»Gesetzestexte größtenteils. Mein Interesse gilt dem Recht.«
Sie richtete ihr Augenmerk auf ihn. »Ein prächtiger Beruf, Meister Campbell, ein prächtiger Beruf. Steht Euch gut zu Gesicht. Dass Ihr mir ja dabei bleibt.«
»Ja, das habe ich auch vor. Madame Firkin, da wir gerade vom Gesetz sprechen … das bringt mich auf den Grund, weshalb ich Euch hergebeten habe.«
Sie warf einen Seitenblick auf den Stuhl. Er bot ihn ihr absichtlich nicht an, sondern ließ sie stattdessen stehen.
»In einem meiner Berichte war von einem Besucher der Bibliothek die Rede, der gleichfalls am Recht interessiert war. Offenbar hat er ziemliches Aufsehen erregt.« Dalton stemmte seine Finger auf die in seinen Schreibtisch eingelassene lederne Schreibunterlage, beugte sich vor und fixierte sie mit finsterem Blick. »Man berichtete mir, Ihr hättet ohne Erlaubnis ein indiziertes Buch aus dem Gewölbekeller geholt und ihm gezeigt.«
Blitzschnell verwandelte sie sich von einer geschwätzigen in eine verängstigte alte Dame.
Das, was sie getan hatte, war zwar nicht völlig ungewöhnlich, trotzdem stellte es einen Bruch der Regeln und somit des Gesetzes dar. Die meisten dieser Gesetze wurden nur von Fall zu Fall durchgesetzt, wobei ein Verstoß, wenn überhaupt, nur milde bestraft wurde. Gelegentlich jedoch brachten sich Personen mit einem Verstoß gegen diese Gesetze in Schwierigkeiten. Als Mann des Gesetzes war Dalton sich des Wertes von weithin missachteten Gesetzen bewusst; fast jeder verstrickte sich in ihnen, was einem Macht über die Menschen verlieh. Sollte er sich entscheiden, der Sache nachzugehen, dann hatte sie ein ernst zu nehmendes Unrecht begangen, das nur einen Schritt unterhalb des Diebstahls von wertvollem Kulturgut lag.
Sie nestelte an einem Knopf an ihrem Hals. »Aber ich habe es ihn nicht anfassen lassen, Meister Campbell, das schwöre ich. Ich habe es keinen Augenblick aus der Hand gegeben, hab sogar die Seiten für ihn umgeblättert. Ich wollte ihn nur einen Blick auf die Handschrift unseres ruhmvollen Gründungsvaters werfen lassen. Ich wollte nicht…«
»Nichtsdestoweniger ist dies nicht gestattet und wurde zur Anzeige gebracht. Ich bin also gezwungen, Klage zu erheben.«
»Jawohl, Sir.«
Dalton richtete sich auf. »Bringt mir das Buch.« Er trommelte auf seinen Schreibtisch. »Bringt mir sofort dieses Buch. Sofort, habt Ihr verstanden?«
»Jawohl, Sir. Sofort.«
»Ihr bringt es hier nach oben und legt es mir auf den Schreibtisch, damit ich es mir ansehen kann. Enthält es keine wertvollen Informationen, die an einen Spion verraten worden sein können, werde ich – diesmal – noch nicht zu einer Disziplinarmaßnahme raten. Aber Ihr solltet Euch besser nicht noch einmal bei einer Übertretung der Regeln erwischen lassen, Madame Firkin. Habt Ihr verstanden?«
»Ja, Sir. Vielen Dank, Sir.« Sie war den Tränen nahe. »Die Mutter Konfessor und Lord Rahl waren unten in der Bibliothek, Meister Campbell.«
»Das ist mir bekannt.«
»Lord Rahl bat, die Bücher und Schriften von Joseph Ander einsehen zu dürfen. Was hätte ich tun sollen?«
Dalton konnte kaum glauben, dass dieser Mann seine Zeit damit vergeudete, sich derart nutzlose Bücher anzusehen. Fast tat ihm Lord Rahl in seiner Unwissenheit Leid. Fast.
»Die Mutter Konfessor und Lord Rahl sind ehrenwerte Gäste und darüber hinaus bedeutende Persönlichkeiten. Sie dürfen jedes in unserer Bibliothek vorhandene Buch einsehen. Ihnen gegenüber dürfen keinerlei Einschränkungen gemacht werden. Ich ermächtige Euch hiermit, ihnen alles zu zeigen, was wir besitzen.«
Er trommelte abermals auf seinen Schreibtisch. »Aber dieses Buch, das Ihr diesem anderen Mann, diesem Ruben, gezeigt habt, das würde ich gerne auf meinem Schreibtisch sehen, und zwar sofort.«
»Jawohl, Sir. Sofort, Meister Campbell.« Sie entfernte sich eiligst aus dem Zimmer. Ihr ganzes Streben galt einzig der Beschaffung dieses Buches.
Dalton war das Buch im Grunde egal – um was immer es sich handelte. Er wollte nur nicht, dass die Leute in der Bibliothek nachlässig wurden und anfingen, die Regeln zu missachten. Er konnte keine wertvollen Gegenstände in die Obhut von Personen geben, denen er nicht vertraute.
In seinem Spinnennetz wimmelte es von Angelegenheiten, die wichtiger waren als ein paar nutzlose, angestaubte Bücher von Joseph Ander, trotzdem musste er alles bedenken, wie unbedeutend es auch sein mochte. Er würde einen Blick in dieses Buch werfen, doch was für ihn zählte, war allein, dass sie es ihm brachte.
Ab und zu war es erforderlich, den Menschen ein wenig Angst zu machen, um sie daran zu erinnern, dass er die Verantwortung und das Sagen über ihr Leben hatte. Die Kunde hiervon würde bis zu den anderen bei Hofe dringen. Die Angst, die dieser eine Zwischenfall erzeugte, würde jeden zur Anständigkeit anhalten. Wenn nicht, würde er den nächsten Übeltäter aus dem Hofstaat entfernen, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen.
Dalton ließ sich in seinen Sessel zurücksinken und machte sich abermals über seinen Stapel mit Nachrichten her. Am beunruhigendsten war eine, in der es hieß, der Gesundheitszustand des Herrschers bessere sich. Dem Bericht zufolge nahm er wieder Nahrung zu sich. Kein gutes Zeichen, andererseits konnte der Mann nicht ewig leben. Früher oder später würde Bertrand Chanboor Herrscher sein.
Es gab jedoch eine Reihe von Nachrichten und Berichten über andere Personen, die umgekommen waren. Merkwürdige Vorkommnisse – außergewöhnliche Todesfälle – versetzten die Menschen draußen auf dem Land in Angst und Schrecken. Brandunfälle, Todesfälle durch Ertrinken, Stürze. Landbewohner, die sich nachts vor Dingen fürchteten, drängten auf der Suche nach Sicherheit und Geborgenheit in die Stadt.
Den Berichten nach kamen durch ähnliche Vorkommnisse auch Stadtbewohner ums Leben, die demzufolge ähnlich verängstigt waren. Sie flohen auf der Suche nach Sicherheit aus der Stadt hinaus aufs Land.
Dalton schüttelte den Kopf über die Unsinnigkeit der Ängste dieser Menschen. Er schob die Berichte zu einem Stapel zusammen. Kurz bevor er sie in die Kerzenflamme hielt, kam ihm ein Gedanke. Seine Hand hielt inne. Er zog das Bündel mit den Nachrichten von der Flamme zurück.
Eine Bemerkung Francas brachte ihn auf eine Idee.
Sie konnten ihm vielleicht noch nützlich sein, also stopfte er die Berichte in eine Schublade.
»Arbeitest du noch immer, Liebling?«
Dalton sah auf, als er die vertraute Stimme hörte. Teresa rauschte in einem verführerischen rosafarbenen Kleid, das er sich nicht erinnern konnte, jemals zuvor gesehen zu haben, ins Zimmer.
Er lächelte. »Tess, mein Schatz. Was führt dich nach hier oben?«
»Ich bin gekommen, um dich mit einer Mätresse zu ertappen.«
»Wie bitte?«
Sie ging um seinen Schreibtisch herum, zögerte und blickte aus dem Fenster. Eine grüne Samtschärpe raffte, ihre Kurven betonend, ihr Kleid an der Taille. Er malte sich seine Hände an eben jener Stelle aus, wo die Schärpe sie umschloss.
»Ich war gestern Abend ziemlich einsam«, meinte sie, während sie die Menschen draußen auf den Rasenflächen betrachtete.
»Ich weiß. Tut mir Leid, aber es sind noch Nachrichten hereingekommen, die ich unbedingt…«
»Ich dachte, du wärst bei einer anderen Frau.«
»Wie? Ich habe dir doch eine Nachricht geschickt, aus der hervorging, dass ich noch zu arbeiten hatte, Tess.«
Sie wandte sich zu ihm. »Als du mir Nachricht gabst, du müsstest noch arbeiten, habe ich mir nicht viel dabei gedacht. In letzter Zeit hast du jeden Abend länger gearbeitet. Als ich aber aufwachte und es beinahe dämmerte und du nicht neben mir lagst … na ja, da dachte ich, du liegst bestimmt im Bett einer anderen.«
»Tess, ich würde niemals…«
»Ich spielte schon mit dem Gedanken, mich Lord Rahl an den Hals zu werfen, nur um mich zu rächen, aber er hat ja die Mutter Konfessor, die schöner ist als ich, daher wusste ich, er würde mich bloß auslachen und fortschicken.