Zedd kratzte sich am Hals und räusperte sich. »Nun, um die Wahrheit zu sagen, in meiner Jugend – ich war gerade verheiratet – brachte ich ein Kätzchen für meine frischgebackene Braut mit nach Hause. Sie liebte das kleine Ding und mußte immerzu über seine Possen lachen. Ich freute mich wie ein Schneekönig, als ich die Freudentränen in Erilyns Augen sah, wann immer sie sich über dieses kleine Fellknäuel amüsierte.
Ich fragte sie, wie sie das Kätzchen nennen wolle, und sie meinte, sie habe so viel Spaß daran, wie es unablässig auf der Lauer lag, um sich auf irgendwelche Dinge zu stürzen, daß sie es Lauer nennen wolle. Daher also der Name, er hat mir wegen dieser Geschichte immer schon gefallen.«
Ann verdrehte die Augen; seufzend ließ sie sich seine Worte durch den Kopf gehen. Sie öffnete den Mund und wollte eine Bemerkung machen, besann sich dann aber eines Besseren, seufzte abermals und tätschelte ihm statt dessen ermutigend den Arm.
»Nun, wenigstens ist nichts passiert«, räumte sie ein. Sie bückte sich und angelte mit einem Finger nach der Decke. Während sie dastand und sie zusammenlegte, fragte sie: »Und das Fläschchen? Von dem du Richard erzählt hast, es befände sich in der Enklave des Obersten Zauberers in der Burg? Welchen Ärger wird es wohl verursachen, wenn er es zerbricht?«
»Ach, das war einfach ein Fläschchen, das ich zufällig auf einer meiner Reisen auf einem Markt gekauft habe. Als ich es sah, war ich augenblicklich eingenommen von der Meisterschaft, die erforderlich gewesen sein mußte, einen Gegenstand von solcher Schönheit und Anmut herzustellen. Nach langem Hin und Her gelang es mir schließlich, den Händler mürbe zu machen und es für einen außergewöhnlich günstigen Preis zu erstehen. Das Fläschchen gefiel mir so gut, daß ich es bei meiner Rückkehr auf ein Postament stellte. Außerdem sollte es mich daran erinnern, daß ich es aufgrund meines Verhandlungsgeschicks zu einem bemerkenswert günstigen Preis erwerben konnte. Ich fand, dort käme es gut zur Geltung, zudem war ich auch ein wenig stolz auf mich.«
»Was für ein gerissener Kerl du doch bist«, meinte Ann hinterhältig.
»Ja, das ist wahr. Wenig später fand ich ein ebensolches Fläschchen für die Hälfte des Preises, und zwar ohne Feilscherei. Ich ließ das Fläschchen dort auf dem Postament stehen, als Warnung, nicht hochnäsig zu werden, nur weil ich Oberster Zauberer war. Es ist nichts weiter als ein altes Fläschchen, das ich als warnende Erinnerung aufbewahrt habe. Es kann nichts Schlimmes passieren, wenn Richard es zerbricht.«
Stillvergnügt in sich hineinlachend, schüttelte Ann den Kopf. »Mir wird angst und bange bei der Vorstellung, was ohne die Gabe aus dir geworden wäre.«
»Ich fürchte, genau das werden wir bald herausfinden.«
Seine Magie ließ bereits nach, er hatte Schmerzen in den Knochen und verspürte eine Schlaffheit in den Muskeln. Und es würde noch schlimmer werden.
Anns Lächeln erlosch, als ihr die bittere Wahrheit seiner Worte bewußt wurde.
»Ich begreife das nicht. Was du Richard erzählt hast, war korrekt. Um die in den Grußformeln genannten Chimären in diese Welt zu rufen, hätte Kahlan seine dritte Ehefrau sein müssen. Wir wissen, daß die in den Grußformeln Genannten hier sind, und doch ist es unmöglich.
Selbst wenn man die verschlungenen Methoden berücksichtigt, nach denen die Magie Begebenheiten deutet, um die für das Auslösen eines Ereignisses erforderlichen Voraussetzungen und Bedingungen als erfüllt festzusetzen, kann sie im ungünstigsten Fall nur als seine zweite Ehefrau betrachtet werden. Da war zum einen dieses andere Mädchen, diese Nadine, und anschließend Kahlan. Eins und eins ergibt zwei. Kahlan kann höchstens Nummer zwei sein.«
Zedd zuckte mit den Achseln. »Wir wissen, daß die in den Grußformeln Genannten freigesetzt worden sind. Das ist das Problem, dem wir uns widmen müssen, nicht wie es dazu kam.«
Ann gab ihm mit einem Nicken widerstrebend recht. »Glaubst du, dieser Enkelsohn von dir wird tun, was er sagt, und sich auf kürzestem Weg zur Burg der Zauberer begeben?«
»Er hat es versprochen.«
Ann hob den Kopf und sah ihn an. »Wir reden hier über Richard.«
Zedd breitete in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände aus. »Ich wüßte nicht, was wir sonst hätten tun sollen, um sicherzustellen, daß er sich zur Burg der Zauberer begibt. Wir haben ihm jedes nur erdenkliche Motiv, von Edelmut bis Eigensinn, gegeben, damit er auf schnellstem Weg dorthin eilt; er hat keinerlei Spielraum. Wir haben ihm die Folgen beängstigend klargemacht, falls er nicht genau das tut, was wir ihm als unerläßlich eingetrichtert haben.«
»Stimmt«, meinte Ann, die gefaltete Decke über ihrem Arm glattstreichend, »wir haben alles getan, außer ihm die Wahrheit zu sagen.«
»Darüber, was geschehen würde, wenn er die Burg der Zauberer nicht aufsucht, haben wir ihm größtenteils die Wahrheit gesagt. Davon war nichts gelogen, außer daß die Wahrheit noch grausamer ist, als wir sie ihm ausgemalt haben.
Ich kenne Richard. Kahlan hat die in den Grußformeln genannten Chimären freigesetzt, um sein Leben zu retten. Er fühlt sich ganz sicher verpflichtet und ist entschlossen, das wieder in Ordnung zu bringen, zu helfen. Dabei könnte er höchstens noch verschlimmern, was ohnehin schon trostlos ist. Wir dürfen nicht zulassen, daß er mit dem Feuer spielt. Und wir haben ihm das gegeben, was er am dringendsten benötigt: einen Weg, wie er helfen kann. Der einzig sichere Ort für ihn ist die Burg. An dem Ort, von dem aus sie gerufen wurden, können ihm die Chimären nichts anhaben, außerdem ist das Schwert der Wahrheit vermutlich die einzige Magie, die noch funktioniert, dafür werden wir schon sorgen. Wer weiß, wenn sie ihn nicht in ihren Klauen hat, erlischt die Bedrohung vielleicht ganz von selbst.«
»Ein ziemlich dünner Faden, um die ganze Welt daran aufzuhängen. Vermutlich hast du aber trotzdem recht«, räumte Ann ein. »Er ist ein Draufgänger – genau wie sein Großvater.« Sie warf die Decke auf das Strohlager. »Allerdings muß er um jeden Preis beschützt werden. Er lenkt die Geschicke D’Haras und vereint die Länder unter dessen Banner, um der Geißel der Imperialen Ordnung die Stirn zu bieten. Abgesehen davon, daß er in Aydindril sicher ist, kann er sich dort weiter der Aufgabe widmen, die Einheit zu gestalten. Seine Führungsqualitäten hat er bereits unter Beweis gestellt. Die Prophezeiungen warnen, nur er habe die Möglichkeit, uns mit Erfolg in diesem Kampf anzuführen. Ohne ihn sind wir mit Sicherheit verloren.«
Nissel betrat schlurfend den Raum, in der Hand ein Tablett mit Tavabrot, bestrichen mit Honig und Minze. Zedd anlächelnd, ließ sie sich von Ann die drei dampfenden Becher mit Tee abnehmen, die sie in der anderen Hand hielt. Nissel stellte das Tablett mit Tava vor den Strohlagern auf den Boden und setzte sich auf die Stelle, wo Zedd gelegen hatte. Ann reichte ihr einen der Becher und ließ sich auf der zusammengefalteten Decke am Kopfende des anderen Strohlagers nieder.
Nissel klopfte neben sich leicht auf die Schlafstelle. »Komm, setz dich und nimm etwas Tava mit Tee, bevor du auf die Reise gehst.«
Zedd, dem wichtige Dinge im Kopf herumgingen, bedachte sie mit einem matten Lächeln, als er sich neben ihr niederließ. Sie spürte seine düstere Stimmung, ergriff schweigend den Servierteller und bot ihm Tava an. Zedd, der sah, daß sie seine Besorgnis verstand, wenn auch nicht deren Ursache, legte ihr dankbar einen Arm um die Schultern. Mit seiner anderen Hand nahm er sich ein klebriges Stück Tava.
Zedd leckte den Honig von dessen knusprigem Rand. »Ich wünschte, wir wüßten etwas über dieses Buch, das Richard erwähnt hat, Des Berges Zwilling. Ob er Einzelheiten darüber weiß?«
»Es sah nicht danach aus. Verna erklärte mir damals bloß, Des Berges Zwilling sei vernichtet worden.«
Das hatte Ann bereits gewußt, als Richard danach fragte. Um das wachsende Ausmaß der Probleme vor Richard geheimhalten zu können, hatte sie angeboten, sich mit Hilfe ihres Reisebuches zu erkundigen, obwohl dessen Magie bereits schwächer geworden war.