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Ein Käfer hatte sich in ihrem Haar verfangen und versuchte, sich zappelnd aus dem Gewirr zu befreien. Kahlan streifte ihn mit der Hand, ohne ihn herunterzubekommen.

Plötzlich hackte etwas gegen ihren Kopf, und sie stieß einen Schrei aus. Der Käfer war verschwunden; das Huhn hatte ihn ihr vom Kopf gepickt; ihre Kopfhaut brannte nach dem kräftigen Hieb.

»Danke«, zwang sie sich zu dem Huhn zu sagen. »Vielen Dank. Ich weiß das sehr zu schätzen.«

Sie kreischte, als der Schnabel erneut zustieß und sie am Arm erwischte. Der Grund war ein Käfer. Das Huhn hatte nicht sie in den Arm gepickt, sondern einen Käfer verschlungen.

»Tut mir leid, daß ich geschrien habe«, stammelte sie, und ihre Stimme bebte. »Du hast mich erschreckt, das ist alles. Nochmals vielen Dank.«

Der Schnabel erwischte sie heftig an der Schädeloberseite, diesmal saß dort allerdings kein Käfer. Kahlan wußte nicht, ob das Huhn geglaubt hatte, dort säße ein weiteres Opfer, oder ob es sie absichtlich hatte in den Kopf picken wollen. Das Brennen war überaus unangenehm.

Sie schob ihre Hand wieder vor die Augen. »Bitte, tu das nicht. Es tut weh.«

Der Schnabel packte die Vene auf dem Rücken der vor ihren Augen liegenden Hand. Das Huhn zerrte daran, als wollte es einen Wurm aus dem Boden ziehen.

Es war ein Befehclass="underline" Sie sollte die Hand von den Augen nehmen.

Der Schnabel zupfte einmal heftig an ihrer Haut, die Bedeutung des beharrlichen Gezerres war unmißverständlich. Nimm die Hand fort, jetzt sofort, besagte es, oder es wird dir leid tun.

Niemand wußte, zu was das Huhn fähig wäre, wenn sie es verärgerte. Über ihr lag Juni, tot – und warnte sie vor dem, was möglich war.

Wenn es ihr tatsächlich die Augen auspickte, redete sie sich ein, bliebe ihr nichts anderes übrig, als es zu packen und ihm den Hals umzudrehen. Wenn sie schnell war, konnte es vielleicht nur ein einziges Mal zupicken, dann bliebe ihr wenigstens noch ein Auge. Anschließend würde sie mit ihm kämpfen müssen, jedoch nur, wenn das Huhn es auf ihre Augen abgesehen hatte.

Instinktiv wußte sie, daß ein solches Vorgehen das Törichtste, Gefährlichste wäre, was sie tun konnte. Sowohl der Vogelmann als auch Richard hatten behauptet, dies sei kein Huhn. Sie zweifelte längst nicht mehr daran, aber womöglich blieb ihr keine Wahl.

Wenn sie anfinge, käme es zu einem Kampf auf Leben und Tod. Was ihre Chancen anbetraf, gab sie sich keinen Illusionen hin. Trotzdem, vielleicht würde sie gezwungen sein, mit ihm zu kämpfen. Bis zum letzten Atemzug, wenn es sein mußte, so wie ihr Vater es ihr beigebracht hatte.

Zusammen mit der Ader packte das Huhn ein größeres Stück Haut mit dem Schnabel und drehte daran. Eine letzte Warnung.

Vorsichtig nahm Kahlan ihre Hand fort. Das Hühnerwesen gab ein leises, zufriedenes Gackern von sich.

Wieder blitzte es, doch hätte sie kein Licht gebraucht, um zu erkennen, daß das Huhn nur wenige Zoll entfernt war. So nah, daß sie seinen Atem spürte.

»Bitte tu mir nicht weh.«

Ein Donner krachte, so laut, daß es schmerzte. Das Huhn kreischte und wirbelte herum.

Da erkannte sie, daß es gar kein Donner war, sondern die Tür, die aufgestoßen wurde.

»Kahlan!« Es war Richard. »Wo steckst du?«

Sie sprang auf. »Richard! Sieh dich vor! Es ist das Huhn! Das Huhn ist hier!«

Richard versuchte es zu packen, doch das Huhn schoß zwischen seinen Beinen hindurch und zur Tür hinaus.

Kahlan wollte ihm die Arme um den Hals schlingen, doch er stieß sie zurück und riß einem der draußen stehenden Jäger den Bogen von der Schulter. Bevor der Jäger vor dem überraschenden Ausfall zurückweichen konnte, hatte Richard bereits einen Pfeil aus dem über der Schulter des Mannes hängenden Köcher gezogen. Im nächsten Augenblick war der Pfeil eingelegt und die Sehne bis zur Wange zurückgezogen.

Das Huhn flitzte wie von Sinnen durch den Schlamm, den Durchgang entlang. Die unablässigen Blitze schienen das Huhn mitten im Schritt erstarren zu lassen, jeder Blitz ließ es bei eindrucksvoller Beleuchtung sichtbar werden, und mit jedem Aufblitzen war es weiter entfernt.

Unter dem Schwirren der Bogensehne verschwand der Pfeil sirrend in der Nacht.

Kahlan hörte, wie die stahlbeschlagene Pfeilspitze mit sattem Geräusch traf.

In der gleißenden Helligkeit sah sie, wie das Huhn sich umdrehte und sie anglotzte. Der Pfeil hatte es genau in den Hinterkopf getroffen, die vordere Hälfte des Pfeils ragte zwischen seinen auseinanderklaffenden Schnabelhälften hervor.

Blut rann am Schaft entlang und tropfte von der Pfeilspitze herab. Es tröpfelte in die Pfützen und verklebte die Halsfedern des Vogels.

Der Jäger gab einen leisen Pfiff der Bewunderung über diesen Schuß von sich.

Die Nacht versank in Dunkelheit, während ein Donner rollte und dröhnte. Beim nächsten Blitz konnte man erkennen, wie das Huhn um eine Ecke flitzte.

Kahlan folgte Richard, der hinter dem fliehenden Vogel herrannte. Der Jäger reichte Richard im Laufen den nächsten Pfeil, Richard legte ihn ein, spannte die Sehne und hielt den Bogen schußbereit, als sie um eine weitere Ecke hasteten.

Alle drei bremsten ab und blieben stehen. Dort im Schlamm, mitten im Durchgang, lag der blutverschmierte Pfeil. Das Huhn war nirgendwo zu sehen.

»Richard«, keuchte Kahlan, »jetzt glaube ich dir.«

»Das dachte ich mir«, erwiderte er.

Von hinten vernahmen sie einen lauten, dumpfen Knall.

Die Köpfe um die Ecke steckend, mußten sie mit ansehen, wie das Dach des Hauses, in dem die Toten präpariert wurden, in Flammen aufging. Durch die offenstehende Tür sah Kahlan, daß der Strohfußboden in Flammen stand.

»Ich hatte eine Kerze dabei. Sie ist ins Stroh gefallen, aber dabei ist die Flamme ausgegangen«, meinte Kahlan. »Ich bin ganz sicher, sie war aus.«

»Vielleicht war es ein Blitz«, meinte Richard, während er zusah, wie die Flammen in den Himmel schlugen.

Der grelle Lichtschein ließ die umstehenden Gebäude im Spiel der Flammen schwanken und tanzen. Trotz der Entfernung konnte Kahlan die wütende Hitze auf dem Gesicht spüren. Brennendes Gras und Funken stoben wirbelnd in die Nacht.

Die Jäger, die sie beschützen sollten, tauchten aus dem Regen auf und scharten sich um sie. Der Besitzer des Pfeils reichte diesen an seine Gefährten weiter, während er ihnen leise tuschelnd erklärte, Richard mit dem Zorn habe auf die böse Seele geschossen und sie verjagt.

Zwei weitere Personen traten aus dem Schatten hinter der Ecke eines Gebäudes hervor und besahen sich die lodernden Flammen, bevor sie sich zu ihnen gesellten. Zedd, dessen widerspenstiges Haar im Widerschein des Feuers orangefarben leuchtete, streckte seine Hand aus. Einer der Jäger legte ihm den blutverschmierten Pfeil hinein, und Zedd unterzog den Pfeil einer kurzen Untersuchung, bevor er ihn an Ann weitergab. Sie rollte ihn zwischen den Fingern und seufzte, als verrate er ihr seine Geschichte und bestätige ihre Befürchtungen.

»Es handelt sich um die in den Grußformeln genannten Chimären«, sagte Richard. »Sie sind hier. Glaubst du mir jetzt?«

»Ich habe es gesehen, Zedd. Es hat gesprochen. Es hat mich angesprochen – mit dem Titel ›Mutter Konfessor‹.«

Die tanzenden Flammen spiegelten sich in seinen ernsten Augen.

»In gewisser Hinsicht hast du recht, mein Junge. Es handelt sich tatsächlich um Schwierigkeiten der übelsten Sorte, aber die in den Grußformeln genannten Chimären sind es nicht.«

»Zedd«, wiederholte Kahlan beharrlich und deutete nach hinten auf das brennende Gebäude, »ich sage dir doch, es war…«

Sie verstummte, als Zedd die Hand ausstreckte und eine gestreifte Feder aus ihrem Haar zog. Er hielt die Feder, sie langsam zwischen Daumen und Zeigefinger drehend, in die Höhe. Sie verwandelte sich vor ihren Augen in Rauch und verdampfte in die Nacht.

»Es war ein Lauer«, murmelte der Zauberer.

»Ein Lauer?« fragte Richard stirnrunzelnd. »Was in aller Welt ist ein Lauer? Und woher willst du das wissen?«

»Ann und ich haben Prüfungsbanne ausgesprochen«, erklärte der alte Zauberer. »Du hast uns den Beweis erbracht, den wir brauchten, um sicher zu sein. Der winzige Überrest von Magie auf diesem Pfeil bestätigt unseren Verdacht. Wir stecken in großen Schwierigkeiten.«