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»Dann können wir noch hoffen«, meinte Richard.

Dalton lächelte. »Nun, ich habe noch zu tun, es sei denn, natürlich, Ihr wollt mich töten.«

Richard lächelte den Mann an.

»Eine weise Frau erzählte mir einmal, das Volk sei der willige Helfer jeder Gewaltherrschaft. Das Volk mache Menschen wie Euch erst möglich. Ich werde das Schlimmste tun, was für Euch und Euer Volk möglich ist – dasselbe, was auch mein Großvater Euch angetan hätte: Ich werde Euch den Folgen Eures eigenen Handelns überlassen.«

Ann war auf so engem Raum zusammengepfercht, dass sie Angst hatte, für den Rest ihres Lebens zum Krüppel zu werden und nie wieder laufen zu können. Die Kiste, in der sie hockte, sprang, sobald der Karren über Kopfsteinpflaster rumpelte, entsetzlich hin und her, was ihr Elend noch verschlimmerte. Sie fühlte sich, als hätte jemand sie mit einem Knüppel durchgeprügelt.

Wenn man sie nicht bald herausließ, würde sie ganz sicher den Verstand verlieren.

Wie als Antwort auf ihr Gebet wurde der Karren endlich langsamer und blieb schließlich stehen. Ann sackte selig vor Erleichterung zusammen. Sie war den Tränen nahe, da sie unablässig schmerzhaft gegen die Seiten und den Kistenboden stieß und sich nicht mit Händen oder Füßen abstützen konnte.

Sie hörte, wie sich jemand am Schließband zu schaffen machte, dann ging der Deckel auf und ließ die kühle Nachtluft herein. Ann füllte dankbar ihre Lungen und kostete sie aus wie ein duftendes Parfüm.

Die Vorderseite der Kiste klappte auf die Ladefläche des Karrens. Dort stand Schwester Alessandra und spähte hinein. Ann sah sich um, konnte aber sonst niemanden entdecken. Sie befanden sich in einer engen Seitenstraße, die größtenteils verlassen schien. Eine alte Frau ging vorüber, sah aber nicht einmal in ihre Richtung.

Ann runzelte die Stirn. »Alessandra, was wird hier gespielt?«

Schwester Alessandra faltete die Hände wie zum Gebet. »Prälatin, bitte, ich möchte ins Licht zurückkehren.«

Ann blinzelte. »Wo sind wir?«

»In der Stadt, auf die der Kaiser zumarschiert ist. Sie nennt sich Fairfield. Ich habe den Fahrer ermutigt, mich den Karren lenken zu lassen.«

»Ihn ermutigt. Wie das?«

»Mit einem Knüppel.«

Ann zog die Brauen hoch. »Verstehe.«

»Und dann – meine Orientierung ist so schlecht – wurden wir von der übrigen Kolonne getrennt und – na ja, jetzt haben wir uns wohl verfahren.«

»So ein Pech für uns.«

»Damit bleibt mir wohl nur die Wahl, nach Soldaten aus Jagangs Armee zu suchen oder ins Licht zurückzukehren.«

»Ist das dein Ernst, Alessandra?«

Die Frau sah aus, als könnte sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Ihr war nicht länger nach Scherzen zumute. »Bitte, Prälatin, werdet Ihr mir helfen?«

»Du brauchst mich nicht, Alessandra. Der Weg des Lichts führt mitten durch dein eigenes Herz.«

Schwester Alessandra kniete hinter dem Karren nieder, während Ann, Hände und Füße in Ketten, noch immer in ihrer Kiste hockte.

»Bitte, gütiger Schöpfer«, begann Alessandra.

Ann lauschte, während die Frau ihr Herz ausschüttete. Zum Schluss küsste sie ihren Ringfinger. Ann hielt den Atem an und wartete, dass ein Blitz Alessandra erschlug, weil sie es gewagt hatte, den Hüter der Unterwelt zu hintergehen.

Nichts geschah. Alessandra sah lächelnd hoch zu Ann.

»Ich kann es spüren, Prälatin. Ich spüre, wie…«

Mit einem würgenden Geräusch wurden ihr die Worte abgeschnitten, ihre Augen quollen hervor. Ann rutschte zu ihr hin. »Alessandra! Ist das Jagang? Befindet sich Jagang in deinem Verstand?«

Alessandra nickte, so gut ihr dies möglich war.

»Schwöre Richard die Treue! Schwöre sie in deinem Herzen! Das ist die einzige Möglichkeit, den Traumwandler aus deinem Verstand auszusperren!«

Schwester Alessandra fiel zu Boden und wand sich in schmerzhaften Zuckungen, dabei murmelte sie Worte, die Ann nicht verstand.

Endlich erschlaffte die Frau, erleichtert keuchend. Sie richtete sich auf und spähte in den Karren hinein.

»Es ist gelungen! Es ist gelungen, Prälatin.« Sie fasste sich an den Kopf. »Jagang ist aus meinem Verstand gewichen. Oh, gelobt sei der Schöpfer. Lobet den Schöpfer.«

»Wie wär’s, wenn du mir diese Dinger abnehmen und später weiterbeten würdest?«

Schwester Alessandra eilte ihr zu Hilfe. Kurz darauf war Ann von ihren Fesseln befreit und geheilt. Seit einer Ewigkeit zum ersten Mal, so schien es, konnte sie ihre Gabe wieder berühren.

Zu zweit spannten sie die Pferde aus und sattelten sie mit Zaumzeug aus dem Karren. Ann war seit Jahren nicht mehr so froh gewesen. Die beiden wollten die Armee der Imperialen Ordnung weit hinter sich lassen.

Als sie sich mit Kurs Richtung Norden ihren Weg durch die Stadt bahnten, stießen sie auf einen Platz voller Menschen, die alle Kerzen in den Händen hielten.

Ann beugte sich im Sattel nach vorn und fragte eine Frau, was es damit auf sich habe.

»Es ist eine Mahnwache mit Lichterkette für den Frieden«, antwortete die Frau.

Ann war sprachlos. »Eine was?«

»Eine Mahnwache mit Lichterkette für den Frieden. Wir haben uns alle hier versammelt, um den in die Stadt einmarschierenden Soldaten einen besseren Weg zu weisen, um ihnen zu zeigen, dass die Menschen hier unbedingt Frieden wollen.«

Ann setzte eine missbilligende Miene auf. »Ich an eurer Stelle würde so schnell wie möglich in Deckung gehen, denn diese Männer halten nicht viel von Frieden.«

Die Frau lächelte langmütig. »Wenn sie sehen, dass wir uns alle für den Frieden versammelt haben, werden sie es erkennen: Wir stellen eine viel zu mächtige Kraft dar, um uns von Zorn und Hass überwältigen zu lassen.«

Ann packte Schwester Alessandras Ärmel. »Machen wir, dass wir von hier verschwinden. Das wird ein Schlachtfeld werden.«

»Aber Prälatin, diese Menschen sind in Gefahr. Ihr wisst doch, was die Soldaten der Imperialen Ordnung machen werden. Die Frauen … Ihr wisst, was sie den Frauen antun werden. Und jeder Mann, der Widerstand leistet, wird abgeschlachtet werden.«

Ann nickte. »Vermutlich. Aber daran können wir nichts ändern. Sie werden ihren Frieden bekommen. Die Toten werden ihren Frieden finden. Auch die Überlebenden werden ihren Frieden bekommen – als Sklaven.«

Sie konnten den Platz gerade noch rechtzeitig hinter sich lassen. Als die Soldaten kamen, war es schlimmer, als selbst Ann sich ausgemalt hatte. Noch lange Zeit verfolgten sie die Schreie. Die Schreie der Männer und Kinder verebbten vergleichsweise schnell, die Schreie der älteren Mädchen und Frauen dagegen hatten gerade erst begonnen.

Als sie schließlich das offene Land erreichten, fragte Ann: »Ich sagte zu dir, wir müssten die Schwestern des Lichts beseitigen, die nicht zu fliehen bereit sind. Du kanntest meinen Wunsch. Hast du ihn erfüllt, bevor du mit mir zusammen geflohen bist, Schwester?«

Schwester Alessandra ritt weiter, den Blick stur nach vorn gerichtet. »Nein, Prälatin.«

»Du wusstest, dass es getan werden musste, Alessandra.«

»Ich möchte in das Licht des Schöpfers zurückkehren. Ich kann kein Leben zerstören, das Er geschaffen hat.«

»Dadurch, dass du diese wenigen nicht getötet hast, könnten viele andere ihr Leben verlieren. Das wäre genau das, was eine Schwester der Finsternis sich wünschen würde. Wie kann ich darauf vertrauen, dass du mir die Wahrheit sagst?«

»Weil ich die Schwestern nicht getötet habe. Wäre ich noch eine Schwester der Finsternis, hätte ich es getan. Ich spreche die Wahrheit.«

Wenn Schwester Alessandra tatsächlich ins Licht zurückgekehrt wäre, käme dies einem Wunder gleich. Das war noch nie zuvor geschehen. Alessandra konnte zu einer unschätzbaren Quelle für Informationen werden.

»Oder aber es beweist, dass du lügst und immer noch in der Pflicht des Hüters stehst.«

»Ich habe Euch zur Flucht verholfen, Prälatin. Warum wollt Ihr mir nicht glauben?«

Ann sah zu der Frau hinüber, während sie hinaus in die Wildnis ritten, dem Unbekannten entgegen. »Ich werde dir niemals vollends glauben oder vertrauen können, Alessandra, nicht nach all den Lügen, die du mir erzählt hast. Das ist der Fluch des Lügens, Schwester. Wer sich einmal die Krone des Lügners aufsetzt, kann sie zwar wieder herunternehmen, trotzdem bleibt für alle Zeiten ein Makel zurück.«