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»Westlich von hier, im Hochland oberhalb des Nareef-Tales, sammeln sich die Oberläufe des Dammar-Flusses, um schließlich in den Drun zu fließen. Diese Gewässer der Oberläufe ziehen Gifte aus dem Boden des Hochlandes.

Das Hochland ist eine ungeschützte, karge Ödnis, wo man gelegentlich auf die ausgeblichenen Knochen eines Tieres stößt, das zu lange dort geblieben ist und zu große Mengen des vergifteten Wassers getrunken hat. Es ist ein windumtoster, unbewohnter, todbringender Ort.«

Zedd breitete die Arme in einer Geste aus, die das ungeheure Ausmaß verdeutlichen sollte. »Tausende kleiner Rinnsale und Bäche abfließenden Wassers von sämtlichen umliegenden Berghängen sammeln sich in einem ausgedehnten, seichten, schlammigen See, bevor sie in das unterhalb liegende Tal weiterfließen. Dort gedeiht im Überfluß die Pakapflanze, vor allem am breiten Südende, von wo aus das Wasser nach unten abfließt. Die Pakapflanze ist nicht nur widerstandsfähig gegen dieses Gift, sie ernährt sich sogar davon. Lediglich die Raupe einer bestimmten Motte frißt einen Teil der Pakablätter und spinnt den Kokon zwischen fleischigen Stengeln.

Am oberen Ende des Nareef-Tales, auf den Klippen gleich unterhalb dieses Hochlandsees, nisten Kriegervögel. Die Beeren der nicht weit oberhalb wachsenden Pakapflanze zählen zu ihrer Lieblingsnahrung, daher gehören sie zu den wenigen Tierarten, die des öfteren im Hochland anzutreffen sind. Das Wasser trinken sie allerdings nicht.«

»Die Beeren sind also nicht giftig, hab ich recht?« fragte Richard.

»Nein. Durch eine wundersame Fügung der Schöpfung gedeiht die Pakapflanze prächtig von den Giftstoffen im Wasser, die Beeren aber, die sie hervorbringt, enthalten kein Gift, und das Wasser, das – durch all die Pakapflanzen gefiltert – weiter den Berg hinunterfließt, ist rein und gesund.

Ebenfalls im Hochland lebt die Gambitmotte. Ihre Art umherzuflattern macht sie unwiderstehlich für die Kriegervögel, die sich ansonsten hauptsächlich von Körnern und Beeren ernähren. Aufgrund ihres Lebensraumes wird sie, von den Kriegervögeln abgesehen, von nur wenigen anderen Tieren gefressen.

Die Pakapflanze wiederum, mußt du wissen, kann sich nicht allein vermehren. Vielleicht liegt es an den Giften im Wasser, daß ihre äußere Samenhülle hart wie Stahl ist und sich nicht öffnen läßt, wodurch die Pflanze in ihrem Innern nicht keimen kann. Diese Aufgabe ist nur mit Magie zu bewältigen.«

Zedds Blick verengte sich, er breitete die Arme aus und spreizte die Finger, während er seine Geschichte weiterspann. Kahlan mußte daran denken, wie sie als Kind, auf den Knien eines Zauberers in der Burg sitzend, mit großen Augen staunend zum ersten Mal der Geschichte gelauscht hatte.

»Die Gambitmotte verfügt über eine solche Magie, und zwar mittels des Staubs auf ihren Flügeln. Verspeist der Kriegervogel die Gambitmotte zusammen mit den Beeren der Pakapflanze, bewirkt der magische Staub im Innern des Vogels, daß die Schale der winzigen Samenkörner aufbricht. Auf diese Weise säen die Kriegervögel die Pakasamen über ihren Mist aus, und die Pakasamen können aufgrund der einzigartigen Magie der Gambitmotte keimen.

Die Gambitmotte wiederum legt ihre Eier auf die Pakapflanze, der auf diese Weise das Treiben ermöglicht wird, und dort fressen und wachsen auch die frischgeschlüpften Raupen heran, bis sie schließlich ihre Kokons spinnen und zu Gambitmotten werden.«

»Wenn die Magie also vernichtet wird«, sagte Richard, »dann … was willst du damit sagen? Daß sogar Geschöpfe wie eine Motte mit Magie diese verlieren würde, woraufhin die Pakapflanze aussterben und der Kriegervogel verhungern würde, und die Gambitmotte wiederum hätte keine Pakapflanzen als Nahrung für ihre Raupen, was ihr Aussterben zur Folge hätte?«

»Denk nach«, sagte der alte Zauberer leise, »was noch geschehen würde.«

»Nun, zum einen scheint nur logisch, daß das ins Nareef-Tal fließende Wasser vergiftet werden würde, sobald die alten Pakapflanzen aussterben und keine neuen mehr nachwachsen.«

»Ganz recht, mein Junge. Das Wasser würde die Tiere weiter unten vergiften. Das Hochwild würde sterben, die Waschbären, die Stachelschweine, die Wühlmäuse, die Eulen, die Singvögel sowie alle Tiere, die sich von ihren Kadavern ernähren: Wölfe, Kojoten, Geier. Sie alle würden aussterben.« Zedd beugte sich vor und hob einen Finger. »Sogar die Würmer.«

Richard nickte. »Ein großer Teil des im Tal gezogenen Viehs würde mit der Zeit vergiftet werden, und das Wasser des Dammar würde einen großen Teil des Ackerlandes verseuchen. Für die im Nareef-Tal lebenden Menschen und Tiere wäre dies eine Katastrophe.«

»Überlege, was geschehen würde, wenn man das Fleisch dieses Viehs verkaufte«, half Ann ihm auf die Sprünge, »bevor jemand davon erführe, daß es vergiftet ist.«

»Oder die Ernte«, fügte Kahlan hinzu.

Zedd beugte sich vor. »Und denke darüber nach, was dies weiterhin bedeuten würde.«

Richards Blick wanderte von Ann zu Kahlan und von dort zu Zedd. »Der Dammar fließt in den Drun. Ist der Dammar vergiftet, dann auch der Drun. Flußabwärts wäre ebenfalls alles vergiftet.«

Zedd nickte. »Und flußabwärts liegt das Land Toscia. Der Dammar hat für Toscia dieselbe Bedeutung wie der Hund für einen Floh. Toscia baut große Mengen Getreide und andere Erzeugnisse an, die viele Menschen in den Midlands ernähren. Von dort aus werden lange Trecks von Lastkarren mit Handelsgütern in den Norden geschickt.«

Es war lange her, daß Zedd in den Midlands gelebt hatte. Toscia war eine alte Bezeichnung; es lag tief im Südwesten, die Wildnis trennte es wie ein großes Meer vom Rest der Midlands. Das vorherrschende Volk dort, das sich mittlerweile Anderier nannte, hatte wiederholt seinen Namen geändert und damit auch den Namen seines Landes. Was Zedd unter dem Namen Toscia kannte, wurde erst zu Vengren, dann zu Vendice, anschließend zu Turslan und hieß gegenwärtig Anderith.

»Entweder würde vergiftetes Getreide, bevor man es als solches erkennt, verkauft werden, wodurch zahllose ahnungslose Seelen vergiftet würden«, fuhr Zedd fort, »oder aber das Volk von Toscia erführe rechtzeitig davon und könnte seine Erzeugnisse nicht mehr losschlagen. Womöglich würde das Vieh rasch eingehen. Die Fische, die man in den Küstengewässern fängt, könnten ebenfalls durch das Wasser des Drun, das sich in diese ergießt, vergiftet werden. Die Vergiftung würde auf die Felder übergreifen, neue Ernten vernichten und damit die Hoffnung auf die Zukunft.

Sind Vieh und Fischindustrie erst einmal vom Gift verseucht, und verfügt das Volk von Toscia über keine Ernteerträge mehr, die es gegen andere Nahrungsmittel eintauschen kann, dann könnte es verhungern. Menschen in anderen Ländern, die vom Eintausch dieser Erzeugnisse abhängig sind, gingen ebenfalls harten Zeiten entgegen, denn sie wiederum wären nicht in der Lage, ihre Waren zu verkaufen. Mit dem Abbrechen der Handelsbeziehungen und der Lebensmittelknappheit, die die Preise in die Höhe treiben würde, bekämen die Menschen überall in den Midlands Schwierigkeiten, ihre Familien zu ernähren.

Aufgrund der Knappheiten würden Bürgerunruhen ausbrechen, Hunger würde sich ausbreiten. Es könnte zu Panik kommen, Unruhen könnten sich zu Bürgerkriegen ausweiten, sobald Menschen versuchten, in unverseuchte Gebiete zu fliehen, die bereits von anderen bewohnt werden. Verzweiflung könnte die Flammen weiter anfachen. Die gesamte Ordnung könnte zusammenbrechen.«

»Das ist reine Spekulation«, meinte Richard. »Du willst doch nicht allen Ernstes ein derart ausuferndes Unglück vorhersagen. Sollte die Magie tatsächlich schwächer werden, wäre es nicht möglich, daß es gar nicht so schlimm kommt?«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Etwas Vergleichbares ist noch nie geschehen, daher läßt es sich schwerlich vorhersagen. Möglicherweise würde das Gift vom Wasser des Dammar und des Drun verdünnt werden und entweder gar keinen Schaden anrichten oder schlimmstenfalls ein paar örtlich begrenzte Schäden hervorrufen. Fließt der Drun ins Meer, könnten diese Wassermengen das Gift harmlos machen, so daß die Fischerei nicht beeinträchtigt werden würde. Am Ende wäre es möglicherweise nicht mehr als eine kleine Unannehmlichkeit.«