Выбрать главу

Sie sah fragend zu ihm hoch. »Bitte, Dalton, frag mich nicht…«

»Doch, genau das tue ich.«

Eine Weile saß sie da und starrte auf den Boden. Schließlich ergriff sie eine seiner Hände und drückte die vier Goldmünzen hinein. Dann stand sie auf und sah ihm in die Augen.

»Ich werde es dir verraten, aber ich werde kein Geld dafür nehmen. Es gehört zu der Art von Dingen, für die ich kein Geld nehme. Ich erzähle es dir nur, weil – weil du ein Freund bist.«

Dalton fand, sie sah aus, als hätte er sie soeben zum Tode verurteilt. Er deutete auf den Sessel, und sie ließ sich erneut hineinsinken.

»Ich weiß das sehr zu schätzen, Franca. Wirklich.«

Sie nickte ohne aufzusehen.

»Mit der Magie stimmt etwas nicht. Da du nichts von Magie verstehst, werde ich dich nicht mit Einzelheiten verwirren. Für dich ist lediglich wichtig, dass die Magie im Aussterben begriffen ist. So wie meine Magie versiegt ist, so ist die Magie insgesamt verschwunden. Tot und begraben.«

»Aber warum? Kann man denn nichts dagegen tun?«

Sie dachte eine Weile darüber nach. »Nein, ich glaube nicht. Ganz sicher bin ich mir nicht, aber ich kann dir verraten, dass der Oberste Zauberer persönlich mit ziemlicher Sicherheit bei dem Versuch, das Problem zu bereinigen, umgekommen ist.«

Die Information versetzte Dalton in Bestürzung. Unvorstellbar!

Es stimmte zwar, dass er von Magie keine Ahnung hatte, trotzdem waren ihm viele ihrer Vorteile für die Menschen bekannt, wie zum Beispiel Francas Heilkunst – die nicht nur den Körper betraf, sondern mit der sie auch gepeinigten Seelen Trost spendete.

Er fand dies weit folgenschwerer als den Tod eines Mannes, der einst Herrscher war. Mit der Magie war sehr viel mehr gestorben.

»Aber wird sie zurückkehren? Wird etwas geschehen, damit – damit, was weiß ich … das Problem bereinigt werden kann?«

»Das weiß ich nicht. Wie gesagt, ein auf diesem Gebiet sehr viel kenntnisreicherer Mann als ich war nicht imstande, den Prozess umzukehren, also neige ich zu der Ansicht, er ist unumkehrbar. Vielleicht könnte sie zurückkehren, nur fürchte ich, dafür ist es bereits zu spät.«

»Und was werden deiner Meinung nach die Auswirkungen eines derartigen Ereignisses sein?«

Darauf antwortete Franca, der die Farbe aus dem Gesicht wich, nur: »Das vermag nicht einmal ich zu erraten.«

»Bist du dieser Geschichte nachgegangen? Ich meine, gründlich nachgegangen?«

»Ich habe eine Weile zurückgezogen gelebt, alles Mögliche in Betracht gezogen, habe alles in meiner Macht Stehende versucht. Gestern Abend war ich zum ersten Mal seit Wochen wieder unter Menschen.« Sie sah stirnrunzelnd zu ihm hoch. »Als der Minister den Tod des Herrschers verkündete, machte er eine Bemerkung, die Lord Rahl betraf. Worum ging es dabei?«

Dalton sah, die Frau stand so sehr außerhalb des Alltagslebens in Anderith, dass sie nicht einmal über Lord Rahl und die Abstimmung Bescheid wusste. Angesichts dieser Neuigkeiten hatte er jetzt wichtige Dinge zu erledigen.

»Ach, weißt du, es gibt immer Interessenten, die sich um die Erzeugnisse Anderiths streiten.« Er nahm ihre Hand und half ihr auf. »Danke, dass du gekommen bist, Franca, und mir diese Neuigkeiten anvertraut hast. Du hast mir mehr geholfen, als du ahnst.«

Leicht verstört registrierte sie, dass sie abgeschoben werden sollte, doch daran konnte er nichts ändern. Er musste sich an die Arbeit machen.

Sie hielt, ihr Gesicht wenige Zoll von seinem, inne und sah ihm in die Augen. Der Blick hatte etwas Faszinierendes – Kraft hin oder her. »Versprich mir, Dalton, dass ich nie bedauern muss, dir die Wahrheit erzählt zu haben.«

»Franca, du kannst auf mich zählen…«

Ein plötzlicher Lärm hinter ihm ließ ihn herumfahren; erschrocken zog er Franca zurück. Ein großer schwarzer Vogel war durch das offene Fenster hereingeflogen. Ein Rabe, wie er glaubte, obwohl er noch nie einen von so nah gesehen hatte.

Das Tier machte sich auf seinem Schreibtisch breit, wobei seine Flügelspitzen fast bis an beide Kanten reichten. Die ausgebreiteten Flügel und den Schnabel zu Hilfe nehmend, versuchte es auf der ebenen, glatten Lederbespannung Halt zu finden. Der glatte, unangenehme Landeplatz entlockte ihm einen zornig enttäuschten, vielleicht auch überraschten Schrei.

Dalton eilte um den Schreibtisch herum zum verschnörkelten Silberständer und zog sein Schwert.

Franca versuchte ihm in den Arm zu fallen. »Nicht, Dalton! Es bringt Unglück, einen Raben zu töten!«

Ihr Eingreifen und das plötzliche Wegtauchen des Vogels verhinderten einen sicheren Treffer.

Der Rabe stolzierte unter lautem Kreischen und Zetern zum Schreibtischrand. Dalton schob Franca sachte, aber entschieden zur Seite und holte mit dem Schwert aus.

Als der Rabe mit großen Augen erkannte, was ihm blühte, schnappte er sich das kleine Buch mit seinem Schnabel. Das Buch festhaltend, das einst Joseph Ander gehört hatte, erhob er sich inmitten des Zimmers plötzlich in die Luft.

Dalton schlug das Fenster hinter seinem Schreibtisch, durch das der Rabe hereingekommen war, krachend zu. Krallen zerkratzten ihm die Kopfhaut, als er erst das zweite, dann das dritte Fenster krachend herunterzog.

Dalton schlug auf das ungestüme Geflatter der Federn ein und streifte den Vogel ganz leicht mit seinem Schwert. Der Rabe, dessen Schreie ihm schmerzlich in den Ohren hallten, floh Richtung Fenster.

Dalton und Franca hielten sich den Arm vor die Augen, als die Fensterscheibe zu Bruch ging und überall Glassplitter und Teile des Fensterkreuzes durch die Gegend flogen.

Als er aufschaute, sah er den Vogel auf dem Ast eines nahen Baumes niedergehen. Er schlug die Krallen um den Ast, geriet ins Stolpern, packte erneut zu und hatte endlich Halt gefunden. Er schien verletzt.

Dalton warf sein Schwert auf den Schreibtisch und riss eine Lanze aus dem Arrangement der anderischen Schlachtstandarten. Vor Anstrengung ächzend, schleuderte er die Lanze durch das zertrümmerte Fenster auf den Vogel.

Der Rabe erkannte jedoch seine Absicht und flog mitsamt Buch auf, sodass die Lanze ihn nur knapp verfehlte. Der Vogel verschwand im frühen Morgenhimmel.

»Gut, du hast ihn nicht getötet«, meinte Franca. »Das hätte Unglück bedeutet.«

Dalton, das Gesicht gerötet, deutete auf den Schreibtisch. »Er hat das Buch gestohlen!«

Franca zuckte mit den Achseln. »Raben sind eigenartige Vögel. Sie stehlen oft Dinge, die sie dann jeweils ihrem Männchen oder Weibchen bringen. Sie sind ihr Leben lang mit ihrem Partner zusammen.«

Dalton zupfte an seinen Kleidern und richtete sie. »Was du nicht sagst.«

»Aber gewöhnlich betrügt das Weibchen das Männchen. Manchmal, wenn das Männchen unterwegs ist, um Zweige für ihr Nest zu sammeln, lässt es sich von einem anderen Männchen begatten.«

»Tatsächlich?«, meinte er verdrießlich. »Und warum sollte mich das kümmern?«

Franca zuckte erneut mit den Achseln. »Ich fand es nur ganz interessant und dachte, es würde dich vielleicht interessieren.« Sie trat näher und begutachtete den Schaden am Fenster. »War das Buch wertvoll?«

Dalton bürstete sich vorsichtig Glassplitter von den Schultern. »Nein. Zum Glück war es bloß ein nutzloses altes Buch, geschrieben in einer längst ausgestorbenen Sprache, die heutzutage kein Mensch mehr versteht.«

»Ah«, meinte sie. »Na, dann hat es wenigstens etwas Gutes. Du solltest froh sein, dass es nicht wertvoll war.«

Dalton stemmte die Hände in die Hüften. »Sieh dir dieses Chaos an. Sieh dir das bloß an.« Er hob ein paar schwarze Federn auf und warf sie aus dem zersplitterten Fenster. Dann entdeckte er den dunkelroten Fleck auf seinem Schreibtisch. »Wenigstens hat er mit seinem Blut für seine Beute bezahlt.«

59

»Es ist an der Zeit«, rief Bertrand Chanboor, der soeben eingesetzte und geweihte Herrscher Anderiths, der gewaltigen Menschenmenge zu, die sich, vom Platz in die umliegenden Straßen überquellend, unterhalb des Balkons erstreckte, »sich gegen den Hass zur Wehr zu setzen.«

Er wusste, dass der Jubel eine Weile anhalten würde, daher ergriff Dalton die Gelegenheit, einen Blick hinunter auf Teresa zu werfen. Sie sah tapfer lächelnd zu ihm hoch und tupfte sich die Augen ab. Fast die ganze Nacht war sie auf den Beinen gewesen, hatte für den unsterblichen Geist des toten Herrschers gebetet und Stärke für den neuen erfleht.