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Das granitene Postament schlug gerade auf dem Boden auf, als die Frau krachend gegen die schwere Eichentür prallte. Der Aufprall drückte die Tür einige Zoll weit auf, Staubwolken türmten sich auf. Einen Augenblick war alles still, dann gab die Frau ein benommenes Stöhnen von sich, und Snip wusste, dass sie sich verletzt hatte.

Die Gelegenheit nutzend rannte er weiter durch die Burg der Zauberer, schloss Türen und stieß hinter ihnen etwas um, wenn es günstig stand. Er wusste nicht mal, ob er in die richtige Richtung lief. Seine Lungen brannten, während er im Laufen um seinen Freund weinte. Snip konnte kaum glauben, was geschehen war, dass sein Freund Morley nicht mehr lebte. Immer wieder erschien das Gesicht vor seinem inneren Auge. Fast erwartete er, der große, blöde Kerl würde ihn einholen und behaupten, alles sei nur ein Scherz gewesen.

Das Schwert, das Snip in den Armen hielt, hatte Morley das Leben gekostet. Snip musste sich die Augen wischen, um etwas zu erkennen. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm einen langen, gewundenen, menschenleeren Korridor.

So einfach würde sie nicht aufgeben. Sie war eine rächende Seele, gekommen, um ihm das Leben zu nehmen, weil er das Schwert der Wahrheit von seinem Platz in der Burg der Zauberer entwendet hatte. Er lief weiter, noch schneller als vorher.

Snip stürzte hinaus ins Sonnenlicht und war für einen Augenblick orientierungslos. Er drehte sich um und sah die Pferde. Es waren drei. Seines, Morleys und das der Frau. Auf dem Zaun hingen die Satteltaschen mit ihrem Gepäck.

Um die Hände frei zu haben, steckte Snip den Kopf durch den Waffengurt des Schwertes, legte den Lederriemen über seine rechte Schulter und schräg über die Brust, sodass die Waffe wie beabsichtigt an seiner linken Hüfte hing. Er schnappte sich die Zügel aller drei Pferde, packte den Sattel des nächststehenden und schwang sich hinauf.

Mit einem Schrei, der sie antreiben sollte, drückte er dem Pferd die Stiefelabsätze in die Flanken. Es war das ihre; die Steigbügel waren zu lang eingestellt, sodass er mit den Füßen nicht bis zu ihnen hinunterreichte, also schlang er seine Beine um den Bauch des Pferdes und hielt sich krampfhaft daran fest, als das große Tier, die anderen beiden Pferde im Schlepptau, durch das Koppeltor galoppierte.

Die Pferde erreichten gerade in vollem Tempo die Straße, als die Frau in Rot, eine Seite des Gesichts blutverschmiert, aus der Burg gestolpert kam. Mit der einen Hand hielt sie fest ein schwarzes Fläschchen umklammert, das Fläschchen aus der Burg, jenes Fläschchen, das heruntergefallen, aber nicht zerbrochen war.

Er beugte sich nach vorn über den Hals des Pferdes, während es die Straße hinunterraste. Er hatte ihr Pferd. Sie war zu Fuß und weit vom nächsten Pferd entfernt.

Snip versuchte, die Gedanken an Morley aus seinem Kopf zu verbannen. Er war im Besitz des Schwertes der Wahrheit. Jetzt konnte er nach Hause zurückkehren und mit seiner Hilfe beweisen, dass er Beata nicht vergewaltigt hatte und das, was er Claudine Winthrop angetan hatte, nur gemacht hatte, um den Minister vor ihren gemeinen Lügen zu beschützen.

Snip sah erneut über die Schulter. Sie war weit zurückgefallen, rannte aber noch immer. Er durfte dennoch auf keinen Fall riskieren anzuhalten. Sie war hinter ihm her und würde für nichts und niemanden stehen bleiben.

Sie würde niemals aufgeben, niemals ruhen, niemals nachlassen. Wenn er ihr in die Hände fiele, würde sie ihm das Herz herausreißen.

Snip trieb das Pferd zu noch schnellerem Tempo an.

55

Kahlan beugte sich über Richards Schulter und strich ihm über den Rücken, während er an dem kleinen Tischchen saß.

»Schon fündig geworden?«, erkundigte sie sich.

Er wischte sich das Haar aus der Stirn. »Ich bin mir noch nicht sicher.« Er tippte auf die Pergamentschriftrolle. »Aber diese hier hat etwas … sie enthält mehr präzise Informationen als die meisten Schriften Anders in der Bibliothek auf dem Anwesen des Ministers.«

Kahlan lächelte. »Das will ich auch hoffen. Ich werde mir die Beine vertreten gehen und nach den anderen sehen.«

Tief unten aus seiner Kehle kam ein zustimmender Laut, während er sich wieder über die Schriftrolle beugte.

Zwei Tage lang hatten sie in der Bibliothek des Anwesens damit zugebracht, alles über oder von Joseph Ander durchzugehen, was es dort gab. Größtenteils handelte es sich um Schriften über ihn selbst und über das, was er für bis dahin unbekannte Einblicke in das menschliche Verhalten hielt. Weitschweifig ließ er sich darüber aus, seine Beobachtungen seien für die Lebensweise der Menschen von größerem Belang als die aller anderen vor ihm.

Einen großen Teil der Schriften hatten sie mit erstaunt hochgezogenen Brauen gelesen. Fast war es, als hörte man einem Heranwachsenden zu, der alles zu wissen glaubt und dabei vollkommen übersieht, wie unwissend er in Wahrheit ist. Man war gezwungen, seine Worte schweigend in sich aufzunehmen, ohne all die hochtrabenden Erklärungen richtig stellen zu können, die ein erwachsener Mensch eigentlich längst abgelegt haben sollte.

Joseph Ander war in dem Glauben, den perfekten Ort zu kennen, an den er die Menschen führen und wo er sie zu einem vorbildlichen Leben anhalten könne, ohne dass Kräfte von außen in der Lage wären, seine ›ausgewogene Gemeinschaft‹, wie er es nannte, aus dem Gleichgewicht zu bringen. Als Erklärung führte er an, er habe erkannt, dass er weder Unterstützung noch Rat von anderen länger benötige – womit er die Zauberer in der Burg in Aydindril meinte, wie Richard vermutete – und dass er darüber hinaus zu der Erkenntnis gelangt sei, eine solche Einmischung von außen sei zutiefst schädlich, da sie die Menschen in seinem Gemeindekollektiv mit dem Übel des Eigennutzes infiziere.

Kein einziger Name außer seinem eigenen war je von Joseph Ander aufgezeichnet worden. Bezog er sich auf andere, sprach er von ›einem Mann‹, oder ›einer Frau‹, oder aber er schrieb, ›die Menschen‹ hätten errichtet, gepflanzt, sich versammelt oder an einem Gottesdienst teilgenommen.

Joseph Ander schien den perfekten Ort für sich gefunden zu haben: ein Land, wo seine Macht die aller anderen überschattete und wo alle Menschen ihn zutiefst bewunderten. Richard glaubte, Joseph Ander verwechselte Angst mit Bewunderung. Wie auch immer, die Umstände erlaubten es ihm, sich als geschätzter und gefeierter Führer zu etablieren – geradezu als König –, der uneingeschränkte Macht über eine Gesellschaft hatte, in der niemand Individualität an den Tag legen oder Überlegenheit beweisen durfte.

Joseph Ander glaubte, ein Land der Glückseligkeit geschaffen zu haben, wo Leid, Missgunst und Neid ausgemerzt waren – und wo ein gemeinsames Miteinander an die Stelle der Habsucht trat. Kulturelle Säuberungen – öffentliche Hinrichtungen – brachten den harmonischen Zustand des Gemeindekollektivs wieder ins Gleichgewicht. Er nannte das ›die Spreu vom Weizen trennen‹.

Aus Joseph Ander war ein Despot geworden. Entweder die Menschen bekannten sich zum Glauben an ihn und lebten nach seinem Vorbild, oder sie starben.

Richard drückte Kahlans Hand, bevor sie sich zum Gehen wandte. Das kleine Gebäude war nicht groß genug, um den anderen Platz zu bieten. Es reichte gerade für den kleinen Tisch und Joseph Anders Stuhl, den Richard, zum Entsetzen des alten Mannes, dessen Aufgabe es war, über die unschätzbaren Artefakte zu wachen, mit Beschlag belegte. Der Alte hatte nicht den Mut, Richard diese Bitte abzuschlagen.

Richard wollte auf Joseph Anders Platz sitzen, um einen Eindruck von diesem Mann zu gewinnen. Kahlan genügten die Eindrücke, die sie von diesem totalitären Despoten bereits bekommen hatte.

Ein Stück den Pfad hinunter hatten sich Bewohner der Ortschaft Westbrook versammelt. Ehrfürchtigen Blicks verfolgten sie, wie Kahlan sie mit erhobener Hand grüßte. Viele sanken auf ein Knie, nur weil sie in ihre Richtung geblickt hatte.

Wie in vielen anderen Orten auch, hatten Soldaten bereits Kunde von der bevorstehenden Abstimmung gebracht. Jetzt, da Richard und Kahlan hier waren, hofften die Menschen, sie darüber sprechen zu hören, man solle sich, wie bereits der größte Teil der übrigen Midlands, dem d’Haranischen Reich anschließen. Obwohl selbst ein Teil von ihnen, waren die Midlands für diese Menschen ein fremdes und fernes Land. Sie fristeten ihr Dasein an diesem kleinen Ort, wo sie, von Gerüchten abgesehen, von der Welt um sie herum kaum etwas mitbekamen.