»Ich hätte zu gerne einen Blick darauf geworfen, bevor es zerstört wurde.«
Ann aß ein paar Bissen ihres Tavabrotes, dann fragte sie: »Was ist, wenn wir sie nicht aufhalten können, Zedd? Unsere Magie läßt bereits nach. Nicht mehr lange, und sie versiegt ganz. Wie sollen wir den Chimären ohne Magie Einhalt gebieten?«
Zedd leckte sich Honig von den Lippen. »Ich hoffe noch immer, daß sich dort, wo sie bestattet wurden, Antworten finden lassen. Irgendwo in diesem Land Toscia oder wie immer es jetzt genannt wird. Vielleicht gelingt es mir, dort Bücher aufzutreiben, Bücher über die Kultur und Geschichte des Landes. Vielleicht finde ich dort den Hinweis, den ich dringend brauche.«
Zedd wurde zunehmend schwächer, seine nachlassende Kraft raubte ihm seine gesamte Vitalität. Die Reise würde langsam und beschwerlich werden, denn Ann hatte mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Nissel schmiegte sich eng an ihn. Sie war froh, einfach bei jemandem sein zu können, der sie als Frau mochte und sich nicht bloß von ihr heilen lassen wollte. Ihre Heilkunst konnte ihm nicht helfen, er mochte sie dennoch sehr. Darüber hinaus empfand er auch Mitgefühl für sie, für eine Frau, die niemand sonst verstand. Es war nicht leicht, anders zu sein als die Menschen in seiner Umgebung.
»Hast du schon irgendeine Idee, wie die Chimären aus dieser Welt verjagt werden könnten?« fragte Ann zwischen zwei Bissen.
Zedd riß sein Tavabrot in zwei Hälften. »Nur das, worüber wir bereits gesprochen haben. Bleibt Richard in der Burg, könnte es sehr gut sein, daß die Chimären auch ohne unser Zutun in die Unterwelt zurückgeholt werden. Ich weiß, es ist eine vage Hoffnung, aber wenn es nicht anders geht, werden wir einfach einen Weg finden müssen, sie in die Unterwelt zurückzudrängen. Und du? Irgendwelche Ideen?«
»Nicht die geringste.«
»Bist du immer noch fest entschlossen, deine Schwestern des Lichts vor Jagang zu retten?«
Sie scheuchte eine Mücke fort. »Jagangs Magie wird ebenso ermatten wie alle andere Magie. Der Traumwandler wird seine Gewalt über meine Schwestern verlieren. Jede Gefahr beinhaltet auch eine Chance, und diese Chance muß ich nutzen, solange sie besteht.«
»Jagang verfügt nach wie vor über eine riesige Armee. Für jemanden, der ständig meine Pläne kritisiert, erweist du dich beim Pläneschmieden als auch nicht gerade einfallsreich.«
»Der Gewinn ist das Risiko durchaus wert.« Ann ließ die Hand mit dem Tava sinken. »Ich sollte es eigentlich nicht zugeben … aber da sich unsere Wege trennen, werde ich es trotzdem sagen. Du bist ein kluger Mann, Zeddicus Z’ul Zorander. Ich werde deine lästige Gesellschaft missen. Mit deinen Gaunereien hast du mehr als einmal unsere Haut gerettet. Ich bewundere deine Beharrlichkeit – jetzt wird mir klar, woher Richard das hat.«
»Tatsächlich? Nun, dein Plan gefällt mir noch immer nicht. Schmeicheleien ändern daran gar nichts.«
Ann lächelte einfach in sich hinein.
Ihr Plan war zu durchsichtig, trotzdem verstand er, warum sie sich darauf festgelegt hatte. Die Rettung der Schwestern des Lichts war dringend geboten, und das nicht nur, weil sie als Gefangene brutal behandelt wurden. Wenn es gelang, die Chimären aus den Grußformeln zu vertreiben, hätte Jagang wieder die Kontrolle über diese Hexenmeisterinnen, und damit über ihre Macht.
»Angst kann ein mächtiger Lehrmeister sein, Ann. Sollten einige der Schwestern dir nicht abnehmen, daß sie fliehen können, darfst du auf keinen Fall zulassen, daß sie unsere Sache weiterhin gefährden, und sei es gegen ihren Willen.«
Ann sah ihn aus den Augenwinkeln an. »Verstehe.«
Er bat sie, sie entweder zu retten oder umzubringen.
»Zedd«, meinte sie, erfüllt von sanftem Mitgefühl. »Ich sage das nur ungern, aber was ist, wenn das, was Kahlan getan hat…«
Kahlan hatte die in den Grußformeln genannten Chimären herbeigerufen, um ihre Hilfe bei Richards Rettung zu erflehen. Das hatte seinen Preis.
Als Gegenleistung dafür, daß Richard bis zu seiner Genesung in der Welt des Lebendigen bleiben durfte, hatte sie den Chimären genau das versprechen müssen, was sie unbedingt benötigten, um in der Welt des Lebendigen verweilen zu können.
Eine Seele. Richards Seele.
In der Burg der Zauberer jedoch wäre er sicher. Der Ort, von dem aus sie herbeigerufen worden waren, stellte eine sichere Zuflucht dar für den, in dessen Namen dies geschehen war.
Zedd hielt Nissel die Hälfte seines Tavabrotes an die Lippen. Sie lächelte und biß ein großes Stück ab. Sie fütterte ihn mit einem Bissen ihres Brotes, nachdem sie zuvor seine Nase damit angestupst hatte. Die Albernheit dieser alten Heilerin, die ihm wie ein schelmisches kleines Mädchen einen Klecks Honig auf die Nase setzte, amüsierte ihn.
Schließlich fragte Ann: »Was wurde eigentlich aus deiner Katze – Lauer?«
Zedd legte nachdenklich die Stirn in Falten und versuchte sich zu erinnern. »Um die Wahrheit zu sagen, ich weiß es nicht mehr. Damals ging alles drunter und drüber. Der Krieg mit D’Hara – geführt von Richards anderem Großvater, Panis Rahl – stand kurz vor dem Ausbruch, das Leben Tausender von Menschen war in Gefahr. Ich war noch nicht zum Obersten Zauberer ernannt worden, und Erilyn war mit unserer Tochter schwanger. Vermutlich haben wir die Katze in all dem Durcheinander einfach aus den Augen verloren. Es gab in der Burg der Zauberer unzählige Orte, an denen Mäuse hausten. Wahrscheinlich war das Auflauern für sie reizvoller, als sich mit zwei aufdringlichen Menschen abzugeben.«
Zedd mußte schlucken, als diese schmerzlichen Erinnerungen hochkamen. »Als ich dann nach Westland übersiedelte und Richard geboren wurde, hielt ich mir als Erinnerung an Erilyn und an Zuhause stets eine Katze.«
Ann lächelte wohlwollend. Ihr Mitgefühl war echt. »Hoffentlich hast du nie eine ›Lauer‹ genannt, damit Richard nicht plötzlich einen Grund hat, sich an den Namen zu erinnern.«
»Nein«, meinte Zedd leise. »Das hab ich nie getan.«
15
»Schnipp-Schnapp«, rief Meister Drummond.
Die Lippen fest aufeinandergepreßt, versuchte Snip – erfolglos, wie er wußte – nicht rot zu werden. Höflich lächelnd trottete er an den kichernden Frauen vorbei.
»Ja, Sir?«
Meister Drummond deutete fuchtelnd mit der Hand in den hinteren Teil der Küche. »Schnapp dir noch etwas von dem Apfelbaumholz und schaff es ins Haus.«
Snip verbeugte sich mit einem »Ja, Sir« und begab sich zur Tür, die in den Wald hinausführte. Obwohl in der Küche ein Dunst aus wundervollen Wohlgerüchen herrschte, angefangen bei brutzelnder Butter, über Zwiebeln und Gewürze bis hin zum Duft schmorenden Fleisches, der einem das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, war er froh über die Gelegenheit, den verkrusteten Kesseln entkommen zu können. Die Finger schmerzten ihm vom Kratzen und Schrubben. Froh war er auch deshalb, weil Meister Drummond kein Eichenholz verlangt hatte. Snip war erleichtert, daß er wenigstens einmal etwas richtig gemacht und genug Eichenholz hereingeschafft hatte.
Als er auf seinem Weg hinunter zum Apfelholzstapel durch Flecken warmen Sonnenlichts schlenderte, fragte er sich abermals, warum Minister Chanboor Beata hatte sehen wollen. Sie hatte zweifellos glücklich dabei ausgesehen. Frauen schienen ganz aus dem Häuschen zu geraten, sobald sie eine Gelegenheit erhielten, den Minister kennenzulernen.
Snip vermochte nicht zu erkennen, was an dem Mann so besonders war, schließlich wurde er schon alt und grau. Snip vermochte sich nicht vorzustellen, selber einmal so alt zu werden, daß er graue Haare bekam. Schon die Vorstellung ließ ihn angewidert die Nase rümpfen.
Als er am Holzstoß anlangte, fiel ihm etwas ins Auge. Er legte eine Hand an die Stirn, um seine Augen gegen das Sonnenlicht zu schützen, und spähte hinüber in den Schatten des Wendehammers. Erst hatte er gedacht, es sei nur eine weitere Warenlieferung, es war jedoch Brownie, der noch immer mitsamt Metzgerkarren dort wartete.