Kahlan räusperte sich. »Er hat dich etwas gefragt, Richard«, meinte sie leise.
Richard sah überrascht auf. »Wie?«
»Minister Chanboor hat dir eine Frage gestellt.«
Richard drehte sich zur anderen Seite. »Verzeiht, ich war in Gedanken ganz woanders. Bei einer wichtigen Beschäftigung.«
»Ja, natürlich«, erwiderte Minister Chanboor lächelnd. »Ich wollte nur gerne wissen, wo Ihr aufgewachsen seid.«
Eine längst vergessene Erinnerung an seine Jugend tauchte in Richards Gedanken auf, die Erinnerung an einen Ringkampf mit seinem älteren Bruder – Halbbruder – Michael. Er vermisste ihre spielerischen Balgereien von damals sehr. Sie hatten stets viel gelacht.
»Ach, wisst Ihr – überall dort, wo es eine ordentliche Rauferei gab.«
Der Minister suchte stammelnd nach Worten. »Ich, äh … ich vermute, Ihr hattet einen guten Lehrer.«
Später, als sie erwachsen waren, hatte sein Halbbruder ihn an Darken Rahl verraten. Michael hatte viele Menschen verraten, wegen seines Verrats hatten viele Unschuldige sterben müssen.
»Ja«, erwiderte Richard, dessen Erinnerung sich unübersehbar zwischen ihn und das erwartungsvolle Gesicht des Ministers schob. »Ich hatte in der Tat einen guten Lehrer. Letzten Winter habe ich ihn enthaupten lassen.«
Der Minister erbleichte.
Richard wandte sich wieder zu Kahlan. Sie verbarg ihr Lächeln. »Gute Antwort«, raunte sie ihm mit vorgehaltener Serviette zu, um nicht über der Musik von der etwas vor und unterhalb der Tafel platzierten Harfe gehört zu werden.
Falls Lady Chanboor auf der anderen Seite von Kahlan entsetzt war, so ließ sie sich zumindest nichts anmerken. Dalton Campbell, auf des Ministers anderer Seite, zog erstaunt eine Braue hoch. Teresa hinter ihm, eine nette Frau, wie Richard fand, hatte seine Bemerkung gar nicht mitbekommen. Als Dalton sich umdrehte, um sie ihr zuzuflüstern, bekam sie, eher aus angenehmer Überraschtheit denn vor Entsetzen, große Augen.
Kahlan hatte ihn gewarnt, dass diese Menschen nur auf Gewalt reagierten, und ihm geraten, die Anderier, wenn er sie für sich gewinnen wolle, eher mit Gewalt einzuschüchtern als sich entgegenkommend zu zeigen.
Der Minister, ein Stück von roter Soße triefenden Rollbratens in den Fingern, versuchte gestikulierend das Gespräch auf ein weniger blutrünstiges Thema zu lenken.
»Mögt Ihr kein Fleisch, Lord Rahl?«
Richard kam es so vor, als ziehe sich der Fleischgang bereits seit einer Stunde hin. Er beschloss, dem Mann unumwunden die Wahrheit zu sagen.
»Ich bin ein Kriegszauberer, Minister Chanboor. Wie mein Vater, Darken Rahl, esse ich kein Fleisch.« Richard hielt inne, um sicherzugehen, dass er die Aufmerksamkeit aller am Tisch hatte. »Seht Ihr, Zauberer müssen in ihrem Leben für Ausgewogenheit sorgen. Der Verzicht auf Fleisch ist der Ausgleich für das viele Töten, zu dem ich gezwungen bin.«
Die Harfenspielerin setzte einen Ton aus; alles hielt den Atem an.
Richard brach das sich ziehende Schweigen. »Gewiss ist Euch mein Vorschlag an die Midlands, sich uns anzuschließen, inzwischen längst zu Ohren gekommen. Die Bedingungen sind für alle recht und billig. Ich darf wohl davon ausgehen, dass Eure Abgesandten Euch unsere Bedingungen überbracht haben. Schließt Ihr Euch uns freiwillig an, wird Euer Volk mit offenen Armen aufgenommen. Widersetzt Ihr Euch uns … nun, solltet Ihr Euch uns widersetzen, werden wir gezwungen sein, Euer Land zu erobern. In diesem Fall sind die Bedingungen hart.«
»So hat man es mir berichtet«, meinte der Minister.
Kahlan beugte sich vor. »Hat man Euch auch darüber informiert, dass ich mit meiner Erklärung hinter Lord Rahl stehe? Wie Ihr wisst, lautet mein Rat, dass alle Länder sich uns anschließen sollten.«
Der Minister neigte den Kopf zu einer leichten Verbeugung. »So ist es, Mutter Konfessor, und bitte seid versichert, wir wissen Euren fundierten Rat durchaus zu schätzen.«
»Dann habt Ihr also die Absicht, Minister, Euch unserem Kampf für die Freiheit anzuschließen?«
»Nun – seht Ihr, Mutter Konfessor, ganz so einfach ist das nicht.«
»Also schön«, meinte Richard und begann sich zu erheben. »Dann will ich den Herrscher sprechen.«
»Das ist unmöglich«, sagte Dalton Campbell.
Richard, dessen Blick sich zusehends verfinsterte, sank wieder zurück. »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«
Der Minister benetzte sich die Lippen. »Der Herrscher – der Schöpfer wache über seine gepriesene Seele – ist sehr krank, er ist ans Bett gefesselt. Nicht einmal ich durfte ihn aufsuchen. Nach Auskunft der Heiler und seiner Gemahlin ist er nicht in der Lage zu sprechen. Es wäre zwecklos, mit ihm reden zu wollen, da er nur selten bei Bewusstsein ist.«
»Das tut mir Leid«, meinte Kahlan. »Davon wussten wir nichts.«
»Wir würden Euch zu ihm bringen, damit Ihr ihn sehen könnt, Mutter Konfessor, Lord Rahl«, erklärte Dalton Campbell im Tonfall offener Aufrichtigkeit, »der Mann ist jedoch so krank, dass er keinen Rat erteilen könnte.«
Die Harfenspielerin setzte – unter Zuhilfenahme jeder einzelnen Saite, wie es schien – zu einem noch lauteren, virtuoseren und dramatischeren Stück an.
»Dann werdet Ihr die Entscheidung ohne seinen Rat treffen müssen«, sagte Richard. »Die Imperiale Ordnung marschiert bereits in die Neue Welt ein. Wir werden jeden verfügbaren Mann benötigen, um uns ihrer Tyrannei zu widersetzen, damit sich ihr dunkler Schatten nicht über uns alle legt.«
»Nun«, meinte der Minister, scheinbar damit beschäftigt, unsichtbare Krumen vom Tischtuch aufzuklauben, »ich will durchaus, dass sich das Land Anderith Euch und Eurem ehrbaren Ziel anschließt. Das ist ohne Zweifel mein Wunsch, so wie ganz bestimmt auch der der meisten anderen Menschen in Anderith…«
»Gut. Dann wäre das geklärt.«
»Äh, nein, eben nicht.« Minister Chanboor hob den Kopf. »Es mag zwar durchaus mein Wunsch sein und auch der meiner Gemahlin, und es mag dem eindringlichen Rat Daltons entsprechen, trotzdem können wir eine so wichtige Entscheidung unmöglich allein treffen.«
»Die Direktoren?«, fragte Kahlan. »Wir werden umgehend mit ihnen sprechen.«
»Sie sind auch Teil des Problems«, meinte der Minister, »aber nicht das ganze. Es gibt andere, die an einer Entscheidung von dieser Tragweite beteiligt werden müssen.«
Richard war verwirrt. »Wer denn noch?«
Der Minister lehnte sich in seinem Sessel zurück und blickte einen Moment hinaus in den Saal, bevor er seine dunklen Augen wieder auf Richard richtete.
»Das Volk von Anderith.«
»Ihr seid der Minister für Kultur«, versetzte Kahlan, sich aufgebracht vorbeugend. »Ihr seid sein Fürsprecher. Ihr braucht es nur anzuordnen, und Euer Wort gilt.«
Der Mann breitete die Hände aus. »Mutter Konfessor, Lord Rahl, Ihr bittet uns, unsere Souveränität aufzugeben. Einen solchen Schritt kann ich nicht einfach kaltschnäuzig allein anordnen.«
»Aus diesem Grund wird es ja auch ›Kapitulation‹ genannt«, knurrte Richard.
»Aber Ihr verlangt, dass unser Volk seine Identität aufgibt und eins wird mit Euch und Eurem Volk. Ich glaube, Euch ist die Bedeutung dessen nicht ganz klar. Ihr verlangt von uns nicht nur die Aufgabe unserer Souveränität, sondern unserer gesamten Kultur.
Versteht Ihr nicht? Wir wären nicht mehr die, die wir sind. Unsere Kultur reicht Jahrtausende zurück. Und jetzt kommt Ihr, ein einzelner Mann, und verlangt, dass unser Volk seine gesamte Geschichte wegwirft? Wie kommt Ihr auf die Idee, es sei so einfach, unser Erbe, unsere Vorfahren, unsere Kultur zu vergessen?«
Richard trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Er starrte zu den Menschen hinüber, die sich das Abendessen schmecken ließen, die keine Ahnung hatten, welch wichtige Dinge an der Ehrentafel besprochen wurden.