D’Haranische Gardisten hielten die Menschenmenge freundlich auf Distanz, während Richard die Artefakte des leuchtenden Gründers und Namensgebers ihres Landes begutachtete. Richard hatte die Soldaten angewiesen, sich freundlich und ›nett‹ zu verhalten.
Als Kahlan den Pfad entlangging, erspähte sie Du Chaillu, die ein Stück abseits des Pfades allein auf einer aus einem gespaltenen Baumstamm gefertigten Bank im Schatten einer sich ausbreitenden Zeder saß. Mittlerweile empfand Kahlan Respekt für die Unbeirrbarkeit dieser Frau. Sie schien zu Recht darauf bestanden zu haben, sie zu begleiten, und sei es nur, weil sie fest entschlossen war, Richard, ihren ›Gemahl‹ und Caharin ihres Volkes, zu unterstützen. Du Chaillu hatte Richard zwar mehrfach daran erinnert, dass sie als seine Gemahlin zur Verfügung stehe, sollte er nach ihr verlangen, selbst aber keine Annäherungsversuche unternommen. Auf eine verschrobene Weise schien dies für sie nichts weiter als eine Frage der Höflichkeit zu sein. Es hatte ganz den Anschein, als sei Du Chaillu zwar durchaus bereit, ihm in jeder Eigenschaft als Gemahlin zu dienen und sich ihm zu fügen, biete ihre Dienste aber eher aus Achtung vor den Gesetzen ihres Volkes an, denn aus persönlicher Begierde.
Du Chaillu verehrte, wofür Richard stand, nicht Richard als Person. Für Richard war dies kaum ein Trost, für Kahlan dagegen schon.
Solange es dabei blieb, hielten Du Chaillu und Kahlan einen verlegenen Waffenstillstand. Kahlan traute der Frau nach wie vor nicht ganz über den Weg, nicht, solange Richard das Ziel ihrer Aufmerksamkeit war – ob nun aus Pflichtgefühl oder nicht.
Du Chaillu ihrerseits sah Kahlan in ihrer Rolle als Anführerin ihres Volkes, in ihrer Magie und als Richards Gattin, nicht als überlegen, sondern schlicht als ebenbürtig an. Kahlan musste zu ihrer Schande gestehen, dass sie dies empfindlicher traf als alles andere.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
Du Chaillu lehnte sich zurück, streckte sich und lehnte sich mit den Schultern an den Baum. Sie deutete mit der Hand auf den leeren Platz neben sich und gewährte somit die Bitte. Kahlan raffte ihr weißes MutterKonfessoren-Kleid hinter die Knie und setzte sich.
Auf einer kleinen, an den Pfad angrenzenden Stelle, zwischen den Bäumen verborgen, waren sie für Passanten nicht zu sehen – ein intimes Plätzchen, eher geeignet für zwei Liebende als für die beiden Frauen eines Mannes.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Du Chaillu? Du siehst ein wenig … erschlagen aus.«
Du Chaillu war über Kahlans Ausdruck der Besorgnis ein wenig verdutzt. Schließlich ging ihr die Bedeutung auf, und sie lächelte. Sie nahm Kahlans Hand, legte sie sich auf den festen, runden Bauch, wo sie sie mit ihren beiden Händen festhielt. Du Chaillus Leibesumfang bekam allmählich etwas Üppiges.
Kahlan spürte, wie sich das Leben in Du Chaillu rührte. Wie sich das Kind bewegte.
Du Chaillu lächelte stolz. Kahlan zog ihre Hand zurück.
Kahlan verschränkte ihre Hände im Schoß. Sie blickte zu den aufziehenden Wolken hoch. Dies war nicht so, wie es sein sollte. Sie hatte es sich immer als freudig vorgestellt.
»Es missfällt dir?«
»Was? Nein – ganz und gar nicht. Es ist ganz wunderbar.«
Du Chaillu nahm Kahlans Kinn und zog ihr Gesicht zu sich herum.
»Kahlan, du weinst?«
»Nein. Schon gut.«
»Du bist unglücklich, weil ich ein Kind bekomme?«
»Nein, Du Chaillu, ich bin nicht unglücklich, wirklich…«
»Du bist unglücklich, weil ich ein Kind haben werde und du nicht?«
Kahlan hielt ihre Zunge im Zaum, um nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren.
»Du solltest nicht unglücklich sein, Kahlan. Du wirst ebenfalls eines Tages ein Kind haben. Ganz bestimmt.«
»Du Chaillu – ich bin schwanger.«
Du Chaillu stemmte eine Hand in ihr Kreuz und streckte sich. »Wirklich? Das überrascht mich. Jiaan hat mir nichts davon erzählt, dass du und dein Gemahl auf diese Weise zusammengewesen wärt.«
Es schockierte Kahlan, zu erfahren, dass man Du Chaillu derartige Dinge berichtete. Einerseits war sie erleichtert, dass es nichts zu berichten gegeben hatte, andererseits wünschte sie sich, es hätte etwas gegeben, nur um ihren Wettstreit unter Ehefrauen mit etwas mehr Leidenschaft führen zu können.
»Unser Gemahl muss überglücklich sein. Er scheint Kinder zu mögen. Er wird ein guter…«
»Richard weiß nichts davon. Du musst mir versprechen, Du Chaillu, ihm nichts davon zu erzählen.«
Die Frau runzelte die Stirn. »Warum sollte ich ein solches Versprechen geben?«
Kahlan beugte sich ein wenig näher. »Weil ich es war, die Richard dazu bewogen hat, dich mitkommen zu lassen. Weil ich es war, die gesagt hat, du kannst auch nach Eintreffen unserer Soldaten bei uns bleiben. Du hattest Richard versprochen, du würdest zurückgehen, sobald unsere Soldaten kommen, doch dann wolltest du bei uns bleiben, und ich habe ihn überredet. Schon vergessen?«
Du Chaillu zuckte mit den Achseln. »Wenn du es wünschst, werde ich ihm nichts davon erzählen. Du solltest das Geheimnis ohnehin für dich behalten und ihn damit überraschen, wann es dir am besten passt.« Sie bedachte Kahlan mit einem Lächeln. »Die Gemahlinnen des Caharin müssen zusammenhalten.«
»Danke«, erwiderte Kahlan leise.
»Aber wann …?«
»In unserer Hochzeitsnacht. Als wir bei den Schlammenschen waren, kurz bevor ihr gekommen seid.«
»Aha. Wahrscheinlich habe ich deswegen nichts davon gehört.«
Kahlan überging die Bemerkung.
»Aber warum willst du, dass Richard nichts davon erfährt? Er wäre sehr glücklich.«
Kahlan schüttelte den Kopf. »Nein, wäre er nicht. Es würde großen Ärger geben.« Kahlan hob das Halsband mit dem kleinen Stein an. »Dies hat uns eine Hexe geschenkt, um zu verhindern, dass wir derzeit ein Kind zeugen. Es ist eine lange Geschichte, im Augenblick jedoch dürfen wir keines bekommen, oder wir geraten in große Schwierigkeiten.«
»Wieso trägst du dann ein Kind in dir?«
»Daran sind die Chimären schuld. Die Magie ist versiegt. Doch ehe wir davon erfuhren … Nun, wir wussten eben nicht, dass das Halsband in jener Nacht nach unserer Trauung nicht funktionieren würde. Die Magie sollte verhindern, dass wir ein Kind zeugen, aber seine Magie war versiegt. Es hatte gar nicht passieren sollen.«
Kahlan musste sich auf die Innenseiten ihrer Wangen beißen, um ihre Tränen zurückzuhalten.
»Richard wäre trotzdem überglücklich«, sagte Du Chaillu.
Kahlan schüttelte den Kopf. »Du begreifst nicht, was dabei alles eine Rolle spielt. Sein Leben geriete in große Gefahr, wenn jemand davon erführe. Die Hexe hat geschworen, dieses Kind zu töten, aber was schlimmer ist, ich kenne sie; um in Zukunft allen Ärger zu vermeiden, wird sie zu dem Schluss kommen, dass sie mich oder Richard töten muss.«
Du Chaillu dachte darüber nach. »Nun, bald wird diese alberne Abstimmung stattfinden, bei der ihm die Menschen sagen, was er eigentlich längst wissen sollte, nämlich dass er der Caharin ist. Danach wird alles gut werden. Dann konntest du dich verstecken und dein Kind zur Welt bringen.« Die Seelenfrau legte Kahlan eine Hand auf die Schulter. »Du kommst mit mir zu den Baka Tau Mana. Wir werden dich und dein Kind beschützen.«
Kahlan atmete tief und gleichmäßig durch, um ein Schluchzen zu unterdrücken. »Ich danke dir, Du Chaillu, du bist ein freundlicher Mensch. Aber das würde nichts nützen. Ich muss etwas tun, um es loszuwerden. Eine Kräuterfrau finden oder eine Hebamme. Ich muss dieses Kind abtreiben, bevor es zu spät ist.«