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Sein nüchterner Gesichtsausdruck ließ sie mitten im Satz verstummen. »Entschuldige, mein Schatz, ich sollte keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Vielleicht interpretiere ich ohnehin zu viel hinein. Gedulde dich, in wenigen Minuten wirst du es erfahren. Neuigkeiten wie diese hört man am besten vom Minister selbst.«

Lady Chanboor sah kurz zu der Frau mit der Roulade hinüber. Als hätte sie nichts anderes im Sinn als ihre Tischgenossen, zog die Frau ihre Locken vors Gesicht und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf sie. Hildemara bedachte Bertrand mit einem kurzen, nicht für die Allgemeinheit bestimmten, mörderischen Blick, bevor sie sich an ihm vorbei zu Dalton hinüberbeugte.

»Was ist Euch denn zu Ohren gekommen?«

Dalton tupfte sich den Wein von den Lippen und legte die Serviette zurück in seinen Schoß. Er hielt es für das Beste, zuerst die beiläufige Information loszuwerden. Außerdem würde das helfen, die erforderlichen Schritte ins richtige Verhältnis zu rücken.

»Von morgens früh bis abends spät arbeiten Lord Rahl und die Mutter Konfessor daran, so viele Orte wie möglich aufzusuchen. Sie sprechen zu Menschenmengen, die ganz verrückt danach sind, ihnen zuzuhören.

Die Mutter Konfessor zieht die Menschenmengen schon allein deswegen an, weil alle ganz versessen darauf sind, sie zu sehen. Ich fürchte, die Menschen empfangen sie herzlicher, als uns lieb sein kann. Sie hat durch ihre kürzliche Heirat viele Herzen gewonnen und sich beliebt gemacht. Wo immer die beiden auftreten, jubeln die Menschen dem glücklichen, frisch vermählten Paar zu. Die Landbevölkerung kommt meilenweit aus der Umgebung in die Orte gereist, in denen sie und Lord Rahl auftreten.«

Lady Chanboor verschränkte die Arme und bedachte die Frischvermählten mit einem leisen Fluch, der selbst für sie von bemerkenswert vulgärer Lästerlichkeit war. Ganz nebenbei fragte sich Dalton, welch obszöne Eigenschaften sie ihm in seiner Abwesenheit zuschrieb, wenn er ohne es zu wissen ihr Missfallen erregt hatte. Er kannte einige der farbigen Schmähungen, die sie für ihren Gemahl benutzte.

Obwohl einigen aus dem Personal diese launenhafte Seite von ihr nur zu bekannt war, hielten die meisten Menschen sie im Allgemeinen für zu makellos, als dass ihr derartige Schmähreden über die Lippen kommen konnten. Hildemara wusste ganz genau, wie wertvoll es war, die Unterstützung der Menschen auf ihrer Seite zu wissen. Wenn sie als Lady Chanboor, liebende Gattin des Ministers für Kultur, Fürsprecherin der Ehefrauen und Mütter allenthalben, das Land bereiste, um für das gute Werk ihres Gemahls zu werben, von der Pflege ihrer Beziehungen zu reichen Hintermännern ganz zu schweigen, wurde ihr eine katzbuckelnde Aufnahme zuteil, die der der Mutter Konfessor nicht unähnlich war.

Sie würde diese Rolle mehr als je zuvor gut spielen müssen, wenn sie Erfolg haben wollten.

Dalton trank noch einen Schluck Wein, dann fuhr er fort. »Die Mutter Konfessor und Lord Rahl haben sich mehrere Male mit den Direktoren getroffen. Wie ich höre, haben die Direktoren ihnen gegenüber ihre Freude sowohl über die fairen Bedingungen des Angebots von Lord Rahl als auch über seine Argumentation und die genannten Ziele zum Ausdruck gebracht.«

Bertrand, der jetzt ebenfalls zugehört hatte, ballte die Faust; seine Kiefermuskeln spannten sich.

»Jedenfalls«, fügte Dalton hinzu, »in Lord Rahls Gegenwart. Nachdem er dann aufgebrochen war, um die ländlichen Gegenden zu bereisen, überkam die Direktoren nach eingehenderer Überlegung ein Meinungswandel.«

Dalton blickte dem Minister und seiner Gemahlin in die Augen, um sich ihrer Aufmerksamkeit zu vergewissern, bevor er fortfuhr. »Was in Anbetracht der jüngsten Geschehnisse ein Glück ist.«

Der Minister musterte Daltons Gesicht, bevor er seinen Blick wieder prüfend auf die junge Dame richtete. »Und was, bitte, sind die jüngsten Geschehnisse?«

Dalton ergriff unter dem Tisch Teresas Hand.

»Minister Chanboor, Lady Chanboor, ich bedauere, Euch mitteilen zu müssen, dass der Herrscher verstorben ist.«

Schockiert von den Neuigkeiten, schreckte Teresa nach Atem ringend zurück, bevor sie sich die Serviette vors Gesicht hielt, damit niemand ihre plötzlichen Tränen gewahrte; Teresa konnte es nicht ausstehen, wenn man sie weinen sah.

Bertrands bohrender Blick traf den Daltons. »Ich dachte, er sei auf dem Wege der Besserung.«

Mit der Bemerkung wollte er seinen Argwohn anklingen lassen – nicht dass ihm der Tod des Herrschers ungelegen kam. Argwohn deshalb, weil er unsicher war, ob Dalton über die erforderlichen Mittel für die Durchführung einer solchen Tat verfügte, und mehr noch, weil er nicht wusste, wieso Dalton einen solch kühnen Schritt gewagt haben sollte – wenn er es überhaupt getan hatte.

Auch wenn der Minister zweifellos insgeheim entzückt sein dürfte, dass der bejahrte Herrscher seinen Platz zu einem so günstigen Zeitpunkt räumte – schon die leiseste Anspielung, dies habe eine andere als eine natürliche Ursache, konnte alles, worauf sie hingearbeitet hatten, kurz vor dem Ziel gefährden.

Dalton begegnete der versteckten Anspielung keinesfalls mit Misstrauen und beugte sich zum Minister hinüber. »Wir haben ein Problem. Zu viele Menschen sind bereit, mit einem Kreis für den Anschluss an Lord Rahl zu stimmen. Wir müssen dafür sorgen, dass dies eine Personenentscheidung wird zwischen unserem liebenden, wohltätigen Herrscher und einem Mann, der womöglich Böses gegen unser Volk im Schilde führt.

Wie bereits besprochen, müssen wir imstande sein – unserem Hintermann aufgrund bereits getroffener Absprachen zu liefern. Wir können uns das Risiko, das diese Abstimmung birgt, nicht länger leisten. Jetzt müssen wir entschiedener gegen einen Anschluss an Lord Rahl Stellung nehmen, bei allem Risiko, das dieses Vorgehen mit sich bringt.«

Dalton senkte seine Stimme. »Wir sind darauf angewiesen, dass Ihr dieser Stellungnahme als Herrscher Gewicht verleiht. Ihr müsst Herrscher werden und diesen Worten Eure Stimme leihen.«

Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Bertrands Gesicht aus. »Dalton, mein treuer und wendiger Adjutant, Ihr habt Euch soeben eine sehr wichtige Ernennung auf das in Bälde freie Amt des Ministers für Kultur verdient.«

Endlich fiel alles genau an seinen Platz.

Hildemaras Gesichtsausdruck war der verblüffter, aber zufriedener Ungläubigkeit. Sie kannte die schützenden Kreise rings um den Herrscher; sie kannte sie, denn sie hatte sie – wenn auch erfolglos – zu durchbrechen versucht.

Nach dem Ausdruck auf ihrem Gesicht zu urteilen, sah sie sich zweifellos bereits als Gemahlin des Herrschers, der in der Welt des Lebendigen so sehr als Gütige Seele verehrt wurde, wie das für einen Menschen nur möglich war. Ihre Worte würden weitaus mehr Gewicht haben als die einer bloßen Ministergattin, einer Position, die wenige Augenblicke zuvor noch erhaben war, ihr jetzt aber erbärmlich und ihrer nicht würdig schien.

Hildemara beugte sich an ihrem Gatten vorbei und ergriff sachte Daltons Handgelenk. »Dalton, mein Junge, Ihr seid besser als ich dachte – dabei hatte ich bereits eine sehr hohe Meinung von Euch. Ich hätte nie für möglich gehalten…« Sie verkniff es sich, die Tat beim Namen zu nennen.

»Ich tue meine Pflicht, Lady Chanboor, wie schwierig das auch sein mag. Ich weiß, nur das Ergebnis zählt.«

Sie drückte abermals sein Handgelenk, dann ließ sie ihn los. Nie hatte er sie eine seiner Leistungen so würdigen sehen. Claudine Winthrops Ende hatte ihm nicht einmal ein anerkennendes Nicken eingetragen.

Dalton wandte sich seiner Frau zu. Er hatte Vorsicht walten lassen; sie hatte seine geflüsterten Worte nicht mitbekommen; in ihrer Trauer bemerkte sie ihn nicht einmal. Er legte ihr tröstend einen Arm um die Schultern.

»Geht es dir gut, Tess?«

»O Dalton, der arme Mann«, schluchzte sie. »Unser armer Herrscher. Möge der Schöpfer seinen unsterblichen Geist sicher an jenem erhabenen Ort verwahren, den er sich für sein Leben nach dem Tod verdient hat.«