»Eure Darstellung ist nicht ganz korrekt, Minister Chanboor. Es ist keinesfalls unser Wunsch, Eure Kultur zu zerstören« – Richard beugte sich zu dem Mann hinüber –, »obwohl es, soweit ich gehört habe, einige ungerechte Aspekte gibt, die wir keinesfalls dulden werden. Unser Gesetz wird alle gleich behandeln.
Solange Ihr die allgemein gültigen Gesetze achtet, dürft Ihr Eure Kultur behalten.«
»Gewiss, aber…«
»Zuallererst ist dies eine Frage der Notwendigkeit für die Freiheit Hunderttausender von Menschen in der Neuen Welt. Eine Gefährdung so vieler Menschen werden wir nicht hinnehmen. Schließt Ihr Euch uns nicht an, werden wir Euch erobern. Wenn es dazu kommt, werdet Ihr Euer Mitspracherecht bei den von uns erlassenen Gesetzen verlieren, darüber hinaus werdet Ihr Strafen entrichten, die Euer Land für eine Generation lähmen werden.«
Das Ungestüm in Richards Augen ließ den Minister einige Zoll zurückweichen. »Noch schlimmer wäre es, wenn die Imperiale Ordnung zuerst über Euch herfiele. Sie würden Euch keine Geldstrafen auferlegen, sie würden Euch vernichten. Sie würden Euch töten oder zu Sklaven machen.«
»Die Imperiale Ordnung hat die Kapitulation Ebinissias verlangt«, meinte Kahlan kalt. »Ich war dort. Ich habe gesehen, was die Imperiale Ordnung mit diesen Menschen gemacht hat, als diese sich weigerten zu kapitulieren und sich versklaven zu lassen. Die Soldaten der Imperialen Ordnung haben jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in der Stadt gefoltert und erschlagen. Jeden Einzelnen von ihnen. Niemand wurde am Leben gelassen.«
»Nun ja, alle Soldaten, die…«
»Über fünfzigtausend Soldaten der Imperialen Ordnung nahmen am Gemetzel an der unschuldigen Bevölkerung Ebinissias teil«, erklärte Kahlan mit einer Stimme von eindringlicher Kälte. »Ich führte die Truppen an, die sie niederhetzten. Wir töteten die Soldaten, die an dem Gemetzel in Ebinissia beteiligt waren – bis auf den letzten Mann.«
Kahlan beugte sich zum Minister. »Viele von ihnen haben weinend um Gnade gefleht. In meiner Funktion als Mutter Konfessor habe ich verkündet, es werde keine Gnade für die Imperiale Ordnung geben. Das schließt auch jene ein, die sich auf ihre Seite schlagen. Wir haben dieses Heer bis zum letzten Mann aufgerieben, Minister Chanboor. Bis zum allerletzten Mann.«
Die beängstigende Kälte ihrer Worte ließ jeden im Saal erschrocken verstummen. Dalton Campbells Gattin Teresa sah aus, als wollte sie von der Tafel aufspringen und die Flucht ergreifen.
»Eure einzige Rettung«, meinte Richard schließlich, »ist es, Euch uns anzuschließen. Gemeinsam bilden wir eine ungeheure Streitmacht, die imstande sein wird, die Imperiale Ordnung zurückzuschlagen und Frieden und Freiheit in der Neuen Welt zu wahren.«
Schließlich ergriff Minister Chanboor das Wort. »Wie gesagt, läge die Entscheidung bei mir, ich würde diesem Anschluss zustimmen, genau wie meine Gemahlin, genau wie Dalton. Das Problem ist, Kaiser Jagang hat einigen Leuten hier großzügige Angebote unterbreitet, Friedensangebote, die…«
Kahlan sprang auf. »Was! Ihr habt mit diesen Mördern verhandelt!«
Einige der Anwesenden im Saal unterbrachen ihre Unterhaltung, um kurz zur Ehrentafel hochzuschauen. Richard war aufgefallen, dass einige den Minister und seine Gäste keinen Moment aus den Augen gelassen hatten.
Zum ersten Mal wirkte der Minister unerschrocken. »Wenn das eigene Land von zwei gegnerischen Kräften, von denen keine dazu provoziert wurde, unsere Kapitulation zu fordern, mit Zerstörung bedroht wird, haben wir als Führer und Berater die Pflicht, uns beide Seiten anzuhören. Wir wollen keinen Krieg, der Krieg wird uns aufgezwungen. Wir sind verpflichtet, uns anzuhören, wie unsere Alternativen aussehen. Daraus könnt Ihr keinen Vorwurf konstruieren.«
»Freiheit oder Sklaverei«, sagte Richard, an der Seite seiner Gemahlin stehend.
Auch der Minister erhob sich. »Sich anzuhören, was jemand zu sagen hat, gilt hier in Anderith nicht als Verbrechen. Wir greifen niemanden an, solange er uns nicht bedroht. Die Imperiale Ordnung hat uns dringend aufgefordert, nicht auf das zu hören, was Ihr zu sagen habt, und dennoch seid Ihr hier. Wir lassen jeden zu Wort kommen.«
Richards Hand umfasste das Heft seines Schwertes fester. Er erwartete, die erhabenen, aus Golddraht gefertigten Buchstaben zu spüren, jene Buchstaben, die das Wort ›Wahrheit‹ bildeten. Einen Augenblick war er überrascht, als er feststellen musste, dass sie nicht da waren.
»Und welche Lügen hat die Imperiale Ordnung Euch aufgetischt, Minister?«
Minister Chanboor zog die Schultern hoch. »Wie gesagt, Euer Angebot sagt uns besser zu.«
Er machte eine auffordernde Geste mit der Hand. Richard und Kahlan kehrten widerstrebend auf ihre Plätze zurück.
»Eins muss ich Euch gleich vorweg sagen, Minister«, erklärte Richard, »was immer Ihr verlangt, von uns werdet Ihr es nicht bekommen. Ihr braucht Euch gar nicht erst die Mühe zu machen, Eure Bedingungen aufzulisten. Wie wir Euren Abgesandten in Aydindril bereits erklärt haben, haben wir allen Ländern dasselbe Angebot unterbreitet. Aus Gründen der Gerechtigkeit kann es weder Ausnahmen noch Zugeständnisse an einige geben.«
»Die verlangen wir auch nicht«, erwiderte Minister Chanboor.
Als Kahlan ihm die Hand auf den Rücken legte, nahm Richard dies als Zeichen, tief durchzuatmen und sein Temperament zu zügeln. Dabei rief er sich ihr gemeinsames Ziel in Erinnerung. Kahlan hatte Recht: Er musste überlegen und durfte nicht einfach reagieren.
»Also gut, Minister, worin liegt das Problem, das Euch hindert, unsere Kapitulationsbedingungen anzunehmen?«
»Nun, wie gesagt, läge es bei mir und hätte ich…«
»Worin liegt das Problem?« Tiefer Atemzug oder nicht, Richards Ton blieb unversöhnlich.
Er fasste bereits seine weniger als eine halbe Meile entfernt stehenden Truppen ins Auge. Die Wachen auf dem Anwesen hätten den d’Haranischen Elitesoldaten wenig entgegenzusetzen. Er griff nur ungern auf diese Möglichkeit zurück, aber vielleicht würde er dazu gezwungen sein. Sie durften nicht zulassen, dass der Minister – absichtlich oder nicht – verhinderte, dass Jagang Einhalt geboten wurde.
Der Minister räusperte sich. Alle anderen am Tisch erstarrten, fast als hätten sie Angst sich zu bewegen, als könnten sie Richards Gedanken an seinen Augen ablesen.
»Dies betrifft jeden Einwohner unseres Landes. Ihr verlangt, wir sollen unsere Kultur aufgeben, wie die Imperiale Ordnung auch – nur wäre die Veränderung bei Euch nicht ganz so umfassend, und wir könnten einige unserer Sitten und Gebräuche beibehalten.
Das kann ich unserem Volk nicht zumuten. Es wird selbst entscheiden müssen, was es zu tun wünscht.«
Richard hob eine Hand. Er ließ sie auf den Tisch zurückfallen. »Aber wie kann es das?«
Der Minister benetzte sich die Lippen. »Jeder Einzelne wird mit seiner Stimme über das Schicksal aller entscheiden.«
»Mit seiner was?«, fragte Kahlan.
»Mit seiner Stimme. Jeder Einzelne muss Gelegenheit erhalten, sich zu diesem Punkt zu äußern.«
»Kommt nicht in Frage«, meinte Kahlan entschieden.
Alle anderen am Tisch wirkten schockiert. Lady Chanboors Augen schienen ihr aus dem Kopf treten zu wollen, als sie den Vorschlag ihres Gatten vernahm. Dalton Campbell saß steif da, mit leicht geöffnetem Mund. Teresa hatte schockiert die Brauen hochgezogen. Offensichtlich war ihnen Minister Chanboors Plan nicht nur unbekannt, sondern sie schienen ihn nicht einmal für klug zu halten; nichtsdestoweniger hielten sie sich auch weiterhin zurück.
»Kommt nicht in Frage«, wiederholte Kahlan.
»Wie könnt Ihr erwarten, dass unser Volk Euch die Ernsthaftigkeit Eurer Freiheitsabsichten abnimmt, wenn Ihr nicht bereit seid, es selbst über sein Schicksal entscheiden zu lassen? Wenn Euer Angebot wirklich für die Freiheit steht, wieso fürchtet Ihr dann die Freiheit der Menschen, darüber zu befinden? Wenn Euer Angebot tatsächlich so gerecht und gut ist – und die Imperiale Ordnung so brutal und ungerecht –, warum erlaubt Ihr dann unserem Volk nicht, frei darüber abzustimmen, ob es sich Euch anschließen will? Was ist daran so Schändliches, dass Ihr ihm nicht erlaubt, sein Los zu erkennen und sich aus freien Stücken dafür zu entscheiden?«