»Er wurde herbeigerufen von denen, die dem Hüter verpflichtet sind«, meinte Ann. »Von denen, die imstande sind, Subtraktive Magie zu benutzen: den Schwestern der Finsternis.«
»Jagang«, meinte Richard leise. »Er hat Schwestern der Finsternis in seiner Gewalt.«
Ann nickte. »Das letzte Mal schickte Jagang einen Zauberer als gedungenen Mörder, du hast allerdings überlebt. Jetzt schickt er dir etwas weitaus Tödlicheres.«
Zedd legte Richard eine Hand auf die Schulter. »Deine Beharrlichkeit war richtig, nicht aber deine Schlußfolgerung. Ann und ich sind zuversichtlich, daß wir den Zauber zerlegen können, der ihn hergeführt hat. Versuch dir keine Sorgen zu machen. Wir werden uns darum kümmern und eine Lösung finden.«
»Du hast immer noch nicht erklärt, was dieses Wesen, dieser Lauer, ist. Was bezweckt er? Weswegen hat man ihn hergeschickt?«
Ann warf Zedd einen Blick zu, bevor sie sprach. »Er wird aus der Unterwelt heraufbeschworen«, erklärte sie. »Mittels Subtraktiver Magie. Er hat die Aufgabe, die Magie in dieser Welt zu stören.«
»Genau wie die Chimären aus den Grußformeln«, flüsterte Kahlan erschrocken.
»Es ist ernst«, gab Zedd ihr recht, »aber nicht zu vergleichen mit den Chimären. Ann und ich sind wohl kaum Neulinge und selber auch nicht ganz ohne Möglichkeiten.
Dank Richard ist der Lauer fürs erste wieder verschwunden. Wenn man ihn bloßstellt und erkennt, um was es sich handelt, kehrt er so schnell nicht wieder zurück. Geht und schlaft ein wenig. Jagang ist ungeschickt vorgegangen, und sein Lauer hat sich verraten, bevor er größeren Schaden anrichten konnte.«
Richard sah über seine Schulter in das prasselnde Feuer, als dächte er über etwas nach. »Aber wie sollte Jagang…«
»Ann und ich brauchen ein wenig Ruhe, um genau klären zu können, was Jagang getan hat und wie wir dem begegnen können. Die Sache ist verwickelt. Laßt uns tun, was wir tun müssen.«
Schließlich legte Richard aufmunternd einen Arm um Kahlans Hüfte, zog sie an sich und nickte seinem Großvater zu. Im Vorübergehen griff Richard in einer freundlichen Geste nach Zedds Schulter, bevor er Kahlan zum Seelenhaus begleitete.
11
Sie wurde wach, als Richard aus dem Schlaf hochfuhr. Kahlan, den Rücken an ihn geschmiegt, strich sich das Haar aus den Augen und versuchte, rasch ihre Sinne zu sammeln. Richard setzte sich auf und hinterließ ein kaltes Nichts, wo eben noch ein warmes Etwas gewesen war. Jemand klopfte beharrlich an die Tür.
»Lord Rahl«, war eine gedämpfte Stimme zu vernehmen. »Lord Rahl.«
Es war kein Traum gewesen. Cara hämmerte gegen die Tür. Richard schlüpfte auf einem Bein hüpfend in seine Hosen und eilte zur Tür, um zu öffnen.
Tageslicht flutete in den Raum. »Was gibt’s, Cara?«
»Die Heilerin schickt mich, Euch zu holen. Zedd und Ann sind krank. Ich konnte ihre Worte nicht verstehen, wußte aber, daß ich Euch holen soll.«
Richard griff nach seinen Stiefeln. »Wie krank?«
»Nach dem Verhalten der Heilerin zu schließen, ist es, glaube ich, nichts Ernstes, aber ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus. Ich dachte, Ihr würdet Euch vielleicht selbst ein Bild machen wollen.«
»Selbstverständlich. Wir sind sofort draußen.«
Kahlan war bereits damit beschäftigt, ihre Kleider überzustreifen. Sie waren noch feucht, aber wenigstens nicht mehr tropfnaß.
»Was meinst du, um was könnte es sich handeln?«
Richard streifte sein ärmelloses Unterhemd über. »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
Die übrigen Teile seines Anzugs außer acht lassend, schnallte er seinen breiten Gürtel mit den golddurchwirkten Taschen um und machte sich auf den Weg zur Tür; die darin enthaltenen Dinge ließ er niemals unbeaufsichtigt zurück. Mit einem kurzen Blick nach hinten vergewisserte er sich, daß Kahlan ihm folgte. Sie war damit beschäftigt, hüpfend, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, ihre hart gewordenen Stiefel überzuziehen.
»Was ich meinte, war, glaubst du, es könnte an der Magie liegen? Ist damit vielleicht etwas nicht in Ordnung? Wegen dieser Geschichte mit dem Lauer?«
»Wir sollten uns nicht voreilig irgendwelche Ängste einreden. Wir werden es noch früh genug erfahren.«
Als sie zur Tür hinauseilten, paßte Cara sich ihren schnellen Schritten an. Der Morgen war stürmisch und naß, und es fiel ein dichter Nieselregen; bleierne Wolken verhießen einen erbärmlichen Tag. Wenigstens regnete es nicht in Strömen.
Caras langer blonder Zopf sah aus, als hätte sie ihn die ganze Nacht über im nassen Zustand geflochten gelassen. Schwer und schlaff hing er herab, trotzdem war Kahlan fest davon überzeugt, daß er besser aussah als ihre verfilzten Locken.
Caras roter Lederanzug dagegen wirkte frisch gesäubert.
Die Mord-Sith waren stolz auf ihre rote Lederkleidung. Einer roten Fahne gleich verkündete er allen die Anwesenheit einer Mord-Sith. Mit Worten hätte sich die Gefahr kaum so wirkungsvoll vermitteln lassen. Wie das Wasser daran abperlte, war das geschmeidige Leder offensichtlich mit Ölen oder Wollfett behandelt worden. Eng, wie der Anzug saß, stellte Kahlan sich stets vor, daß Mord-Sith sich nicht im eigentlichen Sinn auszogen, sondern vielmehr ihre rote Lederhaut abstießen.
Während sie einen Durchgang entlangeilten, bedachte Cara sie mit vorwurfsvollen Blicken. »Ihr beide hattet vergangene Nacht ein Abenteuer.«
Cara war, wie man unschwer an der Spannung ihrer Kiefermuskeln erkennen konnte, alles andere als erfreut, daß man sie hatte weiterschlafen lassen, während die beiden wie hilflose Kitze losgezogen waren, als wollten sie unbedingt herausfinden, ob sie sich auch ohne vernünftigen Grund ernsthaft in Gefahr bringen konnten.
»Ich habe das Huhn gefunden, das keines ist«, erklärte Kahlan.
Sie und Richard hatten sich im Dunkeln durch Schlamm und Regen erschöpft zum Seelenhaus zurückgeschleppt und nur kurz darüber gesprochen. Auf ihre Frage hin hatte er erklärt, er sei auf der Suche nach diesem Hühnertier gewesen, als er plötzlich ihre Stimme aus dem Gebäude gehört habe, in dem Junis Leiche lag. Sie hatte erwartet, er würde eine Bemerkung über ihr mangelndes Vertrauen fallenlassen, doch die hatte er sich verkniffen.
Sie erklärte ihm, es tue ihr leid, ihm einen harten Tag beschert zu haben, weil sie ihm nicht geglaubt hatte. Er erwiderte nur, er danke den Guten Seelen, daß sie über sie gewacht hätten. Dann nahm er sie in den Arm und gab ihr einen Kuß auf den Scheitel. Irgendwie konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, daß ihr wohler gewesen wäre, hätte er ihr Vorwürfe gemacht.
Todmüde waren sie unter ihre Decken gekrochen. Trotz ihrer Müdigkeit war Kahlan überzeugt, die beängstigenden Erinnerungen an das fleischgewordene Böse, die sie angesichts des Hühnertieres beschlichen, würden sie den Rest der Nacht wach halten. Richards wärmender und beruhigender Hand auf ihrer Schulter hatte sie es zu verdanken, daß sie bereits wenige Augenblicke später eingeschlafen war.
»Mir hat immer noch niemand erklärt, woran Ihr feststellen könnt, daß dieses Huhn in Wahrheit keines ist«, beschwerte sich Cara, als sie um eine Ecke bogen.
»Ich kann es auch nicht erklären«, meinte Richard. »Irgend etwas stimmte nicht daran. Ein Gefühl. Die Haare haben sich mir im Nacken gesträubt, sobald es in der Nähe war.«
»Wärt Ihr dabeigewesen«, meinte Kahlan, »würdet Ihr verstehen. Als es mich ansah, konnte ich das Böse in seinen Augen sehen.«
Cara bekundete ihre Skepsis durch ein Brummen. »Vielleicht mußte es ein Ei legen.«
»Es hat mich mit meinem Titel angesprochen.«
»Aha. Das hätte mich allerdings auch hellhörig gemacht.« Caras Tonfall wurde ernster, wenn nicht gar besorgt. »Hat es Euch wirklich ›Mutter Konfessor‹ genannt?«
Kahlan nickte, als sie die aufrichtige Besorgnis in Caras Gesicht sah. »Um die Wahrheit zu sagen, es wollte gerade ansetzen, kam aber nur bis zu dem Wort ›Mutter‹. Ich habe nicht höflich abgewartet, um mir auch noch den Rest anzuhören.«