Ihr müsst euch uns anschließen und einen Kreis machen, um damit unseren Bund für die Freiheit zu bekräftigen.«
Wie seit Wochen schon hörte Kahlan zu, wie Richard aus voller Überzeugung davon sprach, was es bedeutete, sich ihnen und der Sache der Freiheit anzuschließen.
Anfangs waren die Menschen angespannt und vorsichtig. Bald jedoch hatte Richard die meisten überzeugt. Er brachte sie zum Lachen und anschließend an den Rand der Tränen, als er in ihnen die Sehnsucht weckte, sich die Freiheit zu nehmen und Größe zu wagen, indem er ihnen aufzeigte, wie einfach sie zu Macht und Einfluss gelangen konnten, wenn man ihnen und ihren Kindern erlaubte zu lernen und zu lesen.
Anfangs reagierten die Menschen nervös darauf, bis Richard es mit Worten ausdrückte, die sie verstanden: ein Brief, den man an die anderswo lebenden Eltern schrieb, oder an ein Kind, das ausgezogen war, sich auf die Suche nach einem besseren Leben zu machen. Er brachte sie dazu, den Wert des Wissens zu erkennen und wie es ihr Leben auf sinnvolle Weise verändern konnte, indem es ihnen die Aussicht auf bessere Arbeit gab oder darauf, in ihrer gegenwärtigen Stellung mehr zu erreichen.
»Die Imperiale Ordnung dagegen wird euch das Lernen nicht erlauben, denn Wissen ist für Tyrannen eine Gefahr. Wer danach trachtet, euch zu beherrschen, der muss das Wissen unterdrücken, denn Menschen mit der Fähigkeit zu begreifen sind Menschen, die gegen die Ungerechtigkeit der Elite aufbegehren werden.
Ich möchte, dass alle lernen, damit jeder selbst entscheiden kann, was er will. Das ist der Unterschied: Ich vertraue darauf, dass ihr lernt, damit es euch besser geht, dass ihr um eure Ziele kämpft, die kleinen wie die großen. Die Imperiale Ordnung kennt kein Vertrauen, sondern wird alles diktieren.
Wir werden gemeinsam ein Land haben, mit einer Gesetzgebung, die die Sicherheit aller gewährleistet, wo niemand – sei er Gouverneur, Minister oder Herrscher – über dem Gesetz steht. Nur wenn alle sich demselben Gesetz beugen müssen, ist der Einzelne frei.
Ich bin nicht hierher gekommen, um zu herrschen, sondern um das Prinzip der Freiheit aufrechtzuerhalten. Mein eigener Vater, Darken Rahl, war ein Diktator, der durch Einschüchterung, Folter und Mord regierte. Nicht einmal er stand über dem Gesetz, nach dem wir alle, wie ich hoffe, leben werden. Ich übernahm seine Herrschaft, damit er sein Volk nicht länger missbrauchen konnte. Ich bin ein Anführer freier Menschen – kein Herrscher über Untertanen.
Ich möchte euch nicht vorschreiben, wie ihr zu leben habt, sondern möchte, dass ihr alle in Frieden und Sicherheit das Leben lebt, für das ihr euch selbst entscheidet. Für mich selbst und die Mutter Konfessor – meine Gemahlin – wünsche ich mir nichts sehnlicher, als in Frieden und Sicherheit eine Familie gründen zu können, ohne mich mehr als nötig den Geschäften des Herrschers widmen zu müssen.
Ich möchte euch bitten, einen Kreis zu machen und euch uns anzuschließen – um eurer selbst willen und um derentwillen, die nach euch folgen.«
Dalton lehnte sich mit einer Schulter an die Ecke des Gebäudes, verschränkte die Arme und hörte zu. Direktor Prevot vom Büro für Kulturelle Zusammenarbeit hielt von einem Balkon aus vor einer vielköpfigen Menge auf einem der städtischen Plätze eine Rede. Er redete schon eine ganze Weile.
Die Menge, größtenteils Hakenier, hatte sich versammelt, um von den bevorstehenden Ereignissen zu erfahren. Gerüchte gingen durch die Stadt. Die Menschen hatten Angst. Die meisten waren nicht gekommen, um zu erfahren, wie sie ein Unheil abwenden konnten, sondern um festzustellen, ob sie sich wegen der Gerüchte sorgen mussten.
Dalton betrachtete die gesamte Entwicklung mit Unbehagen.
»Wollt ihr leiden, während die kleine Elite belohnt wird?«, rief Direktor Prevot hinaus in die Menge. Sie antwortete mit einem einstimmigen ›Nein‹.
»Wollt ihr euch zu Tode schuften, während die Auserwählten aus D’Hara stets nur reicher werden?«
Abermals antwortete die Menge mit einem lauten ›Nein‹.
»Sollen wir unser gutes Werk, mit dem wir allen Hakeniern helfen, sich über ihre Natur zu erheben, von einem einzigen Mann verwerfen lassen? Sollen wir zulassen, dass unser Volk abermals von der unbarmherzigen Selbsttäuschung der Bildung in die Irre geleitet wird?«
Die Menge bekundete ihre Zustimmung zu Direktor Prevot mit lautem Rufen, wobei einige – auf Daltons Geheiß – sogar ihre Hüte schwenkten. Etwa fünfzig seiner hakenischen Boten hatten sich in ihren alten Kleidern unter die Menge gemischt und gaben sich größte Mühe, die Reaktionen auf Direktor Prevots Rede mit Emotionen aufzuladen.
Es gab Menschen, die sich von den leidenschaftlich vorgetragenen Worten mitreißen ließen, größtenteils jedoch sah die Menge schweigend zu und versuchte abzuschätzen, ob das Gehörte ihr Leben verändern würde. Die meisten Menschen wogen die Dinge wie auf einer Waage ab, auf deren einer Schale ihr eigenes Leben lag, und die bevorstehenden Ereignisse auf der anderen. Die meisten waren zufrieden, so wie es war, daher wurden sie erst besorgt, wenn die Geschehnisse auf der anderen Waagschale drohten, ihr Leben an Gewicht zu übertreffen oder zu verändern.
Dalton war alles andere als erfreut. Diese Menschen stimmten zwar zu, sahen aber offenbar nicht recht ein, wie die Ereignisse auf der anderen Waagschale ihr Leben groß beeinflussen sollten.
Dalton war sich darüber im Klaren, dass sie ein Problem hatten.
Die Botschaft drang an die Öffentlichkeit, stieß dort aber auf wenig mehr als gleichgültige Ohren.
»Er führt eine Menge guter Argumente an«, meinte Teresa.
Dalton zuckte mit den Achseln. »Ja, das ist wohl wahr.«
»Ich finde, der Mann hat Recht. Die armen Hakenier werden nur darunter leiden, wenn wir nicht auch weiterhin für ihr Wohlbefinden sorgen. Sie sind nicht darauf vorbereitet, ihr hartes Dasein selber in die Hand zu nehmen.«
Daltons Blick wanderte über die Reihen der Menschen hinweg, die Statuen gleich verfolgten, wie der Direktor seine leidenschaftlichen Reden schwang.
»Ja, mein Schatz, du hast Recht. Wir müssen mehr tun, um diesen Menschen zu helfen.«
In diesem Augenblick wurde Dalton bewusst, was fehlte und was er zu tun hatte.
56
»Kommt nicht in Frage«, meinte Richard zu Du Chaillu.
Sie verschränkte wutentbrannt die Arme. Ihr dicker, rundlich vorstehender Bauch verlieh der Pose beinahe etwas Komisches.
Richard neigte sich zu ihr hin und senkte die Stimme: »Kannst du nicht verstehen, Du Chaillu, dass ich gerne ein Weilchen mit meiner – mit Kahlan – allein sein möchte? Bitte.«
Du Chaillus Zorn geriet ins Wanken. Ihr finsterer Blick schmolz dahin.
»Oh, ich verstehe schon. Du möchtest mit deiner anderen Gemahlin allein sein. Das ist gut. Es ist schließlich lange her.«
»Darum geht es überhaupt nicht…« Richard stemmte die Fäuste in die Hüften. »Woher willst du das überhaupt wissen?«
Statt einer Antwort lächelte sie. »Na schön. Wenn du versprichst, dass es nicht allzu lange dauert.«
Am liebsten hätte er geantwortet, es werde so lange dauern, wie es eben dauere, hatte jedoch Angst, was ihre Antwort darauf sein würde. Richard richtete sich auf und sagte schlicht: »Wir versprechen es.«
Captain Meiffert, dem großen blonden Offizier mit dem Oberkommando über die Eskorte, die Richard und Kahlan nach Anderith begleiten sollte, behagte die Vorstellung, die beiden allein zu lassen, ebenso wenig wie Du Chaillu, er brachte seine Einwände jedoch etwas behutsamer vor. Offenbar hatte General Reibisch dem Mann zu verstehen gegeben, er könne gegenüber Lord Rahl seine Ansicht äußern, ohne befürchten zu müssen, bestraft zu werden.
»Wir wären zu weit entfernt, um einzugreifen, Lord Rahl, falls Ihr Hilfe braucht – um die Mutter Konfessor zu beschützen«, fügte er nachträglich hinzu, in der Hoffnung, Richard damit umzustimmen.
»Danke, Captain. Es führt nur ein Weg nach dort oben. Da niemand unser Ziel kennt, kann uns dort auch niemand auflauern. Es ist nicht weit, außerdem werden wir nicht lange fort sein. Ihr werdet mit Euren Männern hier unten das Gebiet durchstreifen, während die Mutter Konfessor und ich uns dort umsehen.«