Zedd hob seinen Arm und ließ ihn dann kraftlos wieder sinken, so daß er abermals auf Richards Oberschenkel zu liegen kam. »Weil wir sind, wer wir sind, weil wir über mehr Macht und größere Fähigkeiten verfügen als andere, trifft der Makel dieser Entartung uns zuerst.«
Kahlan runzelte die Stirn. »Du sagtest, er würde zuerst bei den Schwächsten einsetzen.«
Ann wälzte nur den Kopf von einer Seite auf die andere.
»Wieso wirkt sie sich nicht auf uns aus?« fragte Richard. »Aufgrund ihrer Konfessorenkraft verfügt Kahlan über eine Menge Magie. Und ich habe die Gabe.«
Zedd winkte ermattet ab. »Nein, nein. So funktioniert das nicht. Es beginnt bei uns, bei mir noch eher als bei Ann.«
»Führe sie nicht in die Irre«, wandte Ann ein. »Dafür ist die Angelegenheit zu wichtig.« Ihre Stimme wurde ein wenig kräftiger, als sie fortfuhr. »Kahlans Kraft wird bald versiegen, Richard. Genau wie deine, obwohl du nicht so sehr auf sie angewiesen bist wie wir, daher wird es für dich keine so große Rolle spielen.«
»Kahlan wird ihre Konfessorenkraft verlieren«, bestätigte Zedd, »genau wie jeder andere, der über Magie verfügt. Wie jedes magische Wesen. Sie wird schutzlos sein und beschützt werden müssen.«
»Von schutzlos kann wohl kaum die Rede sein«, wandte Kahlan ein.
»Aber es muß doch eine Möglichkeit geben, dem entgegenzuwirken. Gestern abend hast du gesagt, du selber seist auch nicht ganz ohne Möglichkeiten.« Richard ballte die Faust. »Du hast gesagt, du könntest dem entgegenwirken. Du mußt doch irgend etwas tun können!«
Ann hob einen Arm und versetzte Zedd einen schwachen Klaps auf den Kopf. »Würdest du es ihm bitte erklären, alter Mann? Bevor der Junge wegen dir noch eine Herzattacke bekommt und er uns überhaupt keine Hilfe mehr ist.«
Richard beugte sich vor. »Kann ich helfen? Was kann ich tun? Sagt mir, was, und ich tue es.«
Zedd brachte ein mattes Lächeln zustande. »Ich konnte immer auf dich zählen, Richard. Immer.«
»Was können wir denn tun?« fragte dann auch Kahlan. »Ihr könnt euch auf uns beide verlassen.«
»Seht ihr, wir wissen zwar, was zu tun ist, können es aber nicht allein bewerkstelligen.«
»Dann helfen wir euch eben«, beharrte Richard. »Was benötigt ihr?«
Zedd hatte Mühe, Luft zu bekommen. »In der Burg.«
Kahlan spürte, wie plötzlich Hoffnung aufkam. Die Sliph würde ihnen eine wochenlange Reise über Land ersparen. Durch die Sliph vermochten sie und Richard die Burg in weniger als einem Tag zu erreichen.
Zedd wirkte fast leblos, als sein Atem pfeifend entwich. Verzweifelt nahm Richard seine Schläfen zwischen Daumen und Zeigefinger und preßte dagegen, bis er wieder tief durchatmete. Schließlich ließ er die Hand auf Zedds Schulter sinken und rüttelte ihn leicht.
»Zedd? Was können wir tun, um zu helfen? Welche Bewandtnis hat es mit der Burg der Zauberer? Was befindet sich dort in der Burg, Zedd?«
Zedd bewegte die Zunge, um seinen Gaumen zu benetzen.
»Wasser.«
Kahlan legte Richard eine Hand auf die Schulter, fast so, als wollte sie verhindern, daß er aufsprang und sich an der Decke stieß. »Ich gehe es holen.«
An der Tür stieß sie mit Nissel zusammen, doch statt des Wassers, das Kahlan verlangt hatte, reichte sie ihr eine Tasse mit einer warmen Flüssigkeit. »Gib ihm das. Ich bin soeben damit fertig geworden. Es ist besser als Wasser, das wird ihm Kraft geben.«
»Danke, Nissel.«
Kahlan beeilte sich, Zedd die Tasse an die Lippen zu setzen, und er stürzte ein paar Schlucke hinunter. Danach hielt Kahlan auch Ann die Tasse hin, die sie zügig leerte. Über Kahlans Schulter gebeugt, reichte Nissel ihr ein Stück Tavabrot, das mit einer Art Honig bestrichen schien, der einen leichten Minzgeruch verströmte, so als sei er mit einem Heilmittel versetzt. Nissel flüsterte Kahlan zu, sie solle die beiden dazu bewegen, ein wenig davon zu essen.
»Hier, Zedd«, sagte sie, »iß ein Stück Tavabrot mit Honig.«
Mit hochgehaltener Hand verwehrte Zedd der dargebotenen Speise den Weg in seinen Mund. »Vielleicht später.«
Kahlan und Richard sahen sich aus den Augenwinkeln an. Es war so gut wie nie vorgekommen, daß Zedd die Nahrungsaufnahme verweigert hatte. Offenbar bezog Cara ihren Glauben, es sei nichts Ernstes, von der durch nichts aus der Ruhe zu bringenden Nissel; die alte Heilerin behielt angesichts des Zustandes der beiden auf dem Boden Liegenden die Ruhe, Richards und Kahlans Besorgnis dagegen wurde mit jedem Augenblick größer.
»Zedd«, drängte Richard erneut, »was hat es mit der Burg auf sich?«
Zedd schlug die Augen auf. Kahlan fand, sie wirkten ein wenig strahlender, die haselnußbraune Farbe ein wenig klarer, weniger trübe. Matt ergriff er Richards Handgelenk.
»Ich glaube, der Tee hilft. Noch etwas.«
Kahlan wandte sich um zu der alten Frau. »Er sagt, der Tee hilft. Er möchte noch etwas.«
Nissel legte den Kopf in den Nacken und schnitt ein Gesicht. »Selbstverständlich hilft er. Weshalb, glaubt er, habe ich ihn wohl aufgesetzt?«
Sie schüttelte den Kopf über soviel Torheit und schlurfte in den Vorraum, um noch Tee zu holen. Kahlan war überzeugt, sich nicht bloß einzubilden, daß Zedd ein winziges bißchen munterer wirkte.
»Hör genau zu, mein Junge.« Er hob den Finger, um seine Worte zu unterstreichen. »In der Burg gibt es einen Bann von großer Kraft, eine Art auf Flaschen gezogenes Gegenmittel gegen die Vergiftung, die die Welt des Lebendigen durchzieht.«
»Und das benötigst du?« riet Richard.
Ann schien der Tee ebenfalls geholfen zu haben. »Wir haben versucht, Gegenbanne zu bewirken, aber unsere Kraft hat bereits zu sehr nachgelassen. Es ist uns nicht gelungen, etwas herauszufinden, und plötzlich war es zu spät.«
»Der flüchtige Bann aus der Flasche wird jedoch genau dieselbe Wirkung auf die Vergiftung haben wie die Vergiftung auf uns«, meinte Zedd schleppend.
»Und auf diese Weise die Kräfte ausgleichen, damit ihr einen Gegenbann bewirken und sie aufheben könnt«, beendete Richard den Satz hastig, voller Ungeduld.
»So ist es«, erwiderten Zedd und Ann wie aus einem Mund.
Kahlan lächelte, als könnte sie es kaum erwarten. »Dann ist es also kein Problem. Das Fläschchen können wir euch besorgen.«
Richard grinste voller Eifer. »Wir werden durch die Sliph zur Burg gelangen. Dann können wir diesen von dir auf ein Fläschchen gezogenen Bann beschaffen und fast ohne Zeitverlust wieder zurückkehren.«
Ann schlug sich die Hand vor die Augen und murmelte leise einen Fluch. »Zedd, hast du diesem Jungen eigentlich überhaupt nichts beigebracht?«
Richards Grinsen verschwand. »Wieso? Was ist daran verkehrt?«
Nissel kam hereingeschlurft, zwei Tontassen mit Tee in der Hand.
Eine reichte sie Kahlan, die andere Richard. »Zwingt sie, alles auszutrinken.«
»Nissel sagt, ihr müßt dies ganz austrinken«, erklärte Kahlan.
Ann nippte daran, als Kahlan ihr die Tasse an die Lippen hielt. Zedd rümpfte die Nase, mußte aber schließlich anfangen zu schlucken, als Richard seinem Großvater den Tee kurzerhand einflößte. Entweder mußte er stockend und prustend alles hinunterschlucken, oder er würde daran ersticken.
»So, und wo liegt nun die Schwierigkeit, daß wir diesen Bann aus der Burg beschaffen?« fragte Richard, als sein Großvater wieder zu Atem gekommen war.
»Zuallererst einmal«, erklärte Zedd betont langsam, »braucht ihr es nicht hierherzubringen. Du mußt das Fläschchen nur zerbrechen, dann wird der Bann freigesetzt. Er muß nicht in irgendeine Richtung gelenkt werden – er ist bereits erschaffen.«
Richard nickte. »Ein Fläschchen zerbrechen kann ich, also werde ich genau das tun.«
»Hör zu. Der Bann befindet sich in einem Fläschchen, das zum Schutz der darin enthaltenen Magie entworfen wurde. Der Bann wird nur dann freigesetzt, wenn es auf die richtige Weise zerbrochen wird – mit einem Gegenstand, der die richtige Magie enthält. Wenn nicht, verdampft er wirkungslos.«