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Als die drei im Gänsemarsch zur Tür hereinkamen, erhob Nissel sich von dem Wildlederfell auf dem Fußboden vor der kleinen Feuerstelle. Sie war gerade damit beschäftigt, über dem kleinen Feuer einen Topf mit würzigen Kräutern zu erhitzen. Ein Stoß Tavafladen lag dicht neben der Feuerstelle zum Warmhalten auf einem Regal. Sie setzte das verhaltene, ihr eigene Lächeln auf, das zu besagen schien: Da ist etwas, das nur ich weiß.

»Guten Morgen, Mutter Konfessor. Hast du gut geschlafen?«

»Ja, vielen Dank. Was ist mit Zedd und Ann, Nissel?«

Nissels Lächeln erlosch, als sie zu dem schweren Fell hinüberblickte, das vor der Tür zum Hinterzimmer hing. »Ich weiß es nicht genau.«

»Also, was fehlt ihnen denn nun?« verlangte Richard zu wissen, nachdem Kahlan übersetzt hatte. »Woran sind sie erkrankt? An einem Fieber? Am Magen? Am Kopf? Was denn nun?« Er warf die Arme in die Höhe. »Ist ihnen der Kopf von den Schultern gefallen?«

Nissel sah Richard in die Augen, während Kahlan seine Fragen übersetzte. Ihr eigenartiges Lächeln kehrte zurück. »Er ist sehr ungeduldig, dein frischgebackener Ehemann.«

»Er ist um seinen Großvater besorgt. Er empfindet große Zuneigung für seinen älteren Anverwandten. Hast du eine Idee, was mit ihnen nicht in Ordnung sein könnte?«

Nissel drehte sich kurz um und rührte im Topf. Die alte Heilerin hatte manchmal etwas Merkwürdiges, sogar Verwirrendes an sich, zum Beispiel ihre Art, bei der Arbeit vor sich hin zu murmeln oder jemanden zur Ablenkung Steine auf dem Bauch balancieren zu lassen, wenn sie eine Wunde vernähte. Doch Kahlan wußte auch, daß sie über einen scharfen Verstand verfügte und ihr in dem, was sie tat, praktisch niemand das Wasser reichen konnte. In dieser gebeugten alten Frau verbarg sich ein langes Leben voller Erfahrungen und ein unermeßliches Wissen.

Nissel raffte ihren schlichten Schal mit einer Hand zusammen und ging schließlich vor der Huldigung in die Hocke, die noch immer in den Staub in der Mitte des Fußbodens gezeichnet war. Sie streckte eine Hand vor und zeichnete mit gekrümmtem Finger eine der geraden Linien nach, die strahlenförmig von der Mitte ausgingen – der Linie, die die Magie darstellte.

»Das hier, glaube ich.«

Kahlan und Richard wechselten einen besorgten Blick.

»Wahrscheinlich würdet Ihr es erheblich schneller herausfinden«, warf Cara ein, »wenn Ihr hineingehen und selber nachsehen würdet.«

Richard schickte einen zornigen Blick in Caras Richtung. »Wir wollten wissen, was uns erwartet, wenn Ihr nichts dagegen habt.«

Kahlans Anspannung löste sich ein wenig. Cara würde sich ihnen gegenüber in einer so wichtigen Angelegenheit niemals respektlos verhalten, wenn sie tatsächlich der Ansicht wäre, hinter jenem Fellvorhang spielte sich ein Kampf auf Leben und Tod ab. Allerdings wußte Cara nicht viel über Magie, außer daß sie sie nicht mochte.

Sie fürchtete sich davor, genau wie die grimmigen d’Haranischen Soldaten. Ein ums andere Mal wiederholten sie die Beschwörungsformel, sie seien der Stahl gegen den Stahl, wohingegen Lord Rahl die Magie gegen die Magie sein müsse. Es war Teil jener Bande, über die die Bevölkerung D’Haras ihrem Lord Rahl verpflichtet war: sie beschützten ihn, und er beschützte sie. Fast schien es, als hielten sie es für ihre Pflicht, seinen Körper zu beschützen, damit er im Gegenzug ihre Seelen beschützen konnte.

Das Paradoxe daran war, die einzigartigen Bande zwischen den MordSith und ihrem Lord Rahl waren eine wechselseitige Beziehung, die dem Strafer – jenem grauenerregenden Folterwerkzeug, das eine Mord-Sith am Handgelenk trug – seine Kraft verlieh und, wichtiger noch, die die MordSith aufgrund ihrer uralten Verbindung zu Lord Rahl befähigte, die Magie eines mit der Gabe Gesegneten zu rauben. Vor ihrer Befreiung durch Richard war es nicht nur Aufgabe der Mord-Sith gewesen, ihren Lord Rahl zu beschützen, sondern auch seine Feinde, die über Magie verfügten, zu Tode zu foltern und ihnen dabei sämtliche Informationen zu entreißen, die sie besaßen.

Von der Magie eines Konfessors abgesehen, gab es keine Magie, die imstande gewesen wäre, sich der Fähigkeit der Mord-Sith, sich ihrer zu bemächtigen, zu widersetzen. So groß die Angst der Mord-Sith vor Magie auch war, wer Magie besaß, hatte von den Mord-Sith weit Schlimmeres zu befürchten. Andererseits bekam Kahlan stets zu hören, daß Schlangen sich mehr vor ihr fürchteten als sie vor ihnen.

Cara verschränkte die Hände hinter dem Rücken, stemmte die Füße fest in den Boden und nahm ihren Posten ein. Kahlan duckte sich unter der Tür hindurch, als Richard den Fellvorhang für sie zur Seite hielt.

Der dahinterliegende fensterlose Raum wurde von Kerzen erleuchtet; der Fußboden war übersät mit magischen Zeichen. Kahlan wußte, dies waren keine Übungszeichen wie die Huldigung im Vorraum, diese hier waren mit Blut gezeichnet.

Kahlan faßte Richard am Ellenbogen. »Sieh dich vor. Tritt nicht auf sie.« Mit der anderen Hand deutete sie auf die Zeichen auf dem Fußboden. »Sie sollen die Unaufmerksamen verleiten und sie in eine Falle locken.«

Richard nickte und trat, sich durch den Irrgarten aus geistigen Sinnbildern tastend, tiefer in den Raum. Zedd und Ann lagen Kopf an Kopf an der gegenüberliegenden Wand auf mit Stroh ausgestopften Lagerstätten. Die beiden waren bis zum Kinn in grobe Wolldecken gehüllt.

»Zedd«, flüsterte Richard, während er sich auf ein Knie hinabbeugte, »bist du wach?«

Kahlan kniete neben Richard nieder und ergriff seine Hand. Sie hockten sich auf die Fersen. Als Ann daraufhin blinzelnd die Augen öffnete und aufsah, ergriff Kahlan auch ihre Hand. Zedd runzelte die Stirn, als bereitete es ihm bereits Schmerzen, seine Augen dem sanften Schein der Kerzen auszusetzen.

»Da bist du ja endlich, Richard. Gut. Wir müssen miteinander reden.«

»Was ist denn los? Bist du krank? Wie können wir euch helfen?«

Zedds welliges Haar sah noch ungepflegter aus als sonst. Seine Falten waren in dem trüben Licht nicht deutlich zu erkennen, trotzdem wirkte er in diesem Augenblick wie ein sehr alter Mann.

»Ann und ich … fühlen uns bloß ein wenig erschöpft, das ist alles. Wir haben…«

Er zog eine Hand unter der Decke hervor und deutete auf den über den Fußboden verteilten Irrgarten aus Sinnbildern. Caras Lederanzug saß enger als die Haut, die über seinen Knochen spannte.

»Entweder du erklärst es ihm«, sagte Ann in die sich ziehende Stille hinein, »oder ich tue es.«

»Es mir erklären, was denn? Was ist passiert?«

Zedd stützte seine knochendürre Hand auf Richards muskulösen Oberschenkel und holte ein paarmal mühsam Luft.

»Erinnerst du dich noch an unser Gespräch? Unser Gespräch, was geschehen würde … sollte die Magie nachlassen?«

»Selbstverständlich.«

»Es hat angefangen.«

Richards Augen weiteten sich. »Dann sind es also doch die Chimären aus den Grußformeln.«

»Nein«, widersprach Ann. »Sondern die Schwestern der Finsternis.« Sie wischte sich den Schweiß aus den Augen. »Sie haben einen Bann heraufbeschworen, um dieses … dieses Hühnertier…«

»Den Lauer«, half Zedd ihr weiter. »Mit der Herbeirufung des Lauer haben sie, absichtlich oder unabsichtlich, eine entscheidende Entartung der Magie ausgelöst.«

»Unabsichtlich bestimmt nicht«, meinte Richard. »Das war ohne Zweifel beabsichtigt, zumindest von Jagang. Und die Schwestern der Finsternis tun, was er verlangt.«

Zedd nickte und erlaubte seinen Augen, sich zu schließen. »Du hast ganz sicher recht, mein Junge.«

»Dann hast du es also nicht verhindern können?« fragte Kahlan. »Nach deinen Worten klang es, als wärst du imstande, dem entgegenzuwirken.«

»Die Prüfungsnetze, die wir ausgeworfen haben, sind uns teuer zu stehen gekommen.« Ann klang ebenso verbittert, wie Kahlan es an ihrer Stelle gewesen wäre.