»Nein, Gillie – ich wollte nicht – ich schwöre es. Ich empfinde nichts als Respekt für das Volk der Anderier. Täglich zügele ich meine Schlechtigkeit, auf daß weder in meinem Herzen noch in meinem Verstand Platz sei für Haß und Niedertracht, und bete, der Schöpfer möge mir die Kraft geben, meine fehlerhafte Seele zu bessern und mich auf ewig schmoren lassen, sollte ich versagen«, leierte er mechanisch herunter. »Ich hole dir die Schaumlöffel, Gillie. Bitte, läßt du mich jetzt gehen und sie holen?«
Sie versetzte ihm einen Schlag gegen den Kopf. »Also los, und beeil dich.«
Sich das pochende Ohr haltend, rannte Snip zu dem Regal zurück, wo er die Schaumlöffel zum Trocknen abgelegt hatte. Er schnappte sich eine Handvoll und brachte sie Gillie so respektvoll wie nur möglich, angesichts der Tatsache, daß Meister Drummond ihn aus den Augenwinkeln beobachtete und zweifellos mit dem Gedanken spielte, ihn dafür zu schlagen, daß er Gillie die Schaumlöffel nicht eher gebracht hatte, um jetzt endlich tun zu können, was er von ihm verlangt hatte – dafür zu sorgen, daß der Kessel aufgehängt und das Feuerholz ins Haus geschafft wurde.
Er reichte ihr die Schaumlöffel mit einer Verbeugung.
»Ich hoffe, du hältst es für angemessen, wenn du dich diese Woche zu einer zusätzlichen Bußversammlung begibst.« Gillie riß ihm die Schaumlöffel aus der Hand. »Was für Erniedrigungen wir Anderier doch von Leuten deines Kalibers hinnehmen müssen«, murmelte sie mit einem bedauernden Kopfschütteln.
»Ganz recht, Gillie, ich brauche die Ermutigung durch eine zusätzliche Bußestunde wirklich dringend. Danke, daß du mich daran erinnert hast.«
Als sie sich daraufhin verächtlich schnaubend wieder an die Arbeit machte, eilte Snip – erfüllt von Scham, weil er in seiner Gedankenlosigkeit zugelassen hatte, daß eine Anderierin durch sein gottloses Wesen herabgewürdigt wurde – davon, um einen der anderen Küchenjungen zu holen, der ihm helfen sollte, den schweren Kessel auf den Haken zu hieven. Er fand Morley, der bis zu den Ellenbogen in siedend heißem Wasser steckte und überaus froh war, eine Ausrede zu haben, sie dort herauszuziehen, und sei es auch nur, um schwere Gegenstände herumzuschleppen.
Morley warf einen prüfenden Blick über die Schulter, während er half, den schweren Eisenkessel hochzuwuchten. Ihm fiel es nicht ganz so schwer wie Snip. Snip war schlaksig, Morley dagegen kräftig gebaut.
Morley feixte verschwörerisch. »Große Sache heute abend. Du weißt, was das bedeutet.«
Snip bejahte grinsend. Wegen der vielen Gäste würde ein Durcheinander aus Gelächter, lauten Unterhaltungen, Gegröle und Trinkgelage herrschen. Bei all dem Hin- und Hergerenne der vielen Menschen und dem nicht abreißenden Nachschub an Wein und Bier würde es kaum auffallen, wenn in den halbvollen Gläsern und halbvollen Flaschen etwas fehlte.
»Es bedeutet einen der wenigen Vorteile, für den Minister für Kultur zu arbeiten«, erwiderte Snip.
Sie waren gerade dabei, den Kessel über den Fußboden zu schleifen, als Morley, dessen Halsmuskelstränge vor Anstrengung hervortraten, sich über ihn hinwegbeugte. »Dann solltest du den Anderiern gegenüber respektvoller sein, sonst entgeht dir dieser Vorteil noch. Und das Dach über dem Kopf und die Mahlzeiten, mit denen du dir den Bauch vollschlägst, kannst du auch abschreiben.«
Snip nickte. Er hatte nicht respektlos sein wollen – das war das letzte, was er wollte, denn er hatte den Anderiern alles zu verdanken. Gelegentlich jedoch gewann er den Eindruck, die Anderier seien zu schnell beleidigt, dabei wußte er doch, es lag nur an seinem mangelnden Einfühlungsvermögen und seiner Unwissenheit, daß es zu derartigen Mißverständnissen kommen konnte. Vermutlich dürfte er also niemand anderem die Schuld geben als sich selbst.
Der Kessel war gerade aufgehängt, als Snip die Augen verdrehte, die Zunge seitlich aus dem Mund hängen ließ und Morley auf diese Weise zu verstehen gab, daß sie sich an diesem Abend bis zum Umfallen betrinken würden. Morley wischte sich das rote, hakenische Haar aus dem Gesicht und täuschte einen betrunkenen, wenn auch lautlosen Schluckauf vor, bevor er seine Arme wieder in das seifige Wasser tauchte.
Feixend trottete Snip zur Hintertür hinaus, um das Feuerholz zu holen. Die kürzlich niedergegangenen, alles durchweichenden Regenfälle waren nach Osten abgezogen und hatten einen süßlichen Duft von frischer, feuchter Erde hinterlassen. Der neue Frühlingstag versprach warm zu werden, in der Ferne schimmerten die üppigen Felder jungen, grünen Weizens in der Sonne. An manchen Tagen, wenn der Wind aus Süden kam, wehte der Geruch des Meeres heran und zog über die Felder, nicht jedoch heute, obwohl ein paar Möwen am Himmel ihre Kreise zogen.
Jedesmal, wenn er für eine neue Armladung wieder nach draußen trottete, warf Snip einen prüfenden Blick in die Zufahrt, ohne jedoch den Metzgerkarren zu erblicken. Seine Jacke war feucht von Schweiß, als er mit dem Eichenholz fertig war. Unermüdlich schuftend hatte er es geschafft, es ins Haus zu schleppen und sich dabei nur einen einzigen, wenn auch langen Splitter in die Haut zwischen Daumen und Zeigefinger zu bohren.
Er war gerade damit beschäftigt, Scheite aus dem Stapel mit Apfelholz zu ziehen, als er das rhythmische Knarren eines näherkommenden Karrens hörte. Erfolglos am schmerzhaften Eichensplitter saugend, versuchte er, das eingegrabene Ende mit den Zähnen zu erwischen, während er verstohlene Blicke hinüber in den Schatten der mächtigen, die lange Zufahrt des Landsitzes säumenden Eichen warf und sah, wie Brownie, das lendenlahme Pferd des Metzgers, sich schleppenden Schrittes näherte. Wer immer die Ladung begleitete, befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Karrens. Aus diesem Grund und wegen der Entfernung, vermochte er nicht zu erkennen, wer es war.
Außer dem Karren des Metzgers traf auch noch eine Reihe von anderen Personen auf dem weitläufigen Anwesen ein; die unterschiedlichsten Leute, angefangen bei Gelehrten, die die Bibliothek der Anderier aufsuchten, über Diener, die Nachrichten und Berichte brachten, bis hin zu Arbeitern, die Karrenladungen voller Waren anlieferten. Außerdem traf noch eine Reihe gutgekleideter Menschen ein, die eine ganz andere Absicht dorthin führte.
Anfangs – Snip hatte seine Arbeit in der Küche gerade aufgenommen – war ihm diese wie das gesamte Anwesen riesig und verwirrend vorgekommen. Jeder und alles hatte ihn eingeschüchtert, denn er wußte, dies würde sein neues Zuhause werden und er würde lernen müssen, seiner Aufgabe gerecht zu werden, wenn er zu essen und einen Schlafplatz im Stroh bekommen wollte.
Seine Mutter hatte ihm aufgetragen, hart zu arbeiten, dann würde ihm mit ein wenig Glück stets beides beschieden sein. Sie hatte ihn ermahnt, sich vor seinen Vorgesetzten in acht zu nehmen, zu tun, was man ihm sagte, und die Regeln zu befolgen, selbst wenn er sie als hart empfand. Sie hatte ihm erklärt, selbst wenn die Befehle unangenehm seien, sollte er sie dennoch kommentarlos und vor allem ohne sich zu beschweren ausführen.
Snip hatte keinen Vater, jedenfalls keinen, den er kannte, auch wenn es manchmal Männer gegeben hatte, von denen er annahm, sie würden seine Mutter heiraten. Sie besaß ein Zimmer, das ihr Arbeitgeber, ein Kaufmann namens Ibson, ihr zur Verfügung gestellt hatte. Es befand sich in der Stadt gleich neben Mr. Ibsons Haus, in einem Gebäude, das auch andere seiner Arbeiter beherbergte. Seine Mutter arbeitete in der Küche, wo sie Mahlzeiten zubereitete. Sie konnte jedes Gericht kochen.
Trotzdem war es ihr stets sehr schwergefallen, Snip durchzufüttern, und meist war es ihr nicht möglich, auf ihn aufzupassen. Wenn er sich nicht gerade auf einer Bußversammlung befand, nahm sie ihn des öfteren mit, damit er ihr bei der Arbeit Gesellschaft leistete, wo sie ein Auge auf ihn haben konnte. Dort drehte er Spieße, schleppte dies und jenes umher, reinigte kleinere Gegenstände, fegte den Hof und hatte nicht selten die Ställe auszumisten, in denen einige von Mr. Ibsons Zugpferden untergestellt waren.
Seine Mutter war gut zu ihm gewesen, jedenfalls immer dann, wenn sie ihn sah. Er wußte, er war ihr ebensowenig gleichgültig wie das, was aus ihm wurde. Ganz anders verhielt es sich bei einigen Männern, mit denen sie sich manchmal einließ. Sie sahen in Snip wenig mehr als eine Last; manch einer, der mit seiner Mutter allein sein wollte, machte einfach die Tür des einzigen Zimmers seiner Mutter auf und warf ihn über Nacht hinaus.