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Während der Rabe sich mit seinen Krallen an der Mähne des Pferdes festhielt, bäumte sich das Pferd ein letztes Mal auf, bevor es herunterkam und im höchsten Tempo davonstürmte. Wer sich aus dem Weg werfen konnte, tat es. Wer dazu nicht imstande war, wurde von dem rasenden Tier niedergetrampelt.

Als Francas Schreie gnädigerweise verstummt waren, salutierte Dalton vor der Stute und dem rächenden Raben, als das ungewöhnliche Gespann in vollem Galopp aus der Stadtmitte floh.

63

Beata spähte aus zusammengekniffenen Augen im morgendlichen Dämmerlicht hinaus über die Ebene. Es tat gut zu sehen, dass es ein strahlender Tag werden würde, sobald die Sonne den Horizont erreicht hätte. Die Regenfälle der letzten Tage waren an die Nerven gegangen; jetzt standen nur noch ein paar dunkelviolette Wolken, kindlichen Kohlekritzeleien gleich, über dem goldfarbenen Himmel im Osten. Oben vom steinernen Sockel der Dominie Dirtch aus schien es, als könnte sie unter der unermesslichen Weite des Himmels droben endlos über die gewaltige Ebene der Wildnis hinwegblicken.

Beata erkannte, dass Estelle Ruffin richtig gehandelt hatte, sie nach oben zu rufen. In der Ferne nahte ein Reiter; er war noch immer ein beträchtliches Stück entfernt, doch so, wie er sein Pferd laufen ließ, machte er nicht den Eindruck, als wollte er anhalten. Beata wartete ab, bis er etwas näher war, dann formte sie die Hände vor ihrem Mund zu einem Trichter und rief: »Halt! Bleibt stehen, wo Ihr seid!«

Er kam immer noch näher, wahrscheinlich war er noch zu weit entfernt, um sie zu hören. Die Ebene täuschte; manchmal benötigte ein Reiter viel länger bis zu ihnen, als man meinen sollte.

»Was sollen wir tun?«, fragte Estelle.

Beata war es inzwischen gewöhnt, dass die Anderier auf sie vertrauten und sie um Anweisungen baten. Sie war nicht nur im Begriff, sich an ihre Machtbefugnis zu gewöhnen, sondern fand zunehmend Gefallen daran.

Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Bertrand Chanboor hatte ebenjene Gesetze gemacht, die es Beata ermöglichten, der Armee beizutreten und Anderier zu befehligen, gleichzeitig war Bertrand der Grund, dass sie in den Genuss dieser Gesetze gekommen war. Sie hasste ihn, gleichzeitig war er, ohne es zu wissen, ihr Wohltäter. Jetzt, da er Herrscher war, versuchte sie pflichtgemäß und so schwer es ihr auch fiel, nichts als Liebe für ihn zu empfinden.

Noch am Abend zuvor war Captain Tolbert mit einigen d’Haranischen Soldaten vorbeigekommen. Sie waren an der Linie der Dominie Dirtch entlang geritten, um die an den einzelnen Waffen stationierten Trupps aufeinander abzustimmen. Sie hatten sich untereinander darüber unterhalten, und obwohl Beata ihre Stimmzettel nicht zu Gesicht bekam, wusste sie, dass ihr Trupp geschlossen ein Kreuz gemacht hatte.

Dem Gefühl nach war Beata fest davon überzeugt, dass Lord Rahl ein rechtschaffener Mann war, schließlich war sie ihm begegnet und hatte mit ihm gesprochen. Auch die Mutter Konfessor wirkte freundlicher als erwartet. Trotzdem, Beata und ihr Trupp waren stolz darauf, in der anderischen Armee zu dienen, der besten Armee der Welt, wie Captain Tolbert ihnen versichert hatte, einer Armee, die seit der Schaffung des Landes nicht besiegt worden war und inzwischen als unbesiegbar galt.

Beata trug Verantwortung. Sie war eine Soldatin, die mittlerweile Respekt gebot, so wie Bertrand Chanboors Gesetz dies vorschrieb. Sie wollte nicht, dass sich daran etwas änderte.

Obwohl sie damit für Bertrand Chanboor, ihren neuen Herrscher, und gegen Lord Rahl stimmte, hatte Beata voller Stolz ein Kreuz gemacht.

Emmeline hatte die Hand am Schlegel, und auch Karl stand gleich daneben, in der Erwartung, Beata werde Befehl geben, ihn herauszunehmen. Stattdessen winkte Beata die beiden von der Waffe fort.

»Es ist nur ein einzelner Reiter«, beruhigte Beata mit abgeklärter Stimme ihre Nerven.

Estelle entfuhr ein schwerer Seufzer der Enttäuschung. »Aber Sergeant…«

»Wir sind ausgebildete Soldaten. Ein einzelner Mann stellt keine Bedrohung dar. Wir wissen, wie man kämpft. Wir sind für den Kampf ausgebildet worden.«

Karl verschob das Schwert an seinem Waffengurt. Er konnte es nicht erwarten, Verantwortung zu übernehmen und endlich als vollwertiger Soldat zum Einsatz zu kommen. Beata schnippte mit den Fingern und deutete auf die Treppe.

»Geht, Karl, holt Norris und Annette her. Ihr drei trefft mich dann unten an der Grenzlinie. Emmeline, Ihr bleibt mit Estelle hier oben, aber ich möchte, dass ihr beide dem Schlegel fernbleibt. Ich werde nicht zulassen, dass ihr diese Waffe anschlagt, solange keine größere Gefahr als durch einen einzelnen Reiter besteht. Wir erledigen das schon. Bleibt einfach auf Eurem Posten und haltet die Augen offen.«

Die beiden Frauen führten eine Hand zum Salut an die Stirn. Karl machte die Kurzversion, dann rannte er, ganz außer Atem über die Aussicht, endlich einmal könnte wirklich etwas passieren, die Stufen hinunter. Beata richtete das Schwert an ihrer Hüfte, dann stieg sie die Stufen auf eine würdigere Art hinunter, die eher ihrem Rang entsprach.

Beata stand neben der riesigen steinernen Waffe an der Linie, wie sie sie nannten; jenseits davon war die Dominie Dirtch tödlich. Als Karl mit Norris und Annette angelaufen kam, verschränkte sie die Hände hinter dem Rücken. Annette war noch mit dem Anlegen ihres Kettenpanzers beschäftigt.

Endlich konnte Beata die Rufe des Reiters verstehen, der auf sie zugaloppiert kam. Unter lautem Geschrei flehte er sie an, die Dominie Dirtch nicht anzuschlagen.

Beata glaubte die Stimme wieder zu erkennen.

Karl hatte die Hand am Heft seines Schwertes. »Sergeant?«

Sie nickte, woraufhin die beiden Männer und die Frau ihre Klingen blankzogen. Wegen einer tatsächlichen Bedrohung hatten sie dies noch nie getan; sie alle strahlten vor Aufregung.

Beata formte ihre Hände abermals zu einem Trichter vor dem Mund. »Stehen bleiben!«

Diesmal hörte sie der Reiter. Er riss die Zügel nach hinten und brachte sein mit schäumendem Schweiß bedecktes Pferd ein kleines Stück vor ihnen stolpernd und unbeholfen zum Stehen.

Beata sackte der Unterkiefer herunter.

»Snip!«

Er grinste. »Beata, bist du das etwa?«

Er stieg ab und führte sein Pferd auf sie zu. Das Pferd war in einem bemitleidenswerten Zustand, Snip sah nicht viel besser aus.

»Snip«, knurrte Beata, »komm hierher zu mir.«

Enttäuscht, dass Beata den Mann kannte und es vermutlich nicht zu einem Schwertkampf kommen würde, schoben Karl, Norris und Annette ihre Waffen zurück in die Scheide. Sie alle starrten jedoch unverhohlen auf die Waffe, die Snip trug.

Sie wurde von einem Waffengurt gehalten, der gegenüber von Schwert und Scheide über die rechte Schulter lief, wodurch das Gewicht gleichmäßig verteilt wurde. Das Leder des Gehenks war fein gearbeitet und schien alt zu sein; Beata kannte sich mit Lederarbeiten aus; so etwas Elegantes hatte sie noch nie gesehen. Die Scheide war mit schlicht unvergleichlichen Silber- und Goldarbeiten verziert.

Auch das Schwert selbst war bemerkenswert, zumindest, soweit sie dies erkennen konnte. Es besaß einen nach unten gebogenen Handschutz aus blank poliertem Stahl. Das Heft schien mit Silberdraht umwickelt zu sein, zwischen dem im Licht des frühen Morgens auch ein wenig Gold aufblinkte.

Snip, völlig außer Atem, sah sie lächelnd an. »Nett, dich zu sehen, Beata. Freut mich, dass du den Posten bekommen hast, auf den du aus warst. Schätze, da hat sich für uns beide endlich unser Traum erfüllt.«

Beata hatte sich ihren Traum verdient, das wusste sie. Da sie Snip schon eine ganze Weile kannte, hatte sie bei ihm diesbezüglich ihre Zweifel.

»Was tust du hier, Snip, und woher hast du diese Waffe?«

Er reckte das Kinn vor. »Es gehört mir. Ich hab dir doch erzählt, ich würde eines Tages der Sucher sein, und das bin ich jetzt. Das hier ist das Schwert der Wahrheit.«

Beata starrte es an. Snip drehte die Waffe ein wenig, damit sie das Heft mit der Inschrift in Golddraht sehen konnte. Es war dasselbe Wort, das Snip an jenem Tag auf dem Anwesen des Ministers in den Staub gemalt hatte. Sie konnte sich noch gut daran erinnern: WAHRHEIT.