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Als Beata zum Karren zurückkehrte, wo er wartete, deutete sie mit ausdrucksloser Miene auf seine Hand. »Was ist mit deiner Hand passiert?«

Ihr Anblick, ganz aus der Nähe, lähmte ihn. Das dunkelblaue Kleid lief von der Taille des langen, ausgestellten Rockes schwungvoll nach oben, umschmeichelte ihren Brustkorb und öffnete sich auf eine Weise über ihrem Busen, daß er schlucken mußte, wollte er je wieder Luft bekommen. Abgegriffene hölzerne Knöpfe zierten seine Vorderseite. Eine Anstecknadel mit einer schlichten Spirale hielt den Kragen am Hals zusammen.

Das Kleid war alt; schließlich war sie, wie er, hakenischer Abstammung und hatte nichts Besseres verdient. Hier und da war der blaue Stoff an den Rändern ausgefranst und an den Schultern leicht verblichen, Beata verlieh ihm jedoch eine gewisse Würde.

Ungeduldig seufzend ergriff sie seine Hand, um selber nachzusehen.

»Es ist nichts … nur ein Splitter«, stammelte er.

Sie drehte sie um, legte sie mit der Handfläche nach oben in ihre andere Hand und drückte die Haut zusammen, um festzustellen, wie tief der Splitter saß. Die unerwartete Wärme der Berührung ihrer Hand überwältigte ihn. Zu seinem Entsetzen bemerkte er, daß seine Hände vom heißen Seifenwasser für das Ausspülen der Töpfe und Kessel sauberer waren als ihre. Er hatte Angst, sie könnte glauben, er sei ein arbeitsscheuer Nichtsnutz.

»Ich war gerade dabei, Töpfe auszuwaschen«, erklärte er. »Anschließend mußte ich Eichenholz ins Haus schleppen. Jede Menge schwerer Eichenscheite. Deswegen schwitze ich auch so.«

Beata zog wortlos die Anstecknadel oben aus ihrem Kleid. Der Ausschnitt fiel um ein paar Zoll auseinander, so daß man die kleine Vertiefung an ihrem Halsansatz sehen konnte. Er starrte, als er so viel von ihr zu sehen bekam, vieles, das sie normalerweise verborgen hielt. Er war ihrer Hilfe nicht würdig, erst recht nicht der nackten Haut an ihrem Hals, die ihrer Ansicht nach verborgen bleiben sollte. Mühsam zwang er sich, den Blick abzuwenden.

Snip schrie auf, als er spürte, wie die spitze Anstecknadel forschend eindrang. Die Stirn vor Konzentration runzelnd, murmelte sie geistesabwesend eine Entschuldigung, während sie an dem Splitter herumdokterte. Er versuchte, das Gesicht nicht schmerzhaft zu verziehen, grub statt dessen seine Zehen in den Staub und wartete.

Er spürte ein tiefes, heftiges, schmerzhaftes Ziehen. Sie unterzog den langen, nadelähnlichen Eichensplitter, den sie herausgezogen hatte, einer kurzen Untersuchung und warf ihn dann fort. Anschließend schloß sie ihren Kragen wieder mit der Nadel.

»Erledigt«, sagte sie, sich zum Karren umdrehend.

»Danke, Beata.« Sie nickte. »Das war sehr nett.« Er lief ihr nach. »Ich soll übrigens helfen, die Ladung ins Haus zu tragen.«

Er zerrte ein riesiges Hinterviertel Rindfleisch ans hintere Karrenende und duckte sich darunter, um es auf seine Schultern zu hieven. Fast hätten seine Knie unter dem Gewicht nachgegeben. Als es ihm gelang, es herumzuwälzen, sah er Beata bereits mit einem schweren Netz voller Hühner in der einen Hand und einem Stück Lammrippe, das sie auf der anderen Schulter balancierte, den Pfad hinaufgehen, so daß sie seine gewaltige Kraftanstrengung gar nicht mitbekam.

Drinnen trug ihm Judith, die Brotbäckerin, auf, eine Liste mit allem, was der Metzger geschickt hatte, zusammenzustellen. Er verbeugte sich und versprach es, innerlich jedoch zuckte er zusammen.

Als sie zu dem Karren zurückkehrten, hakte Beata die Ladung für ihn ab, indem sie jedem Gegenstand, so wie sie ihn ausrief, mit der Hand einen Klaps versetzte. Sie wußte, daß er nicht lesen konnte und daher gezwungen war, sich die Liste einzuprägen. Sie achtete darauf, ihm jeden einzelnen Gegenstand eindeutig anzuzeigen. Es gab Schweinefleisch, Lamm, Ochsenfleisch, Biber, Rind, drei Steinguttöpfe mit Mark, acht dicke Schläuche mit frischem Blut, ein halbes Faß mit Schweinemägen zum Füllen, zwei Dutzend Gänse, einen Korb mit Tauben sowie drei Netze Junghühner, jenes eingeschlossen, das sie bereits ins Haus getragen hatte.

»Ich weiß ganz sicher, ich hatte…« Beata zog ein Netz mit Junghühnern zu sich heran und suchte etwas. »Hier ist es«, rief sie. »Einen Augenblick lang fürchtete ich, ich hätte sie nicht mitgebracht.« Sie zog ihn heraus. »Einen Sack Spatzen. Der Minister für Kultur bestellt immer Spatzen für seine Feste.«

Snip spürte, wie sein erhitztes Gesicht rot anlief. Jeder wußte, daß Spatzen und Spatzeneier verzehrt wurden, um der Lust nachzuhelfen – wenn er auch nicht zu ergründen vermochte, wieso; für ihn brauchte Lust kaum noch zusätzlich angestachelt zu werden. Als Beata ihm fragend in die Augen blickte, ob er sie der Liste in seinem Kopf hinzugefügt hatte, spürte er das überwältigende Verlangen, etwas zu sagen – ganz gleich, was –, nur um das Thema zu wechseln.

»Glaubst du, Beata, man wird uns je von unseren ererbten Verbrechen freisprechen, damit wir ebenso reinen Herzens werden wie das Volk der Anderier?«

Ihre glatte Stirn zuckte. »Wir sind Hakenier, wir können niemals so gut sein wie die Anderier. Unsere Seelen sind verdorben und nicht zu Reinheit fähig; ihre Seelen dagegen sind rein und nicht dafür geschaffen, verdorben zu sein. Wir können niemals vollkommen geläutert werden. Wir können lediglich darauf hoffen, unsere schändliche Natur zu beherrschen.«

Snip war diese Antwort ebenso bekannt wie ihr. Vermutlich hielt sie ihn wegen seiner Frage für hoffnungslos unwissend. Er war nie gut darin gewesen, seine Gedanken auf eine Weise zu erklären, die verriet, was er wirklich meinte.

Er hatte die Absicht, seine Schuld abzutragen – Absolution erteilt zu bekommen – und sich den Titel ›Sir‹ zu verdienen. Nicht vielen Hakeniern gelang es, dieses Vorrecht zu erlangen. Solange er das nicht schaffte, würde er nie tun können, was er wirklich wollte. Er ließ den Kopf hängen und überlegte, wie sich seine Frage besser formulieren ließe.

»Aber ich meine … kennen wir nach all dieser Zeit nicht die Fehler im Verhalten unserer Vorfahren? Möchtest du nicht auch mehr Entscheidungen über dein Leben treffen können?«

»Ich bin Hakenierin. Ich bin nicht würdig, über mein Schicksal zu entscheiden. Du solltest wissen, daß dieser Pfad in die Gottlosigkeit führt.«

Er zupfte an der aufgerissenen Haut herum, wo sie den Splitter entfernt hatte. »Aber manche Hakenier dienen doch auf eine Weise, die zur Absolution führt. Du hast selbst einmal erzählt, du willst vielleicht zur Armee. Da will ich auch hin.«

»Du bist ein hakenischer Mann. Es ist dir nicht gestattet, Waffen in die Hand zu nehmen. Auch das solltest du eigentlich wissen, Snip.«

»Ich wollte damit ja gar nicht sagen … ich weiß, ich darf das nicht. Ich meinte bloß – ich weiß nicht.« Er stopfte seine Hände in die Gesäßtaschen. »Ich meinte bloß, ich würde es gerne können, weiter nichts, damit ich Gutes tun und mich bewähren könnte. Und denen helfen könnte, denen wir Leid zugefügt haben.«

»Verstehe.« Sie deutete auf die Fenster im oberen Stockwerk. »Der Minister für Kultur höchstpersönlich hat das Gesetz erlassen, das den hakenischen Frauen erlaubt, gemeinsam mit anderischen Frauen in der Armee zu dienen. Dieses Gesetz besagt auch, daß alle Menschen diesen hakenischen Frauen gegenüber Respekt erweisen müssen. Das Mitgefühl des Ministers erstreckt sich auf alle Menschen. Die hakenischen Frauen stehen tief in seiner Schuld.«

Snip merkte, daß er nicht deutlich machen konnte, was er wirklich meinte. »Aber möchtest du nicht heiraten und…«

»Er hat auch das Gesetz erlassen, demzufolge man hakenischen Frauen Arbeit geben muß, damit wir in der Lage sind, uns eigenständig zu ernähren, ohne heiraten zu müssen und zu Sklaven der hakenischen Männer zu werden. Denn es liegt in ihrem Wesen, andere zu versklaven, und das würden sie, vorausgesetzt, sie erhalten durch die Ehe Gelegenheit dazu, sogar ihresgleichen antun. Minister Chanboor ist der Held aller hakenischen Frauen.