Joseph Anders Worte gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Schließlich gelangte ich zu dem Schluss, dass ich sowohl Schöpfer als auch Hüter verwerfen muss. Stattdessen schaffe ich meine eigene Lösung, meine eigene Wiedergeburt und meinen eigenen Tod, und indem ich dies tue, werde ich mein Volk für alle Zeiten schützen. Daher lebt wohl, denn ich werde meinen unsterblichen Geist aufgewühlten Wassern übergeben und auf diese Weise für alle Zeiten über das wachen, was ich mit so viel Bedacht geschaffen habe, und das jetzt gesichert ist und unangreifbar.
Aufgewühlte Wasser.
Endlich begriff Richard, was Joseph Ander getan hatte.
»Ich muss fort, Du Chaillu. Ich muss fort.« Richard packte sie bei den Schultern. »Bitte tu alles, damit sie am Leben bleibt, bis ich wieder zurück bin.«
»Wir werden unser Möglichstes tun, Richard. Mein Wort als deine Gemahlin darauf.«
»Edwin!« Der Mann kam durch den Flur herbeigeschlurft. »Ja, Richard? Was kann ich für Euch tun? Sagt es mir.«
»Könnt Ihr diese Leute hier bei Euch verstecken? Meine Gemahlin…« Richard musste schlucken, um nicht die Beherrschung zu verlieren. »Könnt Ihr Kahlan hier beherbergen? Und auch Du Chaillu und ihre fünf Krieger?«
Edwin beschrieb sein Haus mit einer weiten, ausholenden Handbewegung. »Das Haus ist groß, es bietet reichlich Platz. Niemand wird erfahren, wer hier wohnt. Ich habe nicht viele Freunde, und denen, die ich habe, würde ich mein Leben anvertrauen.«
Richard schüttelte dem Mann die Hand. »Ich danke Euch, Edwin. Als Gegenleistung möchte ich Euch bitten, bei meiner Rückkehr Euer Haus zu verlassen.«
»Was? Warum das?«
»Die Imperiale Ordnung ist im Anmarsch.«
»Aber werdet Ihr sie denn nicht aufhalten?«
Richard warf die Hände in die Höhe. »Wie denn? Oder, um es präziser zu formulieren, warum sollte ich? Die Menschen hier haben die Chance zurückgewiesen, die ich ihnen geboten habe. Sie haben Eure Gemahlin umgebracht, Edwin, genau wie sie meine umbringen wollten. Und jetzt verlangt Ihr, ich soll das Leben rechtschaffener Menschen aufs Spiel setzen, um dafür zu sorgen, dass ihnen nichts passiert?«
Edwin ließ die Schultern hängen. »Nein, das wohl nicht. Ein paar von uns waren auf Eurer Seite, Richard. Ein paar von uns haben es versucht.«
»Das weiß ich, deswegen warne ich Euch auch. Sagt Euren Freunden, sie sollen die Stadt verlassen, solange sie dazu noch in der Lage sind. In spätestens zwei Wochen wird die Imperiale Ordnung hier sein.«
»Wie lange werdet Ihr fort bleiben?«
»Vielleicht zehn Tage – allerhöchstens. Ich muss hinauf in das Ödland oberhalb des Nareef-Tales.«
»Ein unangenehmer Ort.«
Richard nickte. »Ihr macht Euch keine Vorstellung.«
»Wir werden die Mutter Konfessor versorgen, so gut dies irgend möglich ist.«
»Besitzt Ihr Fässer, Edwin?«
Der Mann runzelte die Stirn. »Ja, unten im Keller.«
»Füllt sie mit Wasser. Hortet Lebensmittel. In ein paar Tagen wird das Wasser und alles, was wächst, möglicherweise nicht mehr unbedenklich sein.«
»Wie das?«
Richard knirschte mit den Zähnen. »Jagang kommt hierher, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Ich will ihm ein paar Bauchschmerzen bereiten.«
»Richard«, warf Du Chaillu mit sanfter Stimme ein und sah ihm dabei in die Augen. »Ich weiß nicht … Möchtest du sie sehen, bevor du fortgehst?«
Richard wappnete sich. »Ja. Bitte.«
Richard ließ sein Pferd den gesamten Weg zurück zum Lager im Galopp laufen. Dort konnte er ein frisches Pferd bekommen, also bemühte er sich nicht, das arme Tier zu schonen. Als er ins Lager hineinritt, kam es ihm so vor, als hätte Captain Meiffert die Truppen in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Die Posten waren verdoppelt worden und standen weiter vorn als üblich. Zweifellos hatten sie von den Baka Tau Mana gehört, dass es Ärger gegeben hatte.
Hoffentlich fragte ihn der Mann nicht nach Kahlan. Ihm von ihr erzählen, ihm ihren Anblick dort in diesem Bett schildern zu müssen, würde vermutlich seine Nerven überfordern.
Selbst als er wusste, dass sie es war, hatte Richard sie kaum wiedererkannt. Ihr Anblick hatte ihm fast das Herz gebrochen. Noch nie war er sich so allein auf der Welt vorgekommen, noch nie hatte er solche Seelenqualen erleiden müssen.
Doch statt daran zu zerbrechen, versuchte Richard sich mit aller Energie auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Wenn er Kahlan helfen wollte, musste er sie aus seinen Gedanken verbannen. Er wusste, das war unmöglich, trotzdem versuchte er, sich auf Joseph Ander zu konzentrieren, auf das, was getan werden musste.
Für ihn war es oberstes Gebot, sie zu heilen, er würde alles tun, um ihrem Leiden ein Ende zu machen; zum Glück war sie bewusstlos.
Richard glaubte zu wissen, was Joseph Ander getan hatte, allerdings hatte er nicht die geringste Vorstellung, wie er dies rückgängig machen konnte. Seiner Berechnung nach blieben ihm bis zum Erreichen seines Ziels mehrere Tage zum Nachdenken.
Richard besaß noch immer die subtraktive Seite seiner Kraft; er hatte sie bereits benutzt und kannte sich ein wenig damit aus. Nathan, ein Prophet und Richards Vorfahr, hatte ihm einst erklärt, seine Gabe unterscheide sich von der anderer Zauberer, da er ein Kriegszauberer sei. Richards Kraft funktionierte über das Verlangen, außerdem wurde sie durch Zorn ausgelöst.
Und genau das war es, was Richard zur Zeit verspürte: ein zorniges Verlangen.
Sein Zorn reichte für zehn Zauberer.
Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen – teilweise stimmte dies mit Joseph Anders Beschreibung dessen überein, was er damals getan hatte. Er hatte selbst erschaffen, was er brauchte. Richard hätte gerne gewusst, wie diese Erkenntnis ihm weiterhelfen konnte.
Als Richard vom Pferd sprang, schlug Captain Meiffert die Hand auf das Leder über seinem Herzen.
»Captain, ich brauche ein frisches Pferd. Das heißt, am besten nehme ich drei. Ich muss sofort wieder aufbrechen.« Richard presste die Finger an die Stirn und versuchte nachzudenken. »Ich möchte, dass Ihr die Männer hier zusammenpacken lasst und aufbrecht, sobald die Übrigen von der Überwachung der Abstimmung zurück sind.«
»Wohin werden wir marschieren, Lord Rahl, wenn ich fragen darf?«
»Ihr werdet mit Euren Männern wieder zu General Reibisch stoßen. Ich werde Euch nicht begleiten.«
Der Captain lief Richard hinterher, als dieser losmarschierte, um seine und Kahlans Sachen zusammenzusuchen. Dabei erteilte er mehreren seiner Leute Befehle und verlangte frische Pferde und Vorräte für Lord Rahl. Richard erklärte einem der Soldaten, er benötige die besten Reittiere für einen langen, beschwerlichen Ritt. Der Mann rannte los, um sich der Sache anzunehmen.
Der Captain wartete draußen, als Richard zum Packen in das Zelt hineinging. Er begann, Kahlans Sachen zusammenzusuchen. Als er ihr weißes Mutter-Konfessoren-Kleid aufnahm, fingen seine Hände an zu zittern, und er sank, überwältigt von seinem Kummer, auf die Knie. Allein im Zelt, betete er und flehte die Gütigen Seelen um Hilfe an, wie er dies noch nie zuvor getan hatte. Als Gegenleistung versprach er ihnen alles, was immer sie verlangten. Dann erinnerte er sich, dass er, um Kahlan heilen zu können, nichts anderes tun konnte, als die Chimären zu vertreiben, also sah er zu, dass er so schnell wie möglich fertig wurde.
Draußen warteten schon die Pferde; es war gerade hell geworden.
»Captain, ich möchte, dass Ihr mit Euren Leuten so schnell wie möglich zu General Reibisch zurückkehrt.«
»Und die Dominie Dirtch? Den Berichten über die anderischen Gardetruppen zufolge könnte es möglicherweise Ärger geben. Werden wir die Dominie Dirtch unbehelligt passieren können?«
»Nein. Den Berichten entnehme ich, dass es sich bei diesen Gardetruppen vermutlich um Soldaten der Imperialen Ordnung handelt. Außerdem nehme ich an, dass sie die Dominie Dirtch einnehmen, um Reibisch in Schach zu halten.
Von diesem Augenblick an müsst Ihr davon ausgehen, dass Ihr Euch auf feindlichem Territorium befindet. Ihr habt Befehl, zu fliehen. Sollte jemand Euch daran hindern wollen, tötet ihn und marschiert weiter. Sollte die Imperiale Ordnung, wie ich vermute, die Dominie Dirtch einnehmen, können wir uns eine daraus resultierende Schwäche zu Nutze machen – sie werden zu weit verstreut sein, um Euch starken Widerstand zu leisten.