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Snip beobachtete, wie die Wachen in der Ferne auf und ab patrouillierten. Es gab keinen anderen Weg hinein, außer über diese Brücke. Genau das hatte Franca ihm erzählt, und jetzt war er hier und sah es deutlich mit seinen eigenen Augen. Sie mussten diese Brücke überqueren – oder alles war vorbei.

Snip spürte einen seltsam wispernden Wind, der ihm durch den Nacken strich; ihn schauderte.

»Was glaubst du, was er dort macht?« erkundigte sich Morley leise.

Snip kniff die Augen zusammen, um auf die Entfernung besser sehen zu können. Einer der Posten schien auf die steinerne Seitenmauer der Brücke zu klettern.

Snip fiel der Unterkiefer herunter. »Bei den Gütigen Seelen! Hast du das gesehen?«

Morley stockte der Atem. »Warum hat er das bloß getan?«

Selbst aus dieser Entfernung konnte Snip das Geschrei der Soldaten hören, die zum Brückenrand liefen, um hinunterzusehen.

»Das glaube ich einfach nicht!«, entfuhr es Morley. »Warum sollte er hinunterspringen?«

Snip schüttelte den Kopf. Er wollte gerade ansetzen und etwas sagen, als er einen Mann auf der anderen Brückenseite die steinerne Brüstung hinaufklettern sah.

Snip streckte seinen Arm aus. »Sieh doch! Dort springt wieder einer!«

Der Mann breitete die Arme aus, als wollte er die Luft umarmen, als er von der Brücke hinunter in den Abgrund sprang.

Als daraufhin die Soldaten zu dieser Brückenseite hinüberrannten, sprang ein dritter in den Tod. Verrückt! Snip lag auf dem Bauch und war sprachlos.

Aus der Ferne erinnerte das Geräusch der schreienden Soldaten, die sich in immer größerer Zahl von der Brücke stürzten, an das chimärenhafte Geläut von Glocken. Sie zogen ihre Waffen, nur um sie gleich darauf fallen zu lassen und selber auf die Steinbrüstung zu klettern.

Irgendetwas schien Snip einen leichten Stoß in den Rücken zu versetzen, als dränge ihn seine eigene Phantasie, die Gelegenheit beim Schopf zu ergreifen. Das Gefühl kribbelte im Nacken; mühsam rappelte er sich auf.

»Komm schon, Morley. Gehen wir.«

Morley folgte, als Snip zu den zwischen den Bäumen versteckten Pferden hinunterlief. Snip steckte seinen Fuß in den Steigbügel und sprang in den Sattel. Morley war unmittelbar hinter ihm, als Snip sein Pferd antrieb und es im Galopp die Straße hinaufjagte.

Es ging steil aufwärts, die Serpentinen hoch. Durch die Bäume konnte er nicht erkennen, ob die Soldaten im Begriff waren, wieder zur Vernunft zu kommen, oder ob nach wie vor Schock und Verwirrung herrschten, sodass sie beide passieren konnten. Snip sah keine andere Möglichkeit. Er hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging, allerdings war es unwahrscheinlich, dass sich jeden Tag Wachen von der Brücke stürzten. Es galt – jetzt oder nie.

Als sie um die letzte Kurve bogen, flogen sie dahin wie der Wind. Snip ging davon aus, dass er und Morley in dem Durcheinander an den letzten noch verbliebenen Wachen vorüberstürmen und die Brücke überqueren konnten.

Die Brücke war menschenleer, nirgendwo waren Soldaten zu sehen. Snip ließ die Pferde im Schritt weitergehen. Beim Gedanken an all die Soldaten, die er noch Augenblicke zuvor gesehen hatte, liefen ihm eiskalte Schauer über den Rücken. Jetzt bewachte allein der Wind die Brücke.

»Willst du wirklich da oben rauf, Snip?«

In der Stimme seines Freundes schwang ein furchtsames Beben mit. Dann folgte Snip Morleys Blick und sah sie ebenfalls: Sie ragte aus dem Fels des Berges heraus, als sei sie aus dem Berg geschlagen, als sei sie Teil des Berges. Sie war dunkel und hatte etwas Bösartiges an sich. Es war so ziemlich der garstigste Ort, den er je zu Gesicht bekommen hatte oder sich vorstellen konnte. Festungswälle, Türme und Mauern ragten jenseits der gewaltigen, mit Zinnen versehenen Außenmauern in die Höhe.

Er war froh, im Sattel zu sitzen, denn er war sich keineswegs sicher, ob seine Beine ihn beim Anblick dieses Ortes getragen hätten. Noch nie hatte er etwas so Gewaltiges oder Unheilvolles gesehen wie die Burg der Zauberer.

»Komm weiter«, meinte Snip. »Bevor sie herausgefunden haben, was passiert ist, und womöglich noch mehr Wachen schicken.«

Morley sah sich nach der menschenleeren Brücke um. »Und was ist passiert?«

»Dies ist ein Ort der Magie. Hier kann alles Mögliche passiert sein.«

Snip schob sein Hinterteil im Sattel nach vorn und drängte sein Pferd voran. Dem Pferd war auf der Brücke unbehaglich zumute; es war nur zu gern bereit, loszugaloppieren. Sie galoppierten sogar dann noch, als sie durch die Öffnung in der äußeren Ummauerung flogen, unter dem mit Eisenspitzen versehenen Fallgatter hindurch.

Drinnen gab es eine umzäunte Koppel für die Pferde. Bevor sie die Tiere laufen ließen, trug Snip Morley auf, sie gesattelt zu lassen, damit sie rasch wieder aufbrechen konnten. Morley war ebenso wenig daran interessiert hier zu verweilen wie Snip. Gemeinsam rannten sie das Dutzend weißer, zweifelsohne über die Jahrhunderte von den Füßen zahlloser Zauberer abgenutzter und ausgetretener Granitstufen hinauf.

Im Innern sah es genau so aus, wie Franca ihm erzählt hatte, nur wurde ihre Schilderung der Größe und dem tatsächlichen Anblick auch nicht annähernd gerecht: Einhundert Fuß weit oben ließ ein glasgedecktes Dach das Sonnenlicht herein; in der Mitte des gefliesten Fußbodens stand ein kleeblattförmiger Brunnen; über der obersten Schale schoss das Wasser fünfzehn Fuß hoch in die Luft, woraufhin es über die zunehmend größer werdenden Schalen darunter strömte, bis es sich schließlich in einem von einem weißen, möglicherweise als Bank dienenden Mäuerchen umgebenen Becken sammelte.

Die roten Marmorsäulen waren genauso hoch, wie Franca sie geschildert hatte. Sie stützten Bögen unterhalb eines Balkons, der um den gesamten ovalen Saal herumlief. Morley stieß ein Pfeifen aus; das Echo hallte von weit her zurück.

»Komm weiter«, sagte Snip, der sich mit einem Schütteln aus seiner ehrfürchtigen Scheu befreite.

Sie liefen durch die Hallen, von denen Franca ihm erzählt hatte, und platzten am oberen Ende mehrerer Treppenläufe durch eine Tür. Anschließend folgten sie einem um mehrere fensterlose, rechteckige Gebäude herumführenden Weg, stiegen dann halb um einen Turm herumführende Stufen hinauf bis zu einem durch einen Tunnel unter einer Straße führenden Gang, bevor sie eine Steinbrücke über einem kleinen, begrünten Innenhof tief unten überquerten.

Schließlich gelangten sie auf eine massive, straßenbreite Umwallung. Snip blickte über die rechte Seite nach unten, durch die Lücken zwischen den Zinnen hindurch, die groß genug waren, dass ein Mann sich hineinstellen konnte. Unten sah er ausgebreitet die Stadt Aydindril liegen. Für einen im flachen Anderith aufgewachsenen Jungen war der Anblick schwindelerregend. Vieles hatte Snip unterwegs beeindruckt, aber nichts davon reichte nur annähernd an diesen Anblick heran.

Am anderen Ende der Umwallung stützte ein Dutzend mächtiger Säulen aus buntscheckigem, rötlichem Gestein ein Hauptgesims aus dunklem Fels. Sechs dieser Säulen befanden sich zu beiden Seiten einer mit Gold plattierten Tür. Darüber befanden sich mehrere Lagen prunkvoller Steinmetzarbeiten, einige von ihnen mit Messingschmuckplatten und runden Metallscheiben verziert, die sämtlich mit eigenartigen Symbolen bedeckt waren.

Beim Überqueren der langen Umwallung erkannte Snip, dass die Tür mindestens zehn bis zwölf Fuß hoch und gute vier Fuß breit sein musste. Die goldplattierte Tür war mit einigen derselben Symbole gekennzeichnet, wie man sie auf den Zierplatten und Scheiben fand.

Als Snip gegen die Tür drückte, schwang sie lautlos nach innen.

»Hier hinein«, meinte Snip leise. Er wusste nicht, wieso er flüsterte, vielleicht deswegen, weil er Angst hatte, die Seelen der Zauberer zu wecken, die an diesem Ort herumspukten.

Er wollte nicht, dass diese Seelen ihn zwangen, sich von der Umwallung zu stürzen – wie zuvor die Soldaten von der Brücke; so wie es aussah, ging es von dem Berg jenseits der Kante über Tausende von Fuß jäh in die Tiefe.