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Zedd pflichtete ihr verärgert bei und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. »Es könnte sich um tausend und ein Ding handeln, und er entscheidet sich für das eine, bloß weil er von den anderen tausend noch nie etwas gehört hat.«

Ann drohte Zedd mit dem Finger. »Die Unwissenheit dieses Jungen ist…«

»Das war eine der drei in den Grußformeln genannten Chimären«, sagte Kahlan, Ann das Wort abschneidend. »Was hat das zu bedeuten?«

Sowohl Zedd als auch Ann drehten sich um, als hätten sie ganz vergessen, daß sie immer noch bei ihnen war.

»Unwichtig«, beharrte Ann. »Der Punkt ist, daraus folgen Dinge, die unsere ganze Aufmerksamkeit verlangen, und dieser Junge vergeudet Zeit, weil er sich um die Chimären sorgt.«

»Was bedeutet dieses Wort…«

Zedd räusperte sich und warnte Kahlan, den Namen der zweiten Grußformel nicht laut auszusprechen.

Kahlan legte die Stirn in Falten und beugte sich zu dem alten Zauberer hinunter.

»Was bedeutet es?«

»Feuer«, antwortete er endlich.

9

Kahlan setzte sich auf und rieb sich die Augen, als draußen ein dumpfer Donner ertönte; es klang, als wäre das Unwetter neu entflammt. Blinzelnd versuchte sie, in dem trüben Licht etwas zu erkennen. Richard lag nicht neben ihr. Sie wußte nicht, welche nächtliche Stunde es war, allerdings waren sie spät ins Bett gekommen. Dem Gefühl nach war es mitten in der Nacht und nicht einmal annähernd Morgen. Sie entschied, Richard müsse nach draußen gegangen sein, um auszutreten.

Heftiger Regen auf dem Dach erzeugte ein Geräusch wie unter einem Wasserfall. Bei ihrem ersten Besuch hatte Richard den Schlammenschen am Beispiel des Seelenhauses erklärt, wie man Ziegeldächer herstellte, die nicht – wie ihre Grasdächer – bei Regen undicht wurden; vermutlich war dies also das trockenste Gebäude im gesamten Dorf.

Die Menschen waren von der Vorstellung nicht undicht werdender Dächer begeistert gewesen, wahrscheinlich würde es nicht allzu viele Jahre dauern, bis das gesamte Dorf von Grasdächern zu Ziegeldächern bekehrt war. Sie jedenfalls war froh über den trockenen, geschützten Ort.

Kahlan hoffte, Richard würde sich beruhigen, jetzt da sie wußten, daß Junis Tod nichts Unheilvolles in sich barg. Man hatte ihm – wie auch dem Vogelmann – gestattet, einen Blick auf jedes Huhn im Dorf zu werfen, doch keiner der beiden Männer hatte ein Huhn finden können, das keines war, geschweige denn überhaupt irgendein gefiedertes Ungeheuer. Die Angelegenheit galt als geklärt, am Morgen würden die Männer die Hühnerscharen wieder freilassen.

Zedd und Ann waren alles andere als glücklich über Richard. Falls dieser tatsächlich glaubte, bei dem brennenden Pecheinschluß handele es sich um eine Chimäre – ein Wesen aus der Unterwelt –, was in aller Schöpfung wollte er dann damit anfangen, wenn er es erst einmal mit der Hand aufgefangen hatte? Offenbar hatte Richard das nicht bedacht, sonst hätte er den Mund gehalten, um Zedd nicht noch mehr Gründe zu liefern, an seinem gesunden Menschenverstand zu zweifeln.

Wenigstens ging Zedd bei seinen langatmigen Ausführungen über einige der möglichen Ursachen für die jüngsten Ereignisse nicht allzu unbarmherzig vor. Sie glichen eher einem Vortrag als einem Vorwurf, obwohl sie auch ein wenig von letzterem enthielten.

Richard Rahl, der Herrscher des d’Haranischen Reiches, der Mann, vor dem Könige und Königinnen die Häupter neigten, der Mann, dem sich ganze Nationen ergeben hatten, stand schweigend da, während sein Großvater tadelnd, predigend und dozierend auf und ab lief, manchmal als Oberster Zauberer sprach, manchmal als Richards Großvater und manchmal als sein Freund.

Kahlan wußte, Richard schätzte Zedd viel zu sehr, um Einwände vorzubringen. Wenn Zedd enttäuscht war, dann war er es eben.

Bevor sie sich zur Nacht zurückgezogen hatten, hatte Ann ihnen erzählt, sie habe eine weitere Nachricht in ihrem Reisebuch empfangen. Verna und Warren kannten das Buch, nach dem Richard sich erkundigt hatte; es hieß Des Berges Zwilling und nicht Zwilling des Berges, wie Richard gemeint hatte. Verna schrieb, es handele sich um ein Buch mit Prophezeiungen, größtenteils jedenfalls, das sich jedoch in Jagangs Besitz befinde. Auf Nathans Anweisung hin hätten sie und Warren es zusammen mit allen anderen Büchern vernichtet, die Nathan ihnen genannt habe, bis auf das Buch der Umkehrungen und Dopplungen, das Jagang nicht besitze.

Richard hatte mürrisch gewirkt, als sie schließlich hatten zu Bett gehen können, als quälten ihn düstere Gedanken. Er war nicht in der Stimmung, sie zu lieben. Um der Wahrheit gerecht zu werden – nach diesem Tag war sie nicht einmal unglücklich darüber.

Kahlan seufzte. Dies war ihre zweite gemeinsame Nacht, und sie waren nicht in der Stimmung für Intimitäten. Wie oft hatte sie sich danach gesehnt, mit ihm zusammenzusein?

Kahlan ließ sich zurückfallen und preßte eine Hand auf ihre müden Augen. Sie wünschte, Richard würde sich beeilen und wieder ins Bett kommen, bevor sie eingeschlafen war. Sie wollte ihm wenigstens einen Kuß geben und ihm erklären, sie wisse, daß er nur tat, was er für das Beste und für richtig hielt, und sie ihn deswegen nicht für töricht halte.

Sie wollte ihm sagen, daß sie ihn liebte.

Sie drehte sich auf die Seite, wandte sich seinem nicht vorhandenen Körper zu und wartete. Ihre Lider wurden schwer, und sie mußte sich zwingen, sie offenzuhalten. Als sie eine Hand auf die Decke legte, wo er eigentlich hätte liegen sollen, bemerkte sie, daß er seine Hälfte der Decke über sie gelegt hatte. Warum sollte er so etwas tun, wenn er doch die Absicht hatte, gleich zurückzukommen?

Kahlan setzte sich auf und rieb sich abermals die Augen. Im schwachen Schein des kleinen Feuers konnte sie sehen, daß seine Kleider verschwunden waren.

Es war ein langer Tag gewesen. In der Nacht zuvor hatten sie nicht viel Schlaf abbekommen. Warum sollte er mitten in der Nacht draußen im Regen herumlaufen? Sie brauchten Schlaf. Sie mußten am Morgen aufbrechen. Sie mußten zurück nach Aydindril.

Am Morgen. Sie würden am Morgen aufbrechen. Bis dahin hatte er Zeit.

Murrend eilte sie quer durchs Zimmer zu ihren Sachen. Er war unterwegs und suchte nach irgendeiner Art von Beweis, das wußte sie. Nach irgendeinem Beweis dafür, daß er nicht töricht war.

Tastend suchte sie in ihrem Bündel herum, bis ihre Finger den kleinen laternenartigen Kerzenhalter fanden. Er besaß ein spitz zulaufendes Dach, damit er trocken blieb und auch bei Regen brannte. Sie nahm einen langen Holzsplitter von der Feuerstelle, entzündete ihn am Feuer und steckte dann die Kerze an. Danach schloß sie die kleine Tür, um zu verhindern, daß der Wind die Flamme ausblies. Halter und Kerze waren winzig und spendeten nur wenig Licht, trotzdem war es in einer pechschwarzen Nacht, draußen im Regen, besser als nichts.

Kahlan zog ihr nasses Hemd von der Stange, die Richard neben dem Feuer angebracht hatte. Das Gefühl des nassen Stoffes auf der Haut, als sie mit den Armen in die Ärmel fuhr, jagte ihr ein schmerzhaftes Schaudern durch die Schultern. Sie würde ihrem frischgebackenen Ehemann selber eine Lektion erteilen, indem sie darauf bestand, daß er wieder ins Bett kam und pflichtgetreu die Arme um sie legte, bis ihr wieder warm war. Schließlich war er schuld daran, daß sie bereits zitterte vor Kälte. Sie verzog das Gesicht, als sie die durchgeweichten Hosen über ihre nackten Beine streifte.

Nach welchem Beweis mochte er suchen? Etwa nach einem Huhn?

Als sie ihr Haar vor dem Schlafengehen am Feuer getrocknet hatte, hatte Kahlan ihn gefragt, wieso er überzeugt sei, genau dasselbe Huhn mehrmals gesehen zu haben. Richard meinte, das tote Huhn draußen vor dem Seelenhaus an jenem Morgen habe einen dunklen Fleck seitlich am Schnabel gehabt, unmittelbar unterhalb des Kamms. Er sagte, das Huhn, auf das der Vogelmann gezeigt hatte, habe denselben Flecken besessen.

Richard hatte den Zusammenhang erst später hergestellt. Er erklärte, das Huhn, das über der Tür des Zimmers lauerte, in dem Junis Leiche lag, habe denselben Flecken an der Seite seines Schnabels besessen. Er sagte, keines der Hühner in den drei Häusern habe einen solchen Flecken aufgewiesen.