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»Ich bin überrascht, dass er noch lebt«, meinte Dalton, an den Gardisten gewandt.

»Er hat Leute, die an ihn glauben, immer noch. Sie kommen jeden Tag, um ihm zu essen zu geben. Nachdem sie ihn gefüttert haben, spricht er zu ihnen durch das Fenster. Sie sitzen da und lauschen seinen endlosen Ausführungen, als wäre das, was er zu sagen hat, wichtig.«

Dalton hatte nicht gewusst, dass der Mann noch immer Anhänger hatte; das war von Vorteil. Mit willigen Gefolgsleuten würde es nicht lange dauern, bis die Bewegung in Gang gebracht war.

Ein Gardist senkte die Fackel und erklärte: »Dort liegt er, Minister Campbell. Das ist der Bursche.«

Der Gardist versetzte dem auf der Seite liegenden Mann einen Tritt. Dessen Kopf drehte sich in ihre Richtung. Weder schnell noch langsam, sondern mit Bedacht. Statt des entmutigten Blickes, den Dalton erwartet hatte, funkelte ihm ein einzelnes, feuriges Auge entgegen.

»Serin Rajak?«

»So ist es«, knurrte der Mann. »Was wollt Ihr?«

Dalton ging neben dem Mann in die Hocke. Er musste zweimal Anlauf nehmen, um Luft zu holen. Der Gestank war überwältigend.

»Man hat mich soeben zum Minister für Kultur ernannt, Meister Rajak. Heute erst. Ich bin gekommen, um als erste Amtshandlung das Unrecht wieder gutzumachen, das man Euch angetan hat.«

Dalton fiel auf, dass dem Mann ein Auge fehlte; an dessen Stelle befand sich eine schlecht verheilte, eingefallene Narbe.

»Ungerechtigkeit. Die Welt ist voller Ungerechtigkeit. Die Magie kann den Menschen ungehindert Schaden zufügen. Magie hat mich hierhergebracht. Aber ich habe mich von ihr nicht kleinkriegen lassen. Nein, Sir, das hab ich nicht. Ich werde mich dem Übel der Magie niemals fügen.

Das Auge habe ich mit Freuden für die Sache geopfert. Eine Hexe hat es mir genommen. Wenn Ihr erwartet, ich widerrufe meinen heiligen Kreuzzug gegen diese widerwärtigen Kuppler der Magie, könnt Ihr mich ebenso gut hier liegen lassen, habt Ihr verstanden? Lasst mich in Frieden! Ich werde mich denen niemals beugen!«

Dalton wich ein kleines Stück zurück, als sich der Mann auf dem Boden wild hin und her warf und dabei an den Fesseln riss, denen selbst ein nur halb Wahnsinniger ansehen musste, dass sie seinen Versuchen niemals nachgeben würden. Er ließ dennoch nicht davon ab, bis frisches Blut seine Handgelenke färbte.

»Ich werde meinen Kampf gegen die Magie niemals aufgeben! Habt Ihr verstanden? Ich werde mich niemals denen fügen, die uns, die wir dem Schöpfer dienen, mit Magie belangen!«

Dalton legte dem Mann eine Hand auf die schmierige Schulter, um ihn zu besänftigen.

»Ihr missversteht mich, Sir. Magie fügt unserem Land gewaltigen Schaden zu. Die Menschen sterben durch Feuer und Ertrinken. Ohne erkennbaren Grund werfen sich Menschen von Gebäuden und Brücken…«

»Hexen!«

»Genau das fürchten wir auch…«

»Hexen haben diese Menschen verflucht! Würdet ihr Narren nur auf mich hören, ich hab versucht, euch zu warnen! Ich wollte euch helfen! Ich hab versucht, das Land von ihnen zu befreien!«

»Aus ebendiesem Grund bin ich gekommen, Serin. Ich glaube Euch. Wir brauchen Eure Hilfe. Ich bin gekommen, um Euch frei zu lassen und um Hilfe zu bitten.«

Als der Mann aufsah, leuchtete das Weiße in seinem einen Auge auf wie ein Fanal in der tintenschwarzen Nacht der Verderbnis.

»Gelobt sei der Schöpfer«, sprach er leise. »Endlich wurde ich gerufen, Sein Werk zu tun.«

60

Richard war von dem Anblick überwältigt: die breite Hauptverkehrsstraße dicht gedrängt mit Menschen, fast alle trugen Kerzen bei sich, eine leuchtende Flut aus Gesichtern, die durch Fairfields breite Prachtstraße geschwemmt wurde. Sie umströmte die Bäume und Bänke auf dem Mittelstreifen zwischen beiden Teilen der Straße, was diesen das Aussehen baumbestandener Inseln verlieh.

Es wurde soeben dunkel. Das Abendrot, das über dem Horizont am westlichen Himmel, hinter den Gipfeln der fernen Berge, durch eine schmale Lücke in den aufziehenden Wolken zu erkennen war, wies eine tiefviolette Farbe mit einem Hauch von Rosa auf. Droben waren den ganzen Nachmittag über bleierne Wolken aufgezogen. In der Ferne hörte man das tiefe Grollen gelegentlichen Donners. Die drückende Luft roch feucht, und der von den Hufen der Pferde aufgewirbelte Staub stand in der Luft und machte das Atmen fast unmöglich. Gelegentlich fiel ein verirrter Regentropfen, fett und reif mit dem Versprechen nach mehr.

D’Haranische Soldaten umgaben Richard, Kahlan und Du Chaillu in Form eines waffenstarrenden Rings. Die berittenen Soldaten ringsum erinnerten Richard an ein Boot, das auf einem Meer von Gesichtern trieb. Geschickt weigerten sich die Männer Platz zu machen, ohne den Eindruck zu erwecken, sie drängten die Menschen gewaltsam zur Seite ab. Die Leute beachteten sie nicht; ihr ganzes Augenmerk schien auf das Erreichen ihres Ziels gerichtet, vielleicht war es aber auch zu dunkel, um sie zu erkennen, und man hielt sie für einen Teil der anderischen Armee.

Die Meister der Klinge der Baka Tau Mana waren untergetaucht; das taten sie gelegentlich. Richard aber wusste, sie nahmen lediglich strategische Positionen ein, für den Fall, dass es Ärger gab. Du Chaillu gähnte. Es war das Ende eines langen Reisetages, der sie endlich nach Fairfield zurückgeführt hatte.

Was Richard sah, gefiel ihm ganz und gar nicht, daher führte er sie alle von der drangvollen Prachtstraße in eine menschenleere, nicht weit vom zentralen Platz der Stadt entfernte Seitenstraße. In der aufkommenden Dämmerung stieg er ab; er wollte sich die Sache näher anschauen, jedoch nicht mit all den Soldaten zusammen gesehen werden. So gut seine Männer auch waren, den Zehntausenden von Menschen in den Straßen waren sie nicht gewachsen. Eine Kolonie winziger Ameisen konnte schließlich auch ein Insekt vom Vielfachen ihrer Körpergröße überwältigen.

Richard ließ den größten Teil seiner Männer zur Versorgung und Bewachung der Pferde zurück und nahm Kahlan und ein paar Soldaten mit, um herauszufinden, was da vor sich ging. Du Chaillu fragte gar nicht erst, ob sie mitkommen durfte, sie tat es einfach. Jiaan schloss sich ihnen ebenfalls an, nachdem er das Gebiet zu seiner Zufriedenheit ausgekundschaftet und für ausreichend sicher befunden hatte. Aus dem Schatten der zweistöckigen Gebäude zu beiden Seiten einer in nordsüdlicher Richtung verlaufenden und sich auf den Platz hin öffnenden Straße konnten sie das Geschehen unbemerkt beobachten.

An der Stirnseite des Platzes stand eine gemauerte Plattform mit einem rechteckigen Steingeländer an der Vorderseite. Von dort aus wurden öffentliche Bekanntmachungen verkündet. Vor ihrer Abreise hatte Richard von dort oben zu interessierten, ernsthaften Menschen gesprochen. Richard und Kahlan waren auf ihrem Rückweg in der Absicht nach Fairfield gekommen, noch einmal auf dem Platz zu sprechen, bevor sie auf das Anwesen zurückkehrten. Die Zeit drängte, mit der langwierigen Arbeit der Durchsicht sämtlicher Bücher von oder über Joseph Ander zu beginnen und nach einem Hinweis zu suchen, wie man die Chimären unschädlich machen konnte, davor jedoch hatte Richard die positiven Dinge, von denen er diesen Menschen bereits erzählt hatte, noch einmal bekräftigen wollen.

Während der letzten Tage hatten es die Chimären immer schlimmer getrieben; sie schienen allgegenwärtig zu sein. Richard und Kahlan hatten einige ihrer Soldaten gerade noch zurückhalten können, bevor sie, überwältigt vom unwiderstehlichen Ruf des Todes, ins Feuer oder ins Wasser sprangen; bei anderen waren sie nicht mehr rechtzeitig gekommen. Keiner von ihnen hatte viel geschlafen.

Die versammelte Menschenmenge stimmte einen Sprechchor an.

»Nie wieder Krieg. Nie wieder Krieg. Nie wieder Krieg.« Es war ein dumpfes, anhaltendes Brummen, tief und beharrlich, wie das Beben eines fernen Donners.

Richard fand diese Einstellung durchaus redlich und begrüßte sie von ganzem Herzen, trotzdem beunruhigte ihn der Zorn in den Augen der Menschen und der Unterton in ihren Stimmen, während sie die Worte monoton herunterleierten. Eine Weile ging es so weiter, einem von der Ebene heranrollenden Donner gleich, anschwellend und zunehmend lauter werdend.