Zedd brachte ein leises, stillvergnügtes Lachen zustande. »Dann hast du also doch zugehört, als du noch klein warst.«
»Immer.«
»Dann hör auch jetzt zu.« Abermals löste sich der astdürre Finger aus seiner erschlafften Faust. »Du darfst kein Feuer machen. Möglicherweise ist der Lauer in der Lage, dich über Feuer aufzuspüren.«
»Wie das?«
»Wir nehmen an, daß der Bann mit Hilfe des Feuerscheins suchen kann. Er wurde auf dich angesetzt, also vermag er mit Hilfe von Feuer nach dir zu suchen. Halte dich von Feuer fern. Und von Wasser ebenfalls. Wenn du einen Fluß durchwaten mußt, benutze, wenn irgend möglich, eine Brücke, selbst wenn dich das zu einem Umweg von mehreren Tagen zwingt. Überquere Flüsse auf einem Baumstamm, schwinge dich an einem Seil hinüber oder springe, wenn du kannst.«
»Soll das heißen, wir riskieren wie Juni zu enden, wenn wir uns in die Nähe von Wasser begeben?«
Zedd nickte. »Tut mir leid, dir die Sache dadurch zu erschweren, aber die Angelegenheit ist gefährlich. Der Lauer hat es auf dich abgesehen. Du bist nur dann sicher – wir alle sind nur dann sicher –, wenn es dir gelingt, die Burg zu erreichen und dieses Fläschchen zu zerbrechen, bevor der Lauer dich aufspürt.«
Richard lächelte, nach wie vor frohen Mutes. »Wir werden Zeit sparen – wenn wir weder Feuerholz sammeln noch uns waschen müssen.«
Wiederum entfuhr Zedd ein stillvergnügtes Lachen. »Eine sichere Reise, Richard. Dir auch, Cara. Paß gut auf Richard auf.« Er griff mit seinen astdürren Fingern nach Kahlans Hand. »Und dir ebenfalls, meine frischgebackene Enkeltochter. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Paßt auf euch auf und bleibt gesund. Ich werde euch aufsuchen, sobald wir in Aydindril eintreffen, dann werden wir uns abermals an unserer Gesellschaft erfreuen. Wartet in der Burg auf uns.«
Kahlan ergriff seine knochigen Finger mit beiden Händen und mußte ihre Tränen unterdrücken. »Ganz bestimmt. Wir werden dort sein und auf euch warten. Dann werden wir wieder zusammen sein wie eine Familie.«
»Eine sichere Reise, euch allen«, sagte Ann. »Mögen die Guten Seelen stets mit euch sein. Unser Glaube und unsere Gebete werden ebenfalls mit euch sein.«
Richard bedankte sich mit einem Nicken und wollte aufstehen, hielt dann aber inne. Er schien einen Augenblick lang über etwas nachzudenken, schließlich sprach er mit leiser Stimme.
»Zedd, während all der Jahre, in denen ich heranwuchs, hatte ich keine Ahnung, daß du mein Großvater bist. Ich weiß, du hast es getan, um mich zu schützen, aber … ich hatte wirklich keine Ahnung.« Er spielte mit einem Grashalm, der aus dem Strohlager hervorschaute. »Ich hatte nie Gelegenheit, etwas über die Mutter meiner Mutter zu erfahren. Sie sprach so gut wie nie von ihrer Mutter – höchstens hier und da mal ein Wort. Ich habe nie etwas über meine Großmutter erfahren. Deine Frau.«
Zedd wandte das Gesicht ab, als eine Träne über seine Wange rollte. Er räusperte sich. »Erilyn war … eine wundervolle Frau. Ich hatte früher eine wundervolle Frau, ganz so wie du jetzt. Erilyn wurde vom Feind gefangengenommen, von einem Quadron, das dein eigener Großvater, Panis Rahl, ausgesandt hatte, als deine Mutter noch sehr jung war. Deine Mutter mußte alles mit ansehen – was sie ihrer Mutter antaten. Erilyn überlebte gerade so lange, daß ich sie finden konnte. Die Dinge, die sie mit ansehen mußte, sind schuld daran, daß deine Mutter es so schmerzlich fand, von Erilyn zu sprechen.«
Nach einem Augenblick der Verlegenheit drehte Zedd sich wieder zu ihnen um und lächelte aus aufrichtiger Freude über seine Erinnerung. »Sie war wunderschön mit ihren grauen Augen, genau wie deine Mutter, wie du. Sie war ebenso klug wie du, und sie lachte gerne. Das solltest du wissen: Sie hat gern gelacht.«
Richard lächelte. Er räusperte sich, um seine Stimme wiederzufinden.
»Dann hat sie zweifellos den Richtigen geheiratet.« Zedd nickte. »Das hat sie. Und jetzt such deine Sachen zusammen und mach dich auf den Weg nach Aydindril, damit wir unsere Magie wieder in Ordnung bringen können. Wenn wir in Aydindril dann endlich zu dir stoßen, werde ich dir alles über Erilyn – deine Großmutter – erzählen, wozu ich bislang nie Gelegenheit hatte.« Er setzte sein Großvaterlächeln auf. »Wir werden über unsere Familie sprechen.«
12
»Schnapp! Hier, Junge! Schnipp-Schnapp!«
Die Männer grölten, die Frauen kicherten. Snip wünschte sich, sein Gesicht würde nicht jedesmal so rot werden wie sein Haar, wenn Meister Drummond ihn mit diesem Spitznamen aufzog. Er ließ die Scheuerbürste im verkrusteten Kessel liegen und eilte herbei, um zu sehen, was der Küchenmeister wollte.
Als er um einen der langen Tische herumstürmte, stieß er mit dem Ellenbogen gegen einen Krug, den jemand dort nahe der Kante abgestellt hatte. Er fing das schwere, kobaltblaue Gefäß gerade noch rechtzeitig auf, bevor es zu Boden fallen konnte. Erleichtert aufatmend schob er es hinten neben den Stapel mit zu Zöpfen geflochtenen Broten.
Er hörte, wie sein Name abermals gerufen wurde.
Snip blieb ruckartig vor Meister Drummond stehen und senkte die Augen – er wollte weder eine Kopfnuß noch den Eindruck erwecken, er sei ein Spaßverderber.
»Ja, Meister Drummond?«
Der stattliche Küchenmeister wischte sich die Hände an einem weißen Handtuch ab, das er stets hinter dem Gürtel stecken hatte. »Snip, du bist mit Sicherheit der tolpatschigste Küchenjunge, der mir je unter die Augen gekommen ist.«
Meister Drummond stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte zum hinteren Fenster hinaus. Ein ganzes Stück hinter Snip fluchte jemand, als er sich an einem heißen Topf verbrannte und im Zurückweichen Metallgeschirr auf den Ziegelboden neben dem Backofen warf. Da kein ärgerliches Gezeter folgte, wußte Snip, daß es keiner der anderen hakenischen Küchenjungen gewesen sein konnte.
Meister Drummond deutete mit einer Handbewegung auf den Dienstboteneingang der riesigen Küche. »Schnapp dir einen Arm voll Holz und schaff ihn in die Küche. Wir brauchen Eiche und dazu etwas Apfelholz, um den Rippchen ein wenig Geschmack zu geben.«
»Eiche und Apfel. Jawohl, Sir.«
»Und häng vorher noch einen viergriffigen Kessel an einen der Haken. Beeil dich mit dem Eichenholz.«
Snip zuckte mit einem »Ja, Sir« zusammen. Bei den großen gespaltenen Eichenscheiten für den Röstofen fing er sich jedesmal Splitter ein. Eichenholzsplitter waren die schlimmsten, oft quälten sie ihn noch Tage danach, wenigstens war das Apfelholz nicht ganz so schlimm. Es würde ein großes Fest werden, er wußte, daß er Holz in ausreichender Menge herbeischaffen mußte.
»Und halte die Augen nach dem Karren des Metzgers offen. Er müßte jeden Augenblick eintreffen. Ich drehe Inger den Hals rum, wenn er ihn zu spät losgeschickt hat.«
Snip richtete sich auf. »Metzgerkarren?« Er traute sich nicht zu fragen, was er fragen wollte. »Dann wollt Ihr bestimmt, daß ich ihn ablade, Sir?«
Meister Drummond stemmte die Fäuste in seine breiten Hüften. »Jetzt sag bloß, Snip, du fängst an mitzudenken.« Mehrere Frauen, die ganz in der Nähe mit der Zubereitung von Soßen beschäftigt waren, verfielen in ein verächtlich schnaubendes Gelächter. »Selbstverständlich will ich, daß du ihn ablädst! Und wenn du wie beim letzten Mal irgend etwas fallen läßt, dann schmore ich statt dessen deinen dürren Hintern.«
Snip verbeugte sich zweimal. »Ja, Meister Drummond.«
Als er sich entfernte, mußte er dem Milchmädchen Platz machen, das eine Käseprobe brachte, um diese Meister Drummond zur Prüfung vorzulegen. Eine der Soßenköchinnen bekam Snip am Ärmel zu fassen, bevor er sich aus dem Staub machen konnte.
»Wo bleiben die Schaumlöffel, die ich verlangt habe?«
»Schon unterwegs, Gillie, sobald ich mich um das…«
Sie zog ihn am Ohr. »Wage bloß nicht, mich von oben herab zu behandeln«, knurrte Gillie und verdrehte ihm das Ohr noch stärker. »Darauf verfallt ihr Kerle am Ende doch immer, oder etwa nicht?«