Auch Dalton war fast die ganze Nacht auf den Beinen gewesen, hatte gemeinsam mit Bertrand und Hildemara Strategien entwickelt und überlegt, was sie sagen wollten. Bertrand war in seinem Element, Hildemara aalte sich in ihrem Ruhm. Die Zügel hielt Dalton in der Hand.
Die Offensive hatte begonnen.
»Als euer Herrscher kann ich nicht zulassen, dass dem Volk Anderiths diese grausame Ungerechtigkeit aufgezwungen wird! Lord Rahl stammt aus D’Hara. Was weiß denn er von den Nöten unseres Volkes? Wie kann er zum allerersten Mal hierher kommen und erwarten, wir würden ihm unser Leben auf Gedeih und Verderb anvertrauen?«
Die Menge buhte und pfiff; Bertrand ließ sie eine Weile gewähren.
»Was, glaubt ihr, wird aus euch prächtigen Hakeniern werden, wenn Lord Rahl seinen Willen bekommt? Glaubt Ihr vielleicht, er wird euch nur einen Augenblick Beachtung schenken? Glaubt Ihr, er wird sich nur einen Augenblick fragen, ob ihr anzuziehen, zu essen oder Arbeit habt? Wir haben hart dafür gekämpft, damit ihr Arbeit finden könnt – durch Gesetze wie das Winthrop-Gesetz zur Schaffung gerechter Arbeitsverhältnisse, das entwickelt wurde, damit alle in den Genuss der Geschenke Anderiths kommen.«
Er hielt inne, um sich von den Menschen zum Weitersprechen ermuntern zu lassen.
»Wir haben gegen den Hass angekämpft. Wir haben gegen Menschen gekämpft, denen es gleichgültig war, ob Kinder verhungern. Wir haben dafür gearbeitet, dass das Leben für alle Anderier einfacher wird. Was hat Lord Rahl getan? Nichts! Wo war er, als unsere Kinder verhungerten? Wo war er, als unsere Männer keine Arbeit finden konnten?
Wollen wir uns wirklich die Früchte unserer harten Arbeit und des Fortschritts von diesem herzlosen Mann und seiner privilegierten Gemahlin, der Mutter Konfessor, mit einem Schlag nehmen lassen? Gerade jetzt, da wir uns dem entscheidenden Punkt unserer Reformen nähern? Wo uns noch so viel Arbeit für das Wohl des anderischen Volkes zu tun bleibt? Was weiß denn die Mutter Konfessor von hungernden Kindern? Hat sie sich jemals um ein Kind kümmern müssen? Nein!«
Als er erneut zu sprechen begann, hämmerte er mit der Faust zur Unterstreichung jeden Punktes auf das Balkongeländer. »Die schlichte Wahrheit ist, Lord Rahl schert sich ausschließlich um seine Magie! Der einzige Grund, weshalb er hergekommen ist, ist seine ganz persönliche Gier! Er ist gekommen, um unser Land für seine Habgier zu missbrauchen!
Er möchte unser Wasser mit abstoßender Zauberei vergiften! Wir könnten nicht mehr fischen, denn seine Magie würde unsere Seen, unsere Flüsse und unser Meer in tote Gewässer verwandeln, während seine zersetzende Magie den Weg für ihn bereitet, bis er sein schauerliches Kriegsgerät herstellen kann!«
Die Menschen waren schockiert und wütend über diese Neuigkeiten. Dalton bewertete die Reaktion auf jeden Schlüsselbegriff, um ihn für zukünftige Reden und die Botschaften, mit denen er das ganze Land zu überziehen gedachte, zurechtfeilen zu können.
»Er schafft Geschöpfe des Bösen, um seinen ungerechten Krieg in die Tat umsetzen zu können. Vielleicht habt ihr auch schon von den seltsamen, unerwarteten Todesfällen gehört? Haltet ihr das für einen Zufall? Nein! Das ist die Magie dieses Lord Rahl! Erst erschafft er diese schändlichen Geschöpfe der Magie, dann gibt er ihnen freie Hand, um zu sehen, wie gut sie morden! Diese todbringenden Wesen lassen unschuldige Menschen verbrennen oder ertrinken. Andere werden von diesen Marodeuren der Nacht hilflos auf Dächer gezerrt und in den Tod gestoßen.«
Ein fasziniertes Stöhnen ging durch die Reihen.
»Er missbraucht unser Volk, um sein finsteres Handwerk für den Krieg zu vervollkommnen!
Seine finstere Hexerei wird die Luft mit einem widerwärtigen Dunst erfüllen, der in jedes Haus eindringt! Wollt ihr, dass eure Kinder die Magie des Lord Rahl atmen? Wer weiß schon, welch qualvollen Todes unschuldige Kinder sterben, die seine menschenverachtenden Zaubereien atmen? Wer weiß schon, welche Missbildungen sie erleiden werden, wenn sie in einem Teich schwimmen, den er benutzt hat, um einen Bann zusammenzubrauen.
Genau das fordern wir heraus, wenn wir uns nicht gegen diese Vergewaltigung unseres Landes wehren! Er wird uns eines qualvollen Todes sterben lassen, damit er seine mächtigen Freunde ins Land bitten kann, die uns unseren Wohlstand rauben. Das ist der wahre Grund, weshalb er uns aufsucht!«
Mittlerweile waren die Menschen vollends bestürzt.
Dalton neigte sich hin zu Bertrand und flüsterte ihm aus dem Mundwinkel zu: »Luft und Wasser haben sie am meisten erschreckt. Das solltet Ihr stärker herausstreichen.«
Bertrand nickte ihm kaum merklich zu.
»Genau dies wird es bedeuten, meine Freunde, lassen wir diesem Diktator bei uns freie Hand. Schon die Luft, die wir zu atmen versuchen, wird von seiner unheilvollen Magie verpestet sein, das Wasser verunreinigt durch seine Hexenkunst. Er und seine Scharen werden lachen über das Leid der ehrlichen, hart arbeitenden Menschen – Anderier wie Hakenier gleichermaßen – und sich auf unsere Kosten bereichern. Er wird unsere reine Luft und das klare Wasser dazu missbrauchen, seine verderbten Geschöpfe der Magie heranzuzüchten und uns einen Krieg aufzwingen, den niemand will!«
Die Menschen schrien wütend auf und drohten mit den Fäusten, als sie ihren Herrscher diese hässlichen Wahrheiten enthüllen hörten. Man sah Entsetzen, Angst und Ekel, am deutlichsten jedoch spürte man die Wut. Für manche kam zu der Ernüchterung über Lord Rahl und die Mutter Konfessor noch die Empörung darüber hinzu, dass man sie zum Narren gehalten hatte, andere wiederum sahen nur ihr Misstrauen gegenüber diesen herzlosen, machtgierigen Menschen bestätigt.
Bertrand hob eine Hand. »Die Imperiale Ordnung hat sich erboten, unsere Erzeugnisse zu Preisen abzukaufen, die weit über denen liegen, die wir zur Zeit bekommen.« Die Menschen applaudierten und pfiffen.
»Lord Rahl dagegen will nichts für sie bezahlen! Die Wahl liegt ganz bei euch, meine tapferen Freunde. Entweder ihr hört auf die Lügen dieses schändlichen Zauberers aus dem fernen D’Hara, der euch um eure Rechte prellen will, der unser Land missbrauchen will, um seine widerwärtigen Geschöpfe der Magie zu verbreiten und einen nutzlosen Krieg voranzutreiben, der eure Kinder verhungern oder an den schädlichen Auswirkungen seiner irrwitzigen Banne sterben lassen will, oder aber ihr verkauft, was ihr anbaut und erzeugt, an die Imperiale Ordnung und bereichert euch und eure Familien wie noch nie zuvor.«
Inzwischen war die Menge vollends aufgebracht. Menschen brachten ihrem neuen Herrscher bislang unbekanntes Wohlwollen entgegen und hörten zum allerersten Mal handfeste Gründe, Lord Rahl abzulehnen. Mehr noch, sie hörten handfeste Gründe, ihn zu fürchten, und, am allerbesten, sie hörten handfeste Gründe, ihn zu hassen.
Dalton strich einige Punkte von seiner Liste, die er als wenig wirkungsvoll erkannt hatte, und versah jene, auf die die stärksten Reaktionen erfolgten, mit einem Kreis.
Wie er und Bertrand gewusst hatten, rief das Wort ›Kinder‹ die stärksten Reaktionen hervor; die entsetzlichen Dinge, die ihnen angeblich zustoßen würden, lösten fast einen Aufruhr aus. Die bloße Erwähnung des Wortes ›Kinder‹ ließ jede Vernunft aus den Köpfen der Menschen weichen.
Auch ›Krieg‹ erzielte den erwarteten Effekt. Zu ihrer Bestürzung erfuhren die Menschen, es sei Lord Rahl, der auf Krieg dränge, obwohl dieser unnötig sei. Die Menschen wollten um jeden Preis Frieden. Sobald sie den Preis erfuhren, würden sie ihn zahlen. Dann würde es für sie zu spät sein, sich anders zu entscheiden.
»Wir müssen dies hinter uns lassen, meine lieben Freunde, müssen es in die Vergangenheit verbannen und auch in Zukunft das Wohl Anderiths im Auge behalten. Vor uns liegt viel Arbeit. Dies ist nicht die Zeit, alles Erreichte aufzugeben, um ein Sklavenstaat dieses von weit her gekommenen Zauberers zu werden, eines Mannes, der besessen ist von Reichtum und Macht, eines Mannes, der kein anderes Ziel kennt, als uns alle in seinen aberwitzigen Krieg hineinzuziehen. Es könnte Frieden herrschen, wenn er dem Frieden nur eine Chance gäbe – doch das will er nicht.