»Und Jagang würde ein Exempel statuieren, um den anderen zu zeigen, was mit all denen geschieht, die nicht wie versprochen liefern«, setzte Hildemara hinzu.
Bertrand nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Becher, den er in das private Arbeitszimmer mitgebracht hatte. Er stellte den silbernen Becher auf einer kleinen marmornen Tischplatte ab und genoss den Geschmack des Rums, bevor er ihn hinunterschluckte.
»Meine liebe Gemahlin, mein vertrauter Adjutant, erkennt ihr beide nicht die schlichte Brillanz, die darin liegt? Wir werden sie hinhalten, damit die Imperiale Ordnung genügend Zeit hat, hierher zu kommen. Sie hinhalten, bis es zu spät für sie ist, etwas Wirkungsvolles zu unternehmen. Könnt Ihr Euch zu allem Überfluss vorstellen, wie dankbar Jagang sein wird, wenn wir ihm seinen ärgsten Feind ausliefern?«
»Und wie willst du das schaffen?«, wollte seine Gemahlin wissen.
»Ein Monat dieser Wählerei, und die Imperiale Ordnung wird in der Lage sein, ihre Vorhut zu positionieren; anschließend können sie die Dominie Dirtch ganz nach eigenem Gutdünken in ihre Gewalt bringen. Die Streitkräfte des Lord Rahl – selbst wenn er sie in seiner Nähe haben sollte – werden ihm und der Mutter Konfessor nicht mehr zu Hilfe eilen können, sobald sie die Unterstützung aus dem Volk verloren haben. Jagang wird unbesiegbar sein.
Der Kaiser bekommt wie versprochen ein Land sowie das Volk, es zu bewirtschaften, und wir erhalten dafür, dass wir es ihm überreichen, eine stattliche Belohnung. Wir werden über uneingeschränkte Macht verfügen. Keine Direktoren mehr, über die man sich sorgen müsste – nie mehr. Wir werden Anderith auf Lebenszeit regieren, wie es uns passt, ohne uns über Widerstand sorgen zu müssen.«
Das Leben für das anderische Volk würde weitergehen, das wusste Dalton. Das Leben vieler würde, sobald sie dem höheren Wohl der Imperialen Ordnung dienten, weitgehend noch dasselbe sein, wenn auch ärmer. Es würde zu den unvermeidbaren Erschütterungen und Todesfällen kommen. Manch einer würde verschleppt werden, damit er dem Kaiser diente. Die meisten würden dankbar sein, einfach nur zu leben.
Dalton dachte darüber nach, wie sein eigenes Schicksal aussehen würde, wäre er nicht zum vertrauten Adjutant des Ministers aufgestiegen und somit aufgrund von Stellung und Zwangsläufigkeiten in die Geschichte hineingezogen worden. Ihm schauderte bei der Vorstellung, was aus Teresa geworden wäre.
»Vorausgesetzt, er hält sich tatsächlich an seine Vereinbarungen«, murmelte Hildemara.
»Der Kaiser wird geradezu erfreut sein, sich an unsere Vereinbarungen zu halten, denn seine Streitkräfte werden über einen Platz verfügen, wo sie vor Angriffen sicher sind«, meinte Bertrand. »Was er uns als Gegenleistung versprochen hat, wenn wir dafür sorgen, dass die Bevölkerung Anderiths schuftet, wie sie es gegenwärtig tut, übersteigt bei weitem unsere Möglichkeit, es jemals auszugeben; verglichen mit dem, was er hinzugewinnt, ist es für ihn jedoch kaum mehr als ein Almosen. Wir müssen lediglich dafür Sorge tragen, dass die Imperiale Ordnung bei ihrer Eroberung der Midlands mit Lebensmitteln versorgt wird. Dafür wird er mehr als gerne wie vereinbart zahlen.«
Lady Chanboor schnaubte verärgert. »Aber wenn Lord Rahl die Menschen dazu bringt, für einen Anschluss mit ihm zu stimmen, wird das kein gutes Ende nehmen.«
Bertrand entfuhr ein frohlockendes Lachen. »Du beliebst zu scherzen. Das, meine Liebe, ist das Einfachste an der ganzen Geschichte.«
Sie verschränkte die Arme, als verlangte sie eine Erklärung.
Dalton bereitete dieser Punkt ebenfalls Sorge. »Ihr habt also nicht die Absicht, es zu dieser Abstimmung kommen zu lassen?«
Bertrands Blick wanderte von einem zum anderen.
»Begreift ihr nicht? Eine solche Abstimmung würden wir mühelos zu unseren Gunsten entscheiden.«
»Vielleicht bei den Anderiern«, versetzte sie, »aber bei den Hakeniern? Willst du unser Schicksal etwa in die Hände der Hakenier legen? Die uns zahlenmäßig um ein Vielfaches überlegen sind? Sie werden sich für die Freiheit entscheiden.«
»Wohl kaum. Die Hakenier werden unwissend gehalten. Es mangelt ihnen an den geistigen Fähigkeiten, die Problematik zu begreifen. Sie sind fest überzeugt, nur durch unser Wohlwollen irgend etwas bekommen zu können, sei dies Arbeit oder Lebensmittel oder auch einen Platz in der Armee. Sie glauben, ihre Freiheiten, die Hoffnungen, die sie hegen, können ihnen nur von Anderiern gewährt werden. Zur Freiheit gehört Verantwortung – und das ist nicht der einfache Weg, den sie bevorzugen.«
Seine Gemahlin schien unbeeindruckt. »Wie kannst du da so sicher sein?«
»Wir werden Sprecher vor das Volk treten lassen, die händeringend und unter Tränen ihrer tiefen Angst darüber Ausdruck verleihen, was den Menschen in der Gewalt des brutalen d’Haranischen Reiches widerfahren wird, in den Händen eines gleichgültigen Lord Rahl, der keine Ahnung hat von ihren Bedürfnissen als Hakenier und dem nur an seiner dunklen Magie gelegen ist. Das hakenische Volk wird sich so sehr ängstigen, die paar Krumen zu verlieren, die wir ihnen zugestehen, dass sie vor dem zum Greifen nahen Laib zurückschrecken werden – wir müssen sie nur glauben machen, dieser Laib sei Gift.«
Dalton drehte sich bereits der Kopf vor Überlegungen, wie sich der Plan des Ministers durchführen ließe. Welche Möglichkeiten sich dadurch tatsächlich boten, ging ihm erst allmählich auf.
»Wir müssen überlegen, wie wir es richtig einfädeln«, meinte Dalton. »Am besten halten wir uns ganz im Hintergrund.«
»Genau mein Gedanke.«
»Ja…«, machte Hildemara gedehnt, als sie es sich, ganz angetan, vorzustellen begann. »Wir müssen so tun, als wendeten wir uns Rat suchend an das Volk statt umgekehrt.«
»Andere werden die Worte verkünden, die wir ihnen vorgeben«, sagte Bertrand mit einem Nicken in ihre Richtung. »Wir müssen um jeden Preis darüber erhaben bleiben – und so tun, als seien uns durch unser nobles Festhalten an der Anständigkeit die Hände gebunden, während unser Schicksal in der Hand der Weisheit des Volkes liegt – als würden wir dieses Prinzip und seine Wünsche über alles stellen.«
»Ich verfüge über Leute, die genau den richtigen Ton treffen dürften.« Dalton fuhr sich mit dem Finger unter der Unterlippe entlang. »Wo immer Lord Rahl hingeht, müssen unsere Sprecher ihm folgen und die Botschaft überbringen, die wir ausgearbeitet haben.«
»Sehr richtig«, meinte Bertrand. »Eine Botschaft, die eindringlicher, durchdringender und beängstigender ist.«
Tief in Gedanken, während er versuchte, sich die Strategie in allen Einzelheiten vorzustellen, schwenkte Dalton einen Finger hin und her.
»Lord Rahl und die Mutter Konfessor werden rasch und verärgert Klage erheben, wenn sie etwas Derartiges vermuten. Im Grunde wäre es besser, sie erführen gar nicht erst, was man den Leuten erzählt – zumindest anfangs nicht. Unsere Botschaften dürfen erst unter die Leute gebracht werden, wenn sie zum nächsten Ort weitergereist sind.
Sollen sie doch den Leuten Hoffnungen machen. Anschließend kommen wir und entlarven die Hoffnung, die sie erwecken, als Lüge und treiben ihnen diese Hirngespinste durch Einschüchterung aus.«
Dalton wusste, wie leicht sich die Gedanken der Menschen mit den richtigen Worten beeinflussen ließen, vor allem, wenn sie durch andere Dinge abgelenkt waren und Widersprüche sie verwirrten.
»Wenn das geschickt gemacht wird, werden wir bei den Menschen weitgehend auf Zustimmung stoßen, während wir sie zur gleichen Zeit betrügen.« Endlich lächelte Dalton. »Wenn ich mit ihnen fertig bin, werden sie uns noch jubelnd dazu ermutigen.«
Bertrand nahm noch einen kräftigen Schluck Rum. »Jetzt denkt Ihr endlich wie der Mann, den ich angeheuert habe.«
»Aber wenn die Menschen sein Angebot ablehnen«, sagte Hildemara, »wird Lord Rahl zweifellos verärgert auf seine Niederlage reagieren: Er wird zu Gewalt greifen.«