»Das könnte alles verderben! Jahrelang haben wir darauf hingearbeitet, sorgfältig Beziehungen gepflegt, den Samen ausgesät, alles Unkraut gejätet, das hervorgesprossen ist, und jetzt, da wir endlich die Ernte unseres Lebens einfahren wollen, kommt sie angeritten mit diesem – diesem – d’Haranischen Bastard Lord Rahl.«
Hildemara verschränkte die Arme. »Genau das ist die Lösung des Problems, ein Wutanfall. Eins schwöre ich dir, Bertrand, manchmal hast du weniger Verstand als ein der Trunksucht verfallener Fischer.«
»Und genau die Art von Frau, die ihn dazu treibt!«
Die Zähne zusammengebissen, zog sie seinen Stuhl beiseite, zweifellos war auch sie kurz vor einem ausgedehnten Wutanfall. Dalton sah sie geradezu den Rücken buckeln, das Fell aufstellen und die Krallen ausfahren.
Für gewöhnlich wurde Dalton, wenn die beiden aufeinander losgingen, einem Möbelstück gleich, ignoriert. Diesmal hatte er Besseres zu tun als abzuwarten, bis sich die Angelegenheit zu einer noch übleren Streiterei auswuchs, mit der nur wertvolle Zeit vergeudet würde. Er hatte, je nachdem, was hier beschlossen wurde, Befehle zu erteilen. Er musste dafür sorgen, dass alle auf ihrem Posten waren.
Er musste an Franca denken und fragte sich, ob sie inzwischen ihre Kraft wiedererlangt hatte. In letzter Zeit hatte er nicht viel von ihr gesehen, und wenn, hatte sie beunruhigt gewirkt. Sie hatte viel Zeit in der Bibliothek zugebracht. In Zeiten wie diesen wäre Francas Hilfe überaus wertvoll. Ihre wahre Hilfe.
»Die Mutter Konfessor und Lord Rahl legen auf ihren Pferden ein hohes Tempo vor, meine Männer haben sich nur knapp vor sie setzen können«, sagte Dalton, bevor Bertrand auf seine Frau losgehen oder sie mit einem Gegenstand nach ihm werfen konnte. »Sie müssen innerhalb der nächsten ein, höchstens zwei Stunden hier eintreffen. Wir sollten darauf vorbereitet sein.«
Bertrand starrte einen Augenblick lang wütend, dann zog er seinen Stuhl heran und setzte sich. Er faltete die Hände auf dem Tisch. »Ja, Ihr habt Recht, Dalton. Durchaus. Als Erstes müssen wir Stein und seine Männer aus dem Blickfeld schaffen. Es wäre gar nicht gut, wenn sie…«
»Ich war bereits so frei, mich darum zu kümmern, Minister. Einige von ihnen habe ich auf eine Besichtigungstour zu den Getreidelagern geschickt, und ein paar der anderen wollten sich die strategischen Straßen nach Anderith hinein ansehen.«
Bertrand sah auf. »Gut.«
»Wir haben zu viele Jahre dafür gearbeitet, um jetzt, so dicht vor dem Ziel, alles zu verlieren«, versetzte Hildemara. »Wenn wir nicht den Kopf verlieren, sehe ich trotzdem keinen Grund, weshalb wir nicht einfach wie geplant fortfahren können.«
Ihr Gatte, beträchtlich ruhiger geworden – wie immer, wenn er sich auf Wichtiges konzentrierte –, nickte. Er besaß die eigentümliche Fähigkeit, eben noch herumzutoben und gleich darauf ein Lächeln aufzusetzen.
»Kann sein.« Er wandte sich zu Dalton. »Wie nahe steht die Imperiale Ordnung bevor?«
»Nach wie vor ein gutes Stück entfernt, Minister. Steins gestern eingetroffene Gardisten der anderischen Sondereinheiten berichteten mir, sie seien wenigstens vier Wochen von hier entfernt. Vermutlich sogar noch etwas mehr.«
Bertrand zuckte mit den Achseln und zog eine Braue hoch, während ein durchtriebenes Lächeln um seine Lippen spielte. »Dann werden wir die Mutter Konfessor und Lord Rahl eben hinhalten müssen.«
Hildemara stemmte ihre Fäuste auf den Schreibtisch und beugte sich zu ihrem Gatten.
»Dieser Lord Rahl und die Mutter Konfessor werden eine Antwort von uns erwarten. Sie haben unseren Abgesandten in Aydindril längst unsere Alternativen erläutert und sie mit dem Angebot zurückgeschickt, uns entweder dem d’Haranischen Reich anzuschließen oder mit der Möglichkeit einer Eroberung und dem daraus resultierenden Verlust unseres Ansehens im eigenen Land rechnen zu müssen.«
Dalton pflichtete ihr bei. »Wenn wir den Kapitulationsbedingungen nicht zustimmen, werden sie ihre Truppen gegen unser Land marschieren lassen. Wären wir ein kleines, unbedeutendes Land, würden sie unsere Hinhaltetaktik zweifellos nicht weiter beachten, wenn wir uns aber weigern, uns ihnen anzuschließen, werden wir augenblicklich zu einem vorrangigen Ziel.«
»Außerdem haben sie, wie ich gehört habe, Streitkräfte irgendwo unten im Süden stehen«, warf Hildemara ein. »Man darf diesen Lord Rahl weder unterschätzen noch zum Narren halten. Einige der anderen Länder – unter anderem Jara, Galea, Herjborgue, Grennidon und Kelton – sind entweder bereits gefallen oder haben sich freiwillig angeschlossen. Lord Rahl verfügt über beträchtliche eigene Streitkräfte aus D’Hara, mit diesen Ländern zusammen jedoch ist seine Armee gewaltig.«
»Aber die stehen nicht alle hier unten«, wandte Bertrand ein, der aus unerfindlichem Grund plötzlich recht still geworden war. »Die Imperiale Ordnung wird imstande sein, sie vernichtend zu schlagen. Die Dominie Dirtch können jede Armee des d’Haranischen Reiches fernhalten.«
Dalton fand diese Zuversicht unbegründet. »Nach meinen Quellen ist dieser Lord Rahl ein Zauberer von ungeheuren Fähigkeiten. Obendrein ist er der Sucher der Wahrheit. Ich fürchte, ein solcher Mann könnte über Mittel verfügen, die Dominie Dirtch zu besiegen.«
Und Hildemara drohte ihrem Gatten mit erhobenem Finger. »Wir haben zu lange darauf hingearbeitet, um jetzt alles mit einem Schlag zu verlieren.«
Bertrand tippte lächelnd seine Daumen gegeneinander. »Dann werden wir sie eben, ich sagte es bereits, hinhalten müssen, nicht wahr, meine Liebe?«
Die d’Haranischen Truppen bildeten ein dunkles Band auf der Straße hinter Richard und Kahlan, die sie zum Anwesen des Ministers für Kultur führten. Ein dunkles, vor Stahl strotzendes Band. In weniger als einer Stunde würde die Sonne hinter den vereinzelten Wolken untergehen, aber wenigstens waren sie am Ziel.
Richard löste sein durchgeschwitztes d’Haranisches Hemd von der Brust und beobachtete dabei einen seltsamen Raben, der über ihren Köpfen seine Kreise zog. Hochmütig machte er, wie Raben dies nun einmal tun, mit derben Schreien auf sich aufmerksam.
Es war ein heißer, drückender Tag gewesen. Kahlan und er trugen von den Soldaten mitgebrachte Ersatzkleidung, damit ihre eigenen Kleider sauber und bereit für das Treffen waren, das, wie sie beide wussten, nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.
Richard sah über seine Schulter und wurde von Du Chaillu mit einem mörderischen Blick bedacht. Er hatte sie gezwungen, sich auf ein Pferd zu setzen, damit sie vorankamen und nicht noch einen weiteren Tag verloren. Ihre Reise hatte ohnehin schon viel zu lange gedauert.
Die Baka Tau Mana ritten nicht gerne. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte Du Chaillu ihn einfach ignoriert, wenn er ihr befohlen hätte, sich auf ein Pferd zu setzen, diesmal jedoch war ihr klar, dass sie im Falle einer Weigerung einfach zurückgelassen worden wäre.
Offenbar hatte Cara einige Zeit gebraucht, um General Reibischs Streitkräfte ausfindig zu machen und eine Eskorte loszuschicken. Richard, Kahlan und die Baka Tau Mana hatten sich viel zu lange mühsam zu Fuß durch die sintflutartigen Niederschläge des Spätfrühlings schleppen müssen. Sie waren noch nicht weit gekommen, als die d’Haranischen Truppen mit den Pferden eintrafen.
Du Chaillu hatte sie ebenfalls aufgehalten, wenn auch nicht mit Absicht. Unaufhörlich beschwerte sie sich, das Reiten schade ihrem Baby, noch bevor es geboren wurde – jenes Baby, das sie auf Richards Rat zur Welt bringen sollte. Ihres ungeborenen Kindes wegen hatte Richard sie nur ungern gezwungen, sich auf ein Pferd zu setzen.
Ohnehin hatte er sie ja gar nicht erst mitnehmen wollen. Als dann jedoch die d’Haranischen Truppen mit Vorräten und Ersatzpferden zu ihnen gestoßen waren, hatte sie sich, anders als zuvor abgesprochen, geweigert, nach Hause zurückzukehren.
Man musste ihr jedoch zugute halten, dass sie sich nie über die Beschwerlichkeit der Reise beklagt hatte. Als Richard sie dann aber zu reiten zwang, versetzte sie das in übelste Stimmung.