Captain Meiffert wischte sich Wasser vom Kinn. Der Mann schien den Grund für Richards Abneigung geahnt zu haben und hatte sich eine Antwort zurechtgelegt.
»Wir haben genügend Männer hier, Lord Rahl. Wir könnten den General benachrichtigen und die Dominie Dirtch, bevor er in Sichtweite kommt, von der anderischen Armee übernehmen und unsere Truppen sicher hindurchlassen.«
»Genau diesen Plan habe ich schon tausendmal in Gedanken durchgespielt«, sagte Richard. »Ein Umstand jedoch lässt sämtliche Warnglocken in meinem Kopf erklingen.«
»Und der wäre?«, wollte Kahlan wissen.
Richard drehte sich auf seinem kleinen Klappstuhl zur Seite, um sich gleichzeitig an sie und an den Captain wenden zu können.
»Wir wissen nicht genau, wie die Dominie Dirtch funktionieren.«
»Dann fragen wir eben jemand von hier«, meinte Kahlan.
»Sie benutzen diese Waffe nicht, auf ihre Kenntnisse können wir uns nicht verlassen. Sie wissen lediglich, dass sie im Falle eines Angriffs die Dinger anschlagen müssen und der Feind dann getötet wird.«
»Lord Rahl, wenn alle Truppen von der Überwachung der Abstimmung zurückgekehrt sind, verfügen wir über eintausend Mann.
Wir können die Dominie Dirtch auf breiter Front einnehmen, woraufhin General Reibisch seine Armee sicher hindurchschaffen könnte. Anschließend können wir mit Hilfe seiner Truppen die übrigen entlang der gesamten Grenze in unseren Besitz bringen, sodass die Imperiale Ordnung sie unmöglich passieren kann. Vielleicht rücken sie sogar im Glauben an, sie passieren zu können. Dann hätten wir Gelegenheit, die Dominie Dirtch gegen sie einzusetzen.«
Richard rollte die Kerze auf dem Tisch beim Zuhören ein ums andere Mal zwischen seinen Fingern hin und her.
»Die Sache hat einen Haken«, meinte er schließlich, »und zwar den, von dem ich bereits sprach: Wir wissen nicht, wie sie funktionieren.«
»Im Wesentlichen wissen wir, wie diese Dinger funktionieren«, meinte Kahlan, deren Enttäuschung zusehends wuchs.
»Das Problem ist nur«, wandte Richard ein, »wir wissen nicht genug. Erstens sind wir nicht imstande, sämtliche Dominie Dirtch entlang der Grenze einzunehmen. Es sind zu viele – sie ziehen sich an der gesamten Grenze entlang. Wir könnten, wie Ihr vorgeschlagen habt, Captain, ein paar einnehmen.
Doch genau darin liegt das Problem. Erinnert Ihr Euch noch, als wir sie passierten? Wie diese Leute getötet wurden, als die Dominie Dirtch erklungen sind?«
»Ja, aber wir wissen nicht, weshalb sie erklungen sind«, meinte Kahlan. »Außerdem, welchen Unterschied macht das?«
»Angenommen, wir bringen ein Teilstück der Dominie Dirtch in unsere Gewalt«, erklärte Richard, dessen Blick zwischen Kahlan und Captain Meiffert hin und her wanderte, »und teilen General Reibisch daraufhin mit, es sei sicher, die Armee ins Land zu bringen. Und weiterhin angenommen, an irgendeiner anderen Stelle schlagen die anderischen Soldaten, die nach wie vor die Kontrolle über die Dominie Dirtch haben, die ihren an, während all diese Soldaten sich in etwa vor ihnen befinden?«
»Na und?«, meinte Kahlan. »Sie werden viel zu weit entfernt sein.«
»Bist du sicher?« Richard neigte sich zu ihr hin, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Was ist, wenn dadurch alle ausgelöst werden? Und was ist, wenn sie wissen, wie man die gesamte Reihe zum Klingen bringt?
Erinnerst du dich noch, wie wir die Grenze überschritten haben und sie meinten, alle Dominie Dirtch seien erklungen, und jeder, der sich vor ihnen aufgehalten habe, sei getötet worden?«
»Aber sie wussten doch gar nicht, wieso alle erklungen waren«, wandte Kahlan ein. »Die Soldaten haben sie jedenfalls nicht angeschlagen.«
»Woher willst du wissen, dass nicht irgendwo entlang der gesamten Linie jemand seine Dominie Dirtch angeschlagen und sie damit alle zum Klingen gebracht hat? Möglicherweise aus Versehen, und jetzt geben sie es aus Angst vor Bestrafung nicht zu. Oder vielleicht hat einer dieser jungen Soldaten sie einfach aus Langeweile ausprobieren wollen?
Angenommen, dasselbe passiert, während unsere gesamte Armee dort draußen vor diesen mörderischen Dingern steht? Kannst du dir das vorstellen? General Reibisch verfügt über annähernd einhunderttausend Mann – mittlerweile vielleicht schon mehr. Kannst du dir vorstellen, wie seine gesamte Streitmacht auf einen Schlag getötet wird?«
Richards Blick wanderte von Kahlans ruhigem Gesicht hinüber zur besorgten Miene des Captains. »Unsere gesamten Streitkräfte hier unten im Süden wären mit einem Schlag tot. Versuch dir das vorzustellen.«
»Aber ich glaube nicht, dass…«, begann Kahlan.
»Willst du etwa das Leben all dieser jungen Männer allein auf deinen Glauben hin aufs Spiel setzen? Bist du deiner Sache so sicher? Ich weiß nicht, ob die Dominie Dirtch auf diese Art gemeinsam funktionieren, aber angenommen, sie tun es? Möglicherweise bringt eine, im Zorn angeschlagen, all die anderen zum Erklingen? Kannst du mit Sicherheit sagen, dass das nicht stimmt?
Ich bin nicht bereit, das Leben dieser tapferen Männer so ohne weiteres aufs Spiel zu setzen. Du vielleicht?« Richard blickte wieder zu Captain Meiffert. »Oder Ihr? Seid Ihr eine Spielernatur, Captain Meiffert? Könntet Ihr so einfach um das Leben dieser Männer wetten?«
Das Getöse ebbte ab, als der Regen ein wenig nachließ. Draußen vor dem Zelt liefen Männer vorüber und brachten den Pferden Futter. Größtenteils lag das Lager in völliger Dunkelheit, Feuer waren verboten, es sei denn, sie waren unentbehrlich.
»Dem kann ich nichts entgegensetzen.« Kahlan hob die Hände und ließ sie enttäuscht in den Schoß zurückfallen. »Aber Jagang ist auf dem Weg hierher. Wenn wir die Menschen nicht für unsere Sache gewinnen, damit sie ihm Widerstand leisten, wird er Anderith erobern. Anschließend wird er unbesiegbar hinter den Dominie Dirtch stehen und kann nach Belieben in die Midlands vorstoßen und uns ausbluten.«
Richard lauschte auf das Trommeln des Regens auf dem Zeltdach und auf das Plätschern draußen vor dem offenen Eingang. Es klang nach jener Sorte Dauerregen, der sie die ganze Nacht begleiten würde.
Richard senkte die Stimme. »Meiner Meinung nach haben wir nur eine Möglichkeit. Wir müssen noch einmal in die Bibliothek auf dem Anwesen zurück und sehen, ob wir irgend etwas Brauchbares finden können.«
»Bislang war das nicht der Fall«, meinte Kahlan.
»Und da die Verantwortlichen sich jetzt gegen uns stellen«, meinte Captain Meiffert, »könnten sie sich womöglich dagegen sträuben.«
Richard ballte seine Hand auf dem Tisch zur Faust und blickte dem Mann fest in seine blauen Augen. Wieder einmal wünschte Richard, er hätte das Schwert der Wahrheit bei sich.
»Wenn es dazu kommt, Captain, dann seid Ihr und Eure Männer aufgefordert, das zu tun, wofür Ihr unablässig übt. Wenn sie sich sträuben, werden wir, falls nötig, jeden niedermetzeln, der einen Finger gegen uns erhebt, und anschließend das Gebäude dem Erdboden gleichmachen. Allerdings müssen wir vorher die Bücher von dort entfernen.«
Erleichterung entspannte die Gesichtszüge des Mannes. Offenbar befürchteten die D’Haraner, Richard könnte entschlossenem Handeln abgeneigt sein. Captain Meiffert schien beruhigt, als er dies nicht bestätigt fand.
»Jawohl, Lord Rahl. Die Männer werden morgen früh bereitstehen, wann immer Ihr so weit seid.«
Beunruhigend war Kahlans Einwand, auf dem Anwesen könnte sich möglicherweise nichts von Wert befinden. Richard erinnerte sich noch an die Bücher in der Bibliothek. Er konnte sich zwar keine einzelnen Informationen mehr ins Gedächtnis rufen, aber an die Themen erinnerte er sich gut genug, um zu wissen, dass die Chance, die Antwort zu finden, gering war. Trotzdem war es die einzige Chance, die sie hatten.
»Bevor ich aufbreche« – Captain Meiffert zog einen Zettel aus seiner Tasche –, »dachte ich, Ihr solltet wissen, dass eine Reihe von Personen um eine Audienz ersucht hat – sobald Ihr Zeit für dergleichen habt, Lord Rahl. Meist waren es Kaufleute, die Auskünfte wünschten.«