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Ich bin sicher, ein solcher Mann würde unsere Traditionen und Religion verwerfen und euch eures Herrschers berauben, doch meine Sorge gilt euch, nicht mir persönlich. Vor mir liegt noch so viel Arbeit. Ich empfinde große Liebe für das Volk von Anderith. Mir wurde ein Segen zuteil, und ich habe der Allgemeinheit viel zurückzugeben.

Ich bitte euch, ich bitte euch als stolzes Volk ganz Anderiths, diesem durchtriebenen Dämon aus D’Hara eure Verachtung zu zeigen, ihm zu zeigen, dass ihr seine niederträchtigen Methoden durchschaut.

Der Schöpfer persönlich verlangt – durch mich –, dass ihr bei dieser Gewissensentscheidung gegen Lord Rahl stimmt und ein Kreuz durch seine Verderbtheit macht. Durch seine üblen Winkelzüge! Durch seine Lügen! Durch seine Tyrannei! Macht auch ein Kreuz durch ihn und durch die Mutter Konfessor!«

Der Platz tobte. Die umstehenden Gebäude erzitterten unter dem nicht enden wollenden Jubel. Bertrand hielt seine Arme vor den Körper und formte sie zu einem großen Kreuz, das jeder der ihm Zujubelnden sehen konnte.

Hildemara, an seiner Seite, applaudierte ihm und bedachte ihn mit ihrem für die Öffentlichkeit bestimmten, gewohnt bewundernden Blick.

Als sich die Menge schließlich auf das Heben seiner um Stille bittenden Hand beruhigte, präsentierte Bertrand seine Gattin mit einer Handbewegung dem Volk; sie erntete fast ebenso großen Beifall wie er.

Hildemara, über alle Maßen erfreut angesichts ihrer neuen Rolle, bat sich mit ausgebreiteten Händen Ruhe aus. Es wurde fast augenblicklich still.

»Meine lieben anderischen Freunde, ich vermag euch nicht zu sagen, wie stolz ich bin, die Gattin dieses großen Mannes zu sein…«

Ihre Worte gingen im aufbrausenden Jubel unter. Mit ausgestreckten Armen gelang es ihr schließlich, wieder für Ruhe zu sorgen.

»Ich kann euch gar nicht sagen, wie oft ich meinem Gemahl zugesehen habe, als er sich für die Bevölkerung von Anderith die Seele aus dem Leib schuftete. Gleichgültig gegen den Ruhm, mühte er sich unbemerkt und unermüdlich für das Volk, ohne dabei auch nur auf seine Ruhe oder Ernährung zu achten.

Wenn ich ihn bat, sich auszuruhen, so antwortete er mir gewöhnlich: ›Hildemara, ich kann unmöglich Ruhe finden, solange es noch hungernde Kinder gibt.‹«

Als die Menge daraufhin abermals in tosenden Jubel ausbrach, musste Dalton sich abwenden und einen Schluck Wein trinken. Teresa fasste seinen Arm.

»Dalton«, hauchte sie, »der Schöpfer hat unsere Gebete erhört und uns Bertrand als Herrscher geschickt.«

Fast hätte er laut aufgelacht, doch dann merkte er, mit wie viel Ehrfurcht in den Augen sie diesen Mann anschaute. Dalton seufzte bei sich. Nicht der Schöpfer hatte ihnen Bertrand geschickt, sondern Dalton selbst.

»Tess, wisch dir die Augen ab. Das Beste steht uns noch bevor.«

Hildemara fuhr fort: »Um dieser Kinder willen möchte ich euch alle bitten, den Hass und die Zwietracht zurückzuweisen, mit denen dieser Lord Rahl unser Volk überziehen will!

Erteilt auch der Mutter Konfessor eine Abfuhr, denn was weiß sie schon von gewöhnlichen Menschen? Von Geburt an kennt diese Frau nichts als Privilegien und Reichtum. Was weiß sie von harter Arbeit? Zeigt ihr, dass ihr Geburtsrecht auf Vorherrschaft ein Ende hat! Zeigt ihr, dass wir ihr privilegiertes Leben ablehnen! Macht ein Kreuz durch die Mutter Konfessor und ihre anmaßenden Forderungen an ein Volk, das sie nicht einmal kennt!

Ich sage, Lord Rahl und die Mutter Konfessor besitzen genug Reichtümer! Überlasst ihnen nicht auch noch das Wenige, das ihr besitzt! Es steht ihnen nicht zu!«

Dalton rieb sich gähnend die Augen, während der Jubel in rhythmisches Rufen des Namens Chanboor überging. Er wusste nicht mehr, wann er zuletzt geschlafen hatte. Einem der Direktoren hatte er geradezu den Arm verdrehen müssen, damit die Wahl einstimmig wurde. Aus einer solchen Einstimmigkeit ließ sich das göttliche Eingreifen zugunsten des erwählten Herrschers ableiten, was sein Mandat erheblich stärkte.

Als Bertrand schließlich abermals vortrat und zu der Menge sprach, hörte Dalton nur halb hin, bis er mitbekam, wie sein Name genannt wurde.

»Aus diesem Grund – unter vielen anderen, die viel zu zahlreich sind, sie alle aufzuführen – habe ich mich persönlich in das Prozedere der Wahl eingeschaltet. Mit ganz besonderem Stolz möchte ich euch den neuen Minister für Kultur vorstellen, einen Mann, der euch ebenso gut dienen und beschützen wird wie alle seine Vorgänger« – Bertrand deutete mit der Hand auf ihn –: »Dalton Campbell.«

Teresa fiel neben ihm auf die Knie und neigte ihr Haupt vor Bertrand.

»O Herrscher, Euer Hoheit, ich danke Euch für die Anerkennung, die Ihr meinem Gemahl zuteil werden lasst. Der Schöpfer möge Euch segnen für das, was Ihr für ihn getan habt.«

Statt Stolz über die Ernennung zu empfinden, kam Dalton sich eher ein wenig im Stich gelassen vor. Teresa wusste, wie viel Arbeit er in die Erreichung ihres Zieles investiert hatte, doch jetzt schrieb sie alles Bertrands Großmut zu.

So mächtig war das Wort des Herrschers! Als er den Blick über die jubelnde Menschenmenge schweifen ließ und darüber nachdachte, mit welchen Worten er Bertrand und Hildemara den Rücken stärken sollte, kam er zu dem Schluss, dass es vermutlich keine Rolle spielte, denn auch das Volk wäre aufgrund der Ansichten seines Herrschers über die bevorstehende Abstimmung längst auf dessen Seite.

Doch es sollte noch mehr folgen. Das Entscheidende hatte Dalton überhaupt noch nicht erwähnt.

Als die Tür aufgerissen wurde, schlug ihm augenblicklich bestialischer Gestank entgegen. Es war zu dunkel, um irgend etwas zu erkennen. Dalton schnippte mit den Fingern, woraufhin die hünenhaften anderischen Gardisten die Fackeln aus den rostigen Halterungen zogen und mitnahmen.

»Seid Ihr sicher, dass er überhaupt noch lebt?«, fragte Dalton. »Seht Ihr überhaupt jemals nach?«

»Er lebt, Minister.«

Einen Augenblick lang war Dalton verwirrt und stutzte über den Titel. Jedesmal, wenn ihn jemand mit dem Titel ansprach, dauerte es den Bruchteil einer Sekunde, bis ihm bewusst wurde, dass er gemeint war. Allein der Klang – Dalton Campbell, Minister für Kultur – rief bei ihm ein leichtes Schwindelgefühl hervor.

Der Gardist hielt die Fackel vor. »Hier herüber, Minister Campbell.«

Dalton stieg über Männer hinweg, die so verdreckt waren, dass man sie kaum vom schmierigen schwarzen Boden unterscheiden konnte. Fauliges Wasser rieselte durch eine Vertiefung im schwarz verschmierten Ziegelfußboden. Wo es in den Raum hineinfloss, lieferte es, so wie es war, das Trinkwasser. Wo es herauslief, war es Latrine. Wände, Boden und Männer wimmelten von Ungeziefer.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, jenseits des fauligen Wassers, führte ein kleines, vergittertes Fenster ungefähr in Kopfhöhe – zu klein, als dass ein Mann hätte durchkriechen können – hinaus auf eine Gasse. Waren Familienangehörige oder Freunde um das Überleben der Gefangenen besorgt, durften sie diese Gasse betreten und sie füttern.

Weil die Arme und Füße der Männer in Holzklötze eingeschlossen waren, um sie bewegungsunfähig zu machen, konnten sie sich nicht um das Essen balgen; sie konnten wenig mehr als auf dem Boden liegen. Wegen der Klötze waren sie außerstande zu laufen, bestenfalls konnten sie ein kurzes Stück hüpfen. Waren sie in der Verfassung, sich weit genug aufzurichten, konnten sie ihren Mund in die Nähe der Fensteröffnung schieben und sich füttern lassen. Wenn ihnen niemand etwas gab, krepierten sie.

Alle Gefangenen waren nackt. Der Schein der Fackeln wurde von schmierig-schwarzen Leibern zurückgeworfen; Dalton bemerkte, dass eine der Gefangenen eine ausgemergelte alte Frau ohne Zähne war. Bei einigen Männern vermochte er nicht einmal mit Sicherheit zu sagen, ob sie noch lebten, denn sie zeigten keinerlei Reaktion auf die Soldaten, die über sie hinwegstiegen.