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Wir alle, die wir hinaus ins Grasland marschiert waren, standen im Nieselregen und winkten, als die drei Richtung Nordosten weiterzogen, bis sie zu kleinen Punkten geschrumpft waren, die man nicht mehr sehen konnte. Schließlich mahnte uns der Vogelmann, das Haupt zu neigen. Unter seiner Anleitung baten wir alle zusammen unsere Ahnenseelen, über unsere neuen Stammesmitglieder zu wachen und sie auf ihrer Reise zu beschützen. Dann rief er einen Habicht herbei und trug ihm auf, sie ein Stück des Weges zu begleiten, als Zeichen dafür, daß wir im Herzen bei ihnen seien. Wir warteten, bis wir den Habicht nicht mehr am Himmel über ihnen kreisen sahen, danach kamen wir umgehend hierher zurück.«

Den Kopf leicht in seine Richtung geneigt, zog Nissel eine Braue hoch. »Stellt dich das mehr zufrieden als meine einfache Bemerkung, sie seien fort?«

Zedd räusperte sich. Offenbar übte sich die Frau in Sarkasmus, wenn es gerade nichts zu heilen gab.

»Was hat sie gesagt?« wiederholte Ann ihre Frage.

»Sie sagt, sie seien fort.«

»Ist sie auch wirklich sicher?« erkundigte sich Ann.

Zedd schlug seine Decke zurück. »Woher soll ich das wissen? Die Frau schwatzt viel. Ich glaube allerdings, sie haben sich tatsächlich auf den Weg gemacht.«

Ann warf ihre Wolldecke ebenfalls zur Seite. »Ich dachte schon, ich müßte mich unter diesem kratzigen Ding zu Tode schwitzen.«

Die ganze Zeit über hatten sie still und geduldig unter der Decke ausgeharrt, aus Angst, Richard könnte wegen irgendeiner Frage, die zu stellen er vergessen hatte, oder wegen eines neuen Einfalls noch einmal unvermittelt bei ihnen ins Zimmer schneien. Der Junge verfiel des öfteren auf solche Überraschungen. Zedd wollte nicht riskieren, sich voreilig zu verraten, schließlich sollten ihre Pläne nicht durch eine Unvorsichtigkeit vereitelt werden.

Während des Wartens hatte Ann mißmutig vor sich hin geschwitzt, Zedd hatte ein Nickerchen gehalten.

Erfreut über Zedds Bitte, ihnen zu helfen, hatte Nissel versprochen, die Augen offenzuhalten und ihnen gleich nach dem Aufbruch der drei Bescheid zu sagen. Sie meinte, die Alten müßten zusammenhalten, denn die einzige Waffe gegen die Jugend sei Gerissenheit – was Zedd nur bestätigen konnte. Sie hatte dabei ein Funkeln in den Augen, das Ann bewog, in einer Mischung aus Verwirrung und Verdruß die Stirn zu runzeln.

Zedd klopfte sich das Stroh aus den Kleidern, sein Rücken schmerzte. Schließlich umarmte er die Heilerin. »Vielen Dank für deine Hilfe, Nissel. Ich weiß das überaus zu schätzen.«

Sie kicherte leise an seiner Schulter. »Was immer du willst.« Als sie sich voneinander lösten, kniff sie ihn ins Hinterteil.

Zedd zwinkerte ihr zu. »Wie wär’s mit etwas Tava mit Honig, Schätzchen?«

Nissel errötete; Anns Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. »Was plauderst du da mit ihr?«

»Oh, ich habe ihr gerade erklärt, ich wußte ihre Hilfe zu schätzen, und ich habe sie gefragt, ob wir etwas zu essen bekommen könnten.«

»Das sind die kratzigsten Decken, die mir je untergekommen sind«, brummte Ann, während sie sich heftig an den Armen juckte. »Sag Nissel, ich wußte ihre Hilfe ebenfalls zu würdigen, aber wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich darauf verzichten, mich deshalb von ihr in den Hintern kneifen zu lassen.«

»Ann schließt sich meinem aufrichtigen Dank an. Außerdem ist sie viel älter als ich.« Bei den Schlammenschen verlieh das Alter den Worten Gewicht.

Nissels Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, während sie ihn wie vernarrt in die Wange kniff. »Ich werde euch beiden etwas Tee und Tava holen gehen.«

»Sie scheint ziemlich verrückt nach dir zu sein.« Sich das Haar aus dem Gesicht streichend, beobachtete Ann, wie die Heilerin unter dem die Tür verhängenden Fell hindurchtauchte.

»Warum auch nicht?«

Ann verdrehte die Augen und bürstete anschließend das Stroh von ihrem dunklen Kleid. »Wann hast du eigentlich die Sprache der Schlammenschen gelernt? Weder Richard noch Kahlan gegenüber hast du je etwas davon erwähnt, daß du ihre Sprache sprichst.«

»Ach, das ist lange her. Ich weiß eine ganze Menge, aber ich rede nicht ständig darüber. Außerdem halte ich es stets für das beste, wenn man sich ein wenig Spielraum läßt, manchmal erweist sich das als ganz nützlich, wie zum Beispiel jetzt. Rundheraus gelogen habe ich eigentlich nie.«

Mit einem Brummen tief in ihrer Kehle mußte sie ihm notgedrungen recht geben. »Es war vielleicht nicht gelogen, aber zumindest eine bewußte Irreführung.«

Zedd lächelte sie an. »Übrigens, wo wir gerade von Irreführung sprechen, ich fand deine Vorstellung brillant. Sehr überzeugend.«

Ann war verblüfft. »Nun, ich … ja, danke, Zedd. Ich war wohl wirklich recht überzeugend.«

Er tätschelte ihre Schulter. »Das warst du allerdings.«

Ihr Lächeln ging in ein argwöhnisches Stirnrunzeln über. »Versuche nicht, mir Honig ums Maul zu schmieren, alter Mann. Ich bin sehr viel älter als du, mir kann man nichts mehr vormachen.« Sie drohte ihm mit dem Finger. »Du weißt ganz genau, daß ich böse auf dich bin!«

Zedd legte seine Fingerspitzen an die Brust. »Böse? Mit mir? Was habe ich verbrochen?«

»Was du verbrochen hast? Muß ich dich an das Wort ›Lauer‹ erinnern?« Mit hocherhobenen Armen im Kreis herumstolzierend, die Handgelenke angewinkelt, die Finger zu Krallen gebogen, äffte sie einen bösen Geist nach. »Oh, wie beängstigend. Hier kommt ein Lauer. Oh, wie entsetzlich. Ach, wie überaus furchteinflößend.«

Sie stampfte mit den Füßen auf und blieb vor ihm stehen. »Was geht eigentlich in deinem hirnlosen Schädel vor! Was ist nur in dich gefahren, lauthals einen so idiotischen Ausdruck wie Lauer in die Welt zu setzen? Hast du den Verstand verloren?«

Zedd schmollte empört. »Was ist mit dem Wort Lauer nicht in Ordnung?«

Ann stemmte die Hände in ihre breiten Hüften. »Was damit nicht in Ordnung ist? Was ist ›Lauer‹ nur für ein Name für ein Monstrum aus dem Reich der Phantasie!«

»Nun, eigentlich ein ganz passender.«

»Ein passender! Ich hatte fast einen Herzanfall, als du damit rausgerückt bist, denn ich war der festen Überzeugung, Richard würde merken, daß wir uns eine Geschichte ausdenken, und jeden Augenblick lauthals losprusten. Ich hatte alle Mühe, nicht selber loszuprusten!«

»Loszuprusten? Warum sollte er bei dem Wort ›Lauer‹ losprusten? Das Wort ist absolut passend. Es beinhaltet alles, was zu einem furchteinflößenden Geschöpf gehört.«

»Hast du den Verstand verloren? Ich mußte mir von Zehnjährigen, die ich bei irgendeinem Schabernack erwischt hatte, Geschichten von Monstern anhören, die sie angeblich heimsuchten. Ich hatte sie bereits bei den Ohren, da sind ihnen auf der Stelle aber bessere Namen als ›Lauer‹ für ein Monster eingefallen, mein Lieber. Hast du überhaupt eine Vorstellung, wieviel Mühe es mich gekostet hat, mich zusammenzureißen? Wäre das Problem nicht so ernst gewesen, es wäre mir wohl kaum gelungen. Und als du heute unbedingt noch einmal davon anfangen mußtest, hatte ich Angst, unsere List würde nun doch noch auffliegen.«

Zedd verschränkte die Arme. »Ich habe nicht bemerkt, daß jemand gelacht hätte, im Gegenteil, die drei fanden es beängstigend. Ich glaube, als ich den Namen zum erstenmal aussprach, hatte ich Richard für einen Augenblick soweit, daß ihm die Knie zitterten.«

Ann schlug sich mit der Hand vor die Stirn und brummte: »Es war reines Glück, daß unsere List nicht aufgeflogen ist. Du hättest mit deiner Torheit beinahe alles ruiniert.« Sie schüttelte den Kopf. »Ein Lauer. Ein Lauer!«

Zedd argwöhnte, daß es ihre Enttäuschung und aufrichtige Angst war, die so vehement zum Ausbruch kam, daher ließ er sie in Ruhe, als sie tobend auf und ab lief. Schließlich blieb sie stehen und hob wutschnaubend den Kopf.

»Wo in aller Schöpfung hast du nur einen so blöden Namen für ein Ungeheuer her? Ein Lauer, daß ich nicht lache«, setzte sie murmelnd hinzu.