Anfangs hatte Kahlan kühl darauf reagiert, die Seelenfrau der Baka Tau Mana mitzunehmen, seit Richards Sturz vom Pferd jedoch hatte sie sich zunehmend mit der Situation angefreundet. Kahlan rechnete es Du Chaillu hoch an, dass sie Richard das Leben gerettet hatte. Richard wusste Du Chaillus eifrige Hilfsbereitschaft zu schätzen, hielt es jedoch nicht für ihr Verdienst, dass er noch lebte.
Er war alles andere als sicher, was passiert war. Seit er die Dominie Dirtch gesehen und erfahren hatte, dass sie zur selben Zeit, als er den lähmenden Schmerz verspürt hatte, von allein erklungen waren, war ihm klar, dass all diese Vorkommnisse irgendwie miteinander in Verbindung stehen mussten, deshalb glaubte er nicht, dass Du Chaillu großen Einfluss darauf hatte. Die Sache war weitaus größer, als sie ahnte, noch dazu komplizierter, als Richard zu begreifen imstande war.
Seit den Dominie Dirtch hatte Richard das Tempo nicht mehr verlangsamt, nicht einmal wegen ihrer Schwangerschaft. Seit sie selber in der Nähe dieser steinernen Glocken gewesen war und ein wenig von dem mitbekommen hatte, was er empfand, hatte sie sich bezüglich seiner Eile entgegenkommender gezeigt.
Richard hob eine Hand, als er den Reiter mit der Staubwolke hinter sich erspähte. Er hörte, wie auf sein Handzeichen Befehle durch die Reihen nach hinten durchgegeben wurden, bis die gesamte Kolonne unter Klirren und Schnauben zum Stillstand kam. Erst in der Stille nach dem unvermittelten Anhalten wurde ihm bewusst, wie viel Lärm sie erzeugten, wenn sie in Bewegung waren.
»Das dürfte unsere Begrüßung sein«, meinte Kahlan.
»Wie weit ist es noch bis zum Anwesen des Ministers?«, fragte Richard.
»Nicht mehr weit. Wir haben mehr als die halbe Strecke nach Fairfield hinter uns. Vielleicht noch eine Meile.«
Richard und Kahlan stiegen ab, um den näher kommenden Reiter zu begrüßen. Ein Soldat übernahm die Zügel von Kahlans Pferd. Richard reichte dem Mann seine ebenfalls nach hinten und löste sich dann von den anderen. Nur Kahlan begleitete ihn. Er musste per Handzeichen verhindern, dass die Soldaten einen Schutzring um sie bildeten.
Der junge Mann sprang von seinem Pferd, bevor es rutschend zum Stillstand kam. Die Zügel in einer Hand haltend, ging er zu einer Verbeugung hinunter auf ein Knie. Kahlan begrüßte ihn nach Art der Mutter Konfessor, und er erhob sich wieder. Er trug eine Botentracht aus schwarzen Stiefeln, dunklen Hosen, einem weißen Rüschenhemd mit elegantem Kragen und Manschetten sowie einem dunkelbraunen, wattierten Wams mit schwarzen und braunen Litzen an den Rändern.
Der Mann verneigte seinen roten Haarschopf vor Richard. »Lord Rahl?«
»Ja, ganz recht.«
Er richtete sich auf. »Mein Name ist Rowley. Der Minister für Kultur schickt mich, um Euch zu begrüßen und Euch seine Freude darüber mitzuteilen, dass Ihr und die Mutter Konfessor das Volk von Anderith mit Eurer Anwesenheit beehrt.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Richard.
Kahlan versetzte ihm einen Ellbogenstoß in die Rippen. »Vielen Dank, Rowley. Wir werden einen Platz benötigen, wo unsere Männer das Lager aufschlagen können.«
»Ja, Mutter Konfessor. Der Minister lässt Euch ausrichten, Ihr könnt Euch nach Belieben einen Platz in unserem Land aussuchen. Falls erwünscht, steht Euch das Gelände rings um das Anwesen des Ministers zur freien Verfügung.«
Richard behagte dieser Vorschlag ganz und gar nicht. Er wollte nicht, dass seine Männer derart eingeengt waren. Er wollte sie in seiner Nähe, trotzdem sollten sie in der Lage sein, einen angemessenen Verteidigungsring zu errichten. Was immer alle anderen denken mochten, er war gezwungen, dies als potenziell feindliches Gebiet zu behandeln.
Er deutete auf das Weizenfeld. »Wie wäre es hier? Selbstverständlich werden wir den Besitzer dieses Landes für die von uns vernichtete Ernte entschädigen.«
Rowley verbeugte sich. »Wenn Ihr es wünscht, Lord Rahl. Der Minister überlässt die Entscheidung ganz Euch. Bei dem Land handelt es sich um öffentliches Land, die Ernte ist also Überschuss ohne Belang oder wirklichen Wert.
Sobald Ihr Eure Eskorte nach Euren Wünschen versorgt habt, möchte Euch der Minister für Kultur zum Abendessen einladen. Er bat mich, Euch mitzuteilen, er sei voller Ungeduld, Euch kennen zu lernen und die Mutter Konfessor wieder zu sehen.«
»Wir haben nicht die Absicht…«
Kahlan stieß ihn abermals an. »Es wird uns eine Freude sein, dem Minister beim Abendessen Gesellschaft zu leisten. Doch sei so gut und bitte ihn um Verständnis, dass wir scharf geritten und müde sind. Wir wüssten es zu schätzen, wenn er das Abendessen auf nicht mehr als drei Gänge beschränken könnte.«
Rowley war auf diese Bitte sichtlich nicht vorbereitet, versprach jedoch, sie umgehend zu übermitteln.
Als der Mann wieder zurückritt, trat Du Chaillu zu ihnen.
»Du brauchst ein Bad«, erklärte sie Richard. »Jiaan sagt, es gibt einen Teich, nicht weit hinter dem Hügel dort. Komm, gehen wir und nehmen ein Bad.«
Kahlans Miene verfinsterte sich. Du Chaillu setzte ein reizendes Lächeln auf.
»Immer muss ich so etwas vorschlagen«, meinte sie. »Er wird verlegen, wenn wir gemeinsam baden. Sein Gesicht wird ganz rot, so wie jetzt« – sie deutete auf Richards Gesicht –, »wenn wir uns ausziehen, um ein Bad zu nehmen: Sein Gesicht wird jedes Mal so rot wie jetzt, wenn er mir sagt, ich soll meine Kleider ablegen.«
Kahlan verschränkte die Arme. »Was du nicht sagst.«
Du Chaillu nickte. »Badest du auch so gerne mit ihm? Ihm scheint das großen Spaß zu machen – mit Frauen zu baden.«
In diesem Augenblick war Richard klar, wie sehr Du Chaillu ihr Ritt auf dem Pferd missfallen hatte, wie sehr sie darauf aus war, sich an ihm zu rächen.
Kahlan sah ihn aus ihren grünen Augen an. »Was ist das für eine Geschichte mit dir, den Frauen und dem Wasser?«
Richard, nicht gewillt, das Spiel mitzuspielen, zuckte mit den Achseln. »Möchtest du uns vielleicht Gesellschaft leisten? Wäre doch vielleicht ganz nett.« Er zwinkerte ihr zu, dann machte er kehrt und fasste Du Chaillus Arm. »Dann komm, Gemahlin. Wir gehen vor, Kahlan kommt vielleicht später nach.«
Du Chaillu riss ihren Arm zurück. Der Scherz war ihr zu weit gegangen. »Nein, ich möchte nicht zu diesem Wasser gehen.«
Die Angst war ihr deutlich von den Augen abzulesen. Sie wollte den Chimären keine Gelegenheit geben, sie noch einmal zu ertränken.
52
Richard entfuhr ein ungehaltenes Stöhnen, als er die Leute genauer betrachtete, die sich das Abendessen schmecken ließen. Ein Abendessen im vertrauten Kreis, hatte Bertrand Chanboor es genannt. Kahlan hatte Richard zugeraunt, in Anderith sei es üblich, fünfzig oder sechzig Personen beim Abendessen als vertrauten Kreis zu bezeichnen.
Viele sahen fort, sobald Richard den Blick auf sie richtete, vor allem die Männer, die Frauen hingegen taten dies meist nicht. Zum Glück war Kahlan nicht eifersüchtig, trotz der schönen Augen, die sie ihm machten. Im Grunde war sie auch auf Du Chaillu nicht eifersüchtig gewesen; sie wusste, dass die Frau ihn lediglich hatte ärgern wollen. Er war sich allerdings darüber im Klaren, erklären zu müssen, wie unschuldig das eine Bad mit Du Chaillu gewesen war.
Es war nicht einfach, Kahlan etwas zu erklären, wenn ständig so viele Menschen um einen herum waren. Selbst im Schlaf wurden sie jede Minute von den Meistern der Klinge und jetzt auch noch von Soldaten bewacht. Dabei blieb kein Platz für Intimitäten, von Romantik ganz zu schweigen. Er war drauf und dran zu vergessen, dass sie verheiratet waren, so wenig Zeit hatten sie für sich allein.
Ihr Ziel jedoch ließ solche Überlegungen bis zur Bedeutungslosigkeit verblassen. Dass Menschen starben, weil die Chimären auf freiem Fuß waren, war ihrem Privatleben nicht gerade förderlich.
Als er jetzt neben ihr saß, die Speisen auf dem Tranchierbrett mit ihr teilte, sah, wie der Schein der Lampen sich in ihren grünen Augen und auf ihren Haaren spiegelte, wie ihre vollen Locken sich in die Beuge ihres Halses schmiegten, begann Richard, sich die Zeit vor wenigen Wochen im Haus der Seelen ins Gedächtnis zurückzurufen – als sie sich zum letzten Mal geliebt hatten … Und musste an ihren üppigen, nackten Körper denken. Dieses Bild vor seinem inneren Auge war unvergesslich.