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Es hatte den ganzen Nachmittag gedauert, die Hühner zusammenzutreiben. Beide den bösen Seelen vorbehaltene Gebäude sowie ein drittes leerstehendes Haus waren nötig, um sämtliche Hühner unterzubringen. Fast das gesamte Dorf hatte sich an dieser wichtigen Angelegenheit beteiligt; es war eine Menge Arbeit gewesen.

Die Kinder hatten sich als unschätzbare Hilfe erwiesen. Angespornt von der Verantwortung, die eine solche, das gesamte Dorf betreffende Anstrengung mit sich brachte, hatten sie sämtliche Orte ausfindig gemacht, an denen sich Hühner versteckten und schliefen. Vorsichtshalber hatten die Jäger sämtliche Hühner eingesammelt, obwohl es ein Felsstreifenhuhn war, auf das der Vogelmann zuerst aufmerksam gemacht hatte, ein Tier derselben gestreiften Rasse wie jenes, das Richard während seines Besuchs bei Zedd verscheucht hatte, derselben Rasse wie jenes, das nach Richards Bekunden über der Tür gewartet hatte, als sie das Haus betreten hatten, um sich Juni anzusehen.

Man hatte eine ausgedehnte Suche durchgeführt und war zuversichtlich, daß jedes einzelne Huhn in einem der drei Gebäude untergebracht war.

Richard bahnte sich schnurstracks einen Weg mitten durch die Hühner und begrüßte den Vogelmann mit einem knappen Lächeln, an dem sich seine Augen nicht recht beteiligten. Als seine und Kahlans Blicke sich kreuzten, schmiegte Kahlan sich an seine muskelbepackten Arme; trotz ihrer Gereiztheit war sie froh, ihn zu berühren.

»Der Vogelmann sagt, er habe das Huhn, das du suchst, noch nicht gefunden, werde aber weiter danach suchen. Außerdem sind da noch die beiden anderen Gebäude voller Hühner. Er schlug vor, wir sollten etwas essen gehen, er wolle dann jemanden schicken, sobald er dein Huhn ausfindig gemacht hat.«

Richard wollte zur Tür. »Hier wird er es nicht finden.«

»Was soll das heißen? Woher willst du das wissen?«

»Ich muß gehen und in den beiden anderen Gebäuden nachsehen.«

Sie war lediglich gereizt, Richard dagegen schien geradezu außer sich zu sein, weil er nicht fand, was er suchte. Kahlan nahm an, er hatte das Gefühl, sein Wort stehe auf dem Spiel. Weiter hinten, in der Nähe der Tür, warteten Ann und Zedd; sie beobachteten Richard schweigend bei seiner Suche und ließen ihm die Freiheit, so lange zu suchen, wie er wollte, und zu tun, was immer er für richtig erachtete.

Richard hielt inne und fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes Haar. »Kennt jemand von euch ein Buch mit dem Titel Zwilling des Berges?«

Zedd faßte sich ans Kinn, spähte zur Unterseite des Grasdaches hinauf und versuchte gewissenhaft, sich zu erinnern. »Nicht daß ich wüßte, mein Junge.«

Eine Zeitlang schien auch Ann ihr Gedächtnis zu durchforsten. »Nein, davon habe ich noch nie gehört.«

Richard warf einen letzten Blick auf den staubigen, mit Hühnern vollgestopften Raum und fluchte leise.

Zedd kratzte sich das Ohr. »Was steht denn in diesem Buch, mein Junge?«

Falls Richard die Frage bei all dem Vogellärm mitbekommen hatte, so ließ er es sich weder anmerken, noch antwortete er darauf. »Ich muß mir die restlichen Hühner ansehen gehen.«

»Wenn es wichtig ist, könnte ich mich für dich bei Verna und Warren erkundigen.« Ann zog ein kleines, schwarzes Buch aus einer Tasche hervor, wodurch sie Richards Aufmerksamkeit auf sich lenkte. »Möglicherweise hat Warren davon gehört.«

Richard hatte Kahlan erzählt, das Buch, das Ann bei sich trug und das sie ihm jetzt hinhielt – Reisebuch genannt –, enthalte eine uralte Magie. Reisebücher existierten stets paarweise; eine in das eine hineingeschriebene Nachricht erschien gleichzeitig in seinem Gegenstück. Die Schwestern des Lichts benutzten diese kleinen Bücher, um auf langen Reisen miteinander in Verbindung zu treten, wie zum Beispiel damals, als sie in die Neue Welt gekommen waren, um Richard in den Palast der Propheten zurückzuholen.

Richard faßte sichtlich neuen Mut, als er ihren Vorschlag hörte. »Ja, bitte. Es ist wichtig.« Er wollte abermals zur Tür.

»Ich werde nach der Frau sehen, die ihr Kind verloren hat«, meinte Zedd an Ann gewandt. »Und ihr helfen, ein wenig Ruhe zu finden.«

»Richard«, rief Kahlan, »möchtest du nichts essen?«

Während sie dies fragte, gestikulierte Richard, sie solle ihn begleiten, war jedoch bereits durch die Tür und verschwunden, bevor sie die Frage ganz ausgesprochen hatte.

Zedd bekundete seine Verblüffung gegenüber den Frauen mit einem Achselzucken und folgte seinem Enkelsohn nach draußen. Murrend schickte Kahlan sich an, Richard hinterherzugehen.

»Eine Liebesheirat, das muß dir, einer Konfessor, doch wie ein wahrgewordener Kindheitstraum erscheinen«, bemerkte Ann, die wie angewurzelt an jener Stelle stehenblieb, wo sie während der letzten Stunde schon gestanden hatte.

Kahlan drehte sich zu der Frau um. »Nun ja, das stimmt ja auch.«

Ann bedachte sie mit einem Lächeln von aufrichtiger Herzlichkeit. »Ich freue mich so sehr für dich, Kind, daß dir etwas so Wundervolles vergönnt war wie ein Ehemann, den du von Herzen liebst.«

Kahlans Hand verweilte auf der Klinke der geschlossenen Tür.

»Manchmal bin ich selbst noch völlig erstaunt darüber.«

»Es ist sicherlich enttäuschend, wenn sich dein frisch angetrauter Ehemann scheinbar wichtigeren Dingen widmen muß als seiner frischgebackenen Gattin und er dich nicht zu beachten scheint.« Ann schürzte die Lippen. »Vor allem an deinem allerersten Tag als seine frischvermählte Gemahlin.«

»Aha.« Kahlan ließ die Klinke los und verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken. »Also deshalb ist Zedd gegangen. Wir sollen uns von Frau zu Frau unterhalten, hab ich recht?«

Ann lachte stillvergnügt in sich hinein. »Wie ich es liebe, wenn Männer, die ich schätze, kluge Frauen heiraten. Nichts ist bezeichnender für den Charakter eines Mannes, als wenn er sich zu Intelligenz hingezogen fühlt.«

Kahlan lehnte sich seufzend mit der Schulter an die Wand. »Ich kenne Richard, und ich weiß, er stellt meine Geduld nicht absichtlich auf die Probe … trotzdem ist heute unser erster Tag als Verheiratete. Irgendwie hatte ich mir darunter etwas anderes vorgestellt als … als diese Jagd nach eingebildeten Hühnermonstern. Ich glaube, er ist so sehr darauf bedacht, mich zu beschützen, daß er Gespenster sieht.«

Anns Tonfall wurde mitfühlend. »Richard liebt dich von ganzem Herzen. Ich weiß, er sorgt sich, auch wenn ich seine Gedankengänge nicht ganz nachvollziehen kann. Richard trägt große Verantwortung.«

Das Mitgefühl in ihrer Stimme verflog. »Wir sind alle gehalten, Opfer zu bringen, wenn es um Richard geht.«

Die beiden Frauen taten so, als beobachteten sie die Hühner.

»Genau in diesem Dorf, kurz vor dem ersten Schnee«, sagte Kahlan in vernunftgeprägtem, verständigem Tonfall, »überließ ich Richard deinen Schwestern des Lichts in der Hoffnung, ihr könntet ihm das Leben retten. Dabei war mir durchaus bewußt, daß ich dadurch unsere gemeinsame Zukunft zunichte machen konnte. Um ihn zu bewegen, die Schwestern zu begleiten, mußte ich dafür sorgen, daß er überzeugt war, ich hätte ihn verraten. Hast du überhaupt eine Vorstellung…«

Kahlan zwang sich innezuhalten, um keine schmerzhaften Erinnerungen hochkommen zu lassen. Alles hatte sich zum Guten gewendet. Sie und Richard waren endlich vereint, das allein zählte.

»Ich weiß«, meinte Ann leise. »Du brauchst mir nichts zu beweisen, doch da ich es war, die den Befehl gab, ihn zu uns zu schaffen, muß ich vielleicht dir etwas beweisen.«

Die Frau hatte zweifellos genau Kahlans wunden Punkt getroffen, trotzdem blieb sie im Tonfall höflich. »Was meinst du damit?«

»Die Zauberer aus längst vergangener Zeit schufen den Palast der Propheten. Ich habe mehr als neunhundert Jahre in diesem Palast gelebt und unter seinem ganz besonderen Bann gestanden. Dort sagte – fünfhundert Jahre vor dem eigentlichen Ereignis – der Prophet Nathan die Geburt eines Kriegszauberers voraus.

Unten in den Gewölbekellern des Palastes arbeiteten wir gemeinsam an den Büchern mit den Prophezeiungen und versuchten zu verstehen, was es mit diesem Kiesel, der noch in einen Teich geworfen werden sollte, auf sich hatte, versuchten die Wellen vorherzusehen, die dieses Ereignis schlagen würde.«