Soldaten – eine Menge Soldaten –, und sie gehören nicht zu uns.«

Beata stieß die Frau zurück. »Sie geben das Signal. Seht Ihr das nicht?«

»Aber Sergeant Beata«, greinte Annette, »das sind nicht unsere Leute. Sie haben hier nichts zu suchen…«

»Ihr wisst doch noch gar nicht, was sie hier wollen!« Beata war verängstigt und wütend, dass Annette und Carine die Waffe beinahe aus freien Stücken angeschlagen hätten. »Habt ihr den Verstand verloren? Ihr wisst nicht einmal, wer sie sind! Womöglich hättet ihr unschuldige Menschen umgebracht!

Wegen Missachtung eines Befehls werdet ihr beide heute Abend und für den Rest der Woche eine zusätzliche Wache übernehmen. Habt ihr verstanden?«

Annette ließ den Kopf hängen. Carine salutierte, unschlüssig, wie sie auf eine solche Disziplinarmaßnahme reagieren sollte. Beata hätte sich über jeden aus ihrem Trupp geärgert, der eigenmächtig versucht hätte, die Dominie Dirtch anzuschlagen, tief in ihrem Innern jedoch war sie froh, dass es die beiden hakenischen Frauen waren und nicht einer der Anderier.

Am Horizont schwenkte ein Reiter eine weiße, am Ende einer Stange oder Lanze befestigte Flagge. Beata wusste nicht, auf welche Entfernung die Dominie Dirtch zu töten imstande waren. Vielleicht wäre den Menschen dort draußen überhaupt nichts passiert, wenn Annette und Carine sie angeschlagen hätten. Nach dem Zwischenfall mit Turner hoffte sie jedoch nie wieder erleben zu müssen, wie sie angeschlagen wurde, solange sich Menschen davor befanden – es sei denn, sie griffen eindeutig an.

Beata beobachtete, wie die Truppen dort draußen an Ort und Stelle warteten, während sich nur einige Personen näherten. Das entsprach den Vorschriften, so hatte man es Beata und ihrem Trupp beigebracht. Die Leute mussten irgendeine Fahne schwenken, und wenn es viele waren, durften sich nur wenige nähern, um ihr Ansinnen vorzutragen.

Einige wenige Personen herankommen zu lassen barg keinerlei Risiko. Die Dominie Dirtch war imstande, einen Feind zu töten, selbst wenn er nur einen Schritt vor ihr stand. Wie weit sich Menschen ihr näherten, war im Grunde nicht von Belang – übrigens ebenso wenig wie ihre Zahl.

Vier Personen, zwei zu Fuß und zwei zu Pferd, lösten sich von den übrigen und ließen sie hinter sich zurück. Als sie näher kamen, erkannte sie, dass es zwei Männer und zwei Frauen waren. Ein Mann und eine Frau waren zu Pferd, das andere Paar ging zu Fuß. Die Frau auf dem Pferd hatte etwas an sich…

Als Beata begriff, um wen es sich ganz offensichtlich handelte, schien ihr Herz plötzlich bis zum Hals zu schlagen.

»Seht ihr?«, meinte Beata zu Carine und Annette. »Könnt ihr euch vorstellen, was passiert wäre, hättet ihr dieses Ding angeschlagen? Könnt ihr euch das auch nur annähernd vorstellen?«