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Er hielt fünf Speere in der Hand. Sie vermutete, daß die rasiermesserscharfen, gummiartig lackiert wirkenden Speerspitzen frisch mit Gift überzogen waren. Derart präpariert, war im Umgang mit ihnen Vorsicht geboten.

In dem Wildlederbeutel an seiner Hüfte führte er ein mit Schnitzereien verziertes Knochenkästchen mit, gefüllt mit einer dunklen Paste aus bandu-Blättern, die zerkaut und anschließend gekocht wurden, um daraus Zehnschrittgift herzustellen. Außerdem trug er einige Blätter quassin doe bei sich, das Gegenmittel gegen das Zehnschrittgift. Wie der Name des Giftes jedoch andeutete, war bei quassin doe unbedingt Eile vonnöten.

»Nein«, antwortete Kahlan, »der Vogelmann hat das Huhn, das keines ist, noch immer nicht gefunden. Warum bist du mit Schlamm bemalt und so schwer bewaffnet? Was ist passiert?«

Chandalen hob den Fuß über ein Huhn hinweg, das offenkundig nicht die Absicht hatte, sich von der Stelle zu bewegen. »Meine Männer, die sich auf einem weitentfernten Patrouillengang befinden, sind in Schwierigkeiten geraten. Ich muß fort und mich darum kümmern.«

»Schwierigkeiten?« Kahlan breitete die Arme aus. »Was für eine Art von Schwierigkeiten?«

Chandalen zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht genau. Der Mann, der mich holen kam, meinte, Männer mit Schwertern seien dort…«

»Die Imperiale Ordnung? Von der Schlacht, die weiter nördlich gekämpft wird? Es könnte sich um einige Versprengte handeln, die entkommen konnten, oder um Schlachtspäher. Vielleicht gelingt es uns, General Reibisch zu benachrichtigen. Möglicherweise ist seine Armee noch nicht zu weit entfernt, um anzugreifen, vorausgesetzt, wir können sie rechtzeitig zur Umkehr bewegen.«

Chandalen hob eine Hand, um ihre Besorgnis zu dämpfen. »Nein. Du und ich, wir haben gemeinsam gegen die Männer der Imperialen Ordnung gekämpft. Es handelt sich weder um Truppen der Imperialen Ordnung noch um Späher.

Nach Ansicht meines Jägers sind sie nicht feindlich gesinnt. Es heißt, sie seien schwer bewaffnet und strahlten beim Näherkommen eine gewisse Ruhe aus, was eine Menge besagt. Da ich, wie sie, deine Sprache spreche, wüßten meine Männer bei solch gefährlich aussehenden Männern gerne meinen Rat.«

Kahlan hob ihren Arm, um Richards Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Es wäre besser, wenn Richard und ich dich begleiten.«

»Nein. Viele Menschen wünschen durch unser Land zu reisen. Draußen in der Ebene treffen wir oft auf Fremde. Das ist meine Aufgabe, ich werde mich darum kümmern und sie vom Dorf fernhalten. Abgesehen davon solltet ihr beide hierbleiben und euren ersten Tag als jungvermähltes Paar genießen.«

Kahlan warf Richard, der noch immer damit beschäftigt war, die Hühner zu sortieren, kommentarlos einen finsteren Blick zu.

Chandalen beugte sich an ihr vorbei und sprach den einige Schritte entfernt stehenden Vogelmann an. »Geehrter Ältester, ich muß aufbrechen und nach meinen Männern sehen. Es nahen Fremde.«

Der Vogelmann sah zu dem Mann hinüber, der in Wirklichkeit sein für den Schutz der Schlammenschen verantwortlicher General war. »Sei vorsichtig. Es gehen gottlose Seelen um.«

Chandalen nickte. Bevor er sich umwandte, bekam Kahlan ihn am Arm zu fassen. »Von bösen Seelen weiß ich nichts, aber es drohen andere Gefahren. Sei vorsichtig. Richard befürchtet, es könnte Schwierigkeiten geben. Ich verstehe zwar nicht, warum er das denkt, aber ich verlasse mich auf seine Instinkte.«

»Du und ich, wir haben gemeinsam gekämpft, Mutter Konfessor.« Chandalen zwinkerte ihr zu. »Du weißt, ich bin zu stark und klug, als daß Schwierigkeiten mir etwas anhaben könnten.«

Während sie Chandalen nachsah, der sich seinen Weg durch die im Kreis herumirrende Hühnerschar bahnte, fragte Kahlan den Vogelmann: »Hast du etwas – Verdächtiges gesehen?«

»Noch kann ich das Huhn, das keines ist, nicht sehen«, erwiderte der Vogelmann, »aber ich werde so lange suchen, bis ich es finde.«

Kahlan dachte über eine Möglichkeit nach, ihn höflich zu fragen, ob er betrunken gewesen sei, beschloß aber dann, ihm eine andere Frage zu stellen.

»Woran erkennst du, daß das Huhn kein Huhn ist?«

Sein sonnengebräuntes Gesicht legte sich nachdenklich in Falten. »Ich spüre es.«

Sie hatte keine andere Wahl. »Du hast mit berauschenden Getränken gefeiert, vielleicht hast du dir nur eingebildet, du hättest etwas gespürt?«

Die Falten in seinem Gesicht verzogen sich zu einem Lächeln. »Vielleicht haben mich die Getränke so entspannt, daß ich klarer sehen konnte.«

»Bist du immer noch … entspannt?«

Er verschränkte die Arme und betrachtete die wimmelnde Hühnerschar. »Ich weiß, was ich gesehen und gespürt habe.«

»Woran hast du erkannt, daß es kein Huhn war?«

Er fuhr sich mit dem Finger an der Nase entlang und ließ sich ihre Frage durch den Kopf gehen. Kahlan wartete und beobachtete dabei Richard, der die Hühnerschar weiterhin hartnäckig sortierte, als suche er nach einem verlorengegangenen Lieblingstier.

»Bei Feierlichkeiten wie eurer Hochzeit«, erwiderte der Vogelmann nach einer Weile, »führen unsere Männer Geschichten unseres Volkes auf. Es sind niemals Frauen, die diese Geschichten tanzen, nur Männer. In vielen Geschichten kommen aber Frauen vor. Hast du diese Geschichten gesehen?«

»Ja. Gestern habe ich zugesehen, wie die Tänzer die Geschichte der ersten Schlammenschen erzählt haben: unserer Ahnenmutter und unseres Ahnenvaters.«

Er lächelte, als ginge ihm die Erwähnung dieser speziellen Geschichte zu Herzen. Es war ein Lächeln, das insgeheim den Stolz auf sein Volk verriet.

»Wäret ihr während dieses Tanzes eingetroffen und hättet ihr nichts über unser Volk gewußt, hättet ihr erkannt, daß der als Mutter unseres Volkes verkleidete Tänzer keine Frau ist?«

Kahlan überlegte. Die Schlammenschen stellten ausdrücklich für diese Tänze reichverzierte Kostüme her, die für keinen anderen Anlaß hervorgeholt wurden. Für die Schlammenschen war es ein ehrfurchtgebietendes Erlebnis, die Tänzer in ihren außergewöhnlichen Kostümen zu sehen. Die Männer, die sich für die Geschichten als Frauen verkleideten, gaben sich größte Mühe, ihrer Rolle auch äußerlich zu entsprechen.

»Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich würde erkennen, daß es keine Frauen sind.«

»Wie das? Wodurch könnten sie sich dir verraten haben? Bist du sicher?«

»Ich glaube, das kann ich nicht erklären. Irgend etwas war an ihnen nicht ganz stimmig. Ich glaube, wenn ich sie vor mir hätte, wüßte ich, daß es keine Frauen sind.«

Der konzentrierte Blick aus seinen braunen Augen richtete sich zum erstenmal auf sie. »Und ich wüßte, daß es kein Huhn ist.«

Kahlan flocht die Finger ineinander. »Vielleicht wirst du morgen früh, wenn du ausgeschlafen hast, nur ein Huhn sehen, wenn du ein Huhn anschaust?«

Er hatte für ihren Verdacht, seine Wahrnehmung könnte beeinträchtigt gewesen sein, nichts als ein Lächeln übrig. »Du solltest gehen und etwas essen. Nimm deinen frischgebackenen Ehemann mit. Sobald ich das Huhn gefunden habe, das keines ist, werde ich jemanden nach euch schicken.«

Das schien in der Tat eine gute Idee zu sein, zumal sie Richard auf sich zukommen sah. Kahlan ergriff den Arm des Vogelmannes als stummes Zeichen ihres Einverständnisses.